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Todesangst statt zweitägige Traumreise

Es hat ein traumhaftes Wochenende in Paris werden sollen, doch es wurde eines, das einem Alptraum gleich war. Günter (64) und Edeltrud Schaaf (63) aus Mayen-Kürrenberg waren mitten in der "Terrorhölle".

Als Günter Schaaf am 30. August in der SWR-Sendung "Flutlicht" die zweitägige Paris-Reise mit dem Besuch des Länderspiels Frankreich gegen Deutschland gewonnen hatte, war die Freude bei dem Kürrenberger groß. Beim Ratespiel "Wer wars?" hatte er ein Tor von Sebastian Deisler erkannt und war anschließend als Gewinner der Reise für zwei Personen ermittelt worden. "Eigentlich sollten unsere Zwillinge fahren, aber die mussten an diesem Abend mit dem SV Kürrenberg im Derby gegen Monreal antreten", erzählt Schaaf. So starteten er und seine Frau am frühen Freitagmorgen, gegen 3 Uhr, die Reise nach Paris beim Partner des SWR-Gewinnspiels, Lotto Rheinland-Pfalz, in Koblenz. Über Mainz und Kaiserslautern ging es in die französische Hauptstadt. Dass die "Stadt der Liebe" an diesem Abend zu einer "Stadt des Terrors" werden würde, konnte zu diesem Zeitpunkt - mit Ausnahme der Attentäter - noch keiner ahnen. Nach einer Rundfahrt auf der Seine erreichte die Gewinnergruppe ihr Hotel und nach dem Abendessen ging es ins Stade de France. Dass die deutsche Fußball-Nationalmannschaft am Mittag ihr Hotel wegen einer Bombendrohung räumen musste, hatte sich nicht bis zu den erwartungsfrohen Fans herumgesprochen. »Die Stimmung war einfach gigantisch und fantastisch«, so Günter Schaaf, der von der Gänsehaut-Atmosphäre im Stadion schwärmte. "Auf den Plätzen lagen kleine französische Flaggen, die wir begeistert mitschwenkten", beschrieb Edeltrud Schaaf die Momente vor dem Spiel. Der Klassiker setzte - obwohl nur ein Freundschaftsspiel - Emotionen frei. Als aus zehntausenden Kehlen die Marseillaise erklang, kullerten bei den Schaafs vor Rührung die Tränen. Die sollten zwei Stunden später aus Angst und Verzweiflung noch einmal fließen. Zwei Explosionen waren im Stadion deutlich zu hören. Bei der zweiten bebte sogar der Block in dem das Kürrenberger Ehepaar seinen Sitzplatz hatte. Dass sich vor dem Stadion Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt hatten, erfuhren die Eifeler erst viel später. Die Panik der Menschen spürten sie aber hautnah. "Einfach nur raus" wollten sie wie alle anderen Fans, aber viele Ausgänge waren gesperrt. Die Schaafs aus dem beschaulichen Kürrenberg in einer fremden Großstadt, der französischen Sprache nicht mächtig und um sie herum tausende Menschen, die um ihr Leben fürchten: Ein Szenario, das so surreal, wie dann doch so real war. Es folgte eine Odyssee zu Fuß quer durch die Metropole, die glücklicherweise nach mehr als drei Stunden in ihrem Reisebus und wenig später im Hotel endet. Reiseleiter Helmut Hohl von Lotto Rheinland-Pfalz hatte sich als Krisenmanager bewährt. "Man funktioniert in einer solchen Situation einfach", gibt sich Hohl bescheiden. Als Günter Schaaf erfährt, dass einer der Attentäter eine Karte für "ihren" Block hatte werden seine Knie noch einmal weich... Das Interview: Wie haben Sie die Stunden vor den Terroranschlägen erlebt? Günter Schaaf: Es war alles sehr harmonisch. Am Nachmittag stand noch eine Seine-Rundfahrt auf dem Programm. Dass es wenige Stunden zuvor eine Bombendrohung im deutschen Mannschaftshotel gegeben hatte, haben wir garnicht mitbekommen. Nach dem Einchecken und dem Abendessen ging es dann ins Stade de France. Hier herrschte eine gigantische, fantastische Gänsehaut-Atmosphäre. Bei den Nationalhymnen kullerten Freudentränen. In der ersten Halbzeit waren zwei Explosionen zu hören. Wie haben Sie die Detonationen empfunden? Günter Schaaf: Ich hab‘ mir nur gedacht, wie kann man einen solch‘ lauten Böller zünden. Das war ein Donnerschlag wie wenn ein Düsenjäger die Schallmauer durchbricht. Zehn Minuten später gab es einen noch lauteren Knall. Das Gefühl, dass etwas nicht stimmt wurde stärker, aber das Spiel lief ja normal weiter. In der Halbzeit war der Ausgang aus unserem Block bereits mit einem Eisengitter abgesperrt. Edeltrud Schaaf: Wir haben zwar französische Zuschauer hektisch telefonieren gesehen, aber uns trotzdem keine größeren Sorgen gemacht. Das änderte sich aber nach dem Schlusspfiff. Günter Schaaf: Einer unserer Mitreisenden hatte über sein Smartphone die Info bekommen, dass es vor dem Stadion eine Schießerei gegeben hat. Da wurde es uns mulmig, weil unser Ausgang auch zu war. Edeltrud Schaaf: Als wir zu einem anderen Ausgang wollten, kamen uns Menschenmassen voller Panik entgegen. Wir konnten gerade noch hinter einem Pfeiler Schutz suchen. Unsere Reisegruppe fiel auseinander. Wir waren gerade noch zu sechst. Um nicht verloren zu gehen, hielten wir uns an den Händen fest. Wie sind Sie denn aus dem Stadion gekommen? Günter Schaaf: Nachdem der Innenraum geöffnet wurde entspannte sich die Situation. Wir konnten jetzt einen Ausgang aus dem Oberrang nutzen. Edeltrud Schaaf: Wir wollten einfach nur raus und sind den anderen Leuten nachgelaufen. Unser Bus sollte am Eingang A stehen, aber da war dann alles abgesperrt. Überall waren Sicherheitskräfte mit Maschinenpistolen zu sehen. Wie haben Sie auf diese Situation reagiert? Günter Schaaf: Wir sind in der anderen Richtung ums Stadion, aber auch hier ging es nicht mehr weiter. Ein Polizist hat uns mit Händen und Füßen einen möglichen Weg zu unserem Bus erklärt. Aber letztlich sind wir nur unserem Bauchgefühl durch diese für uns fremde Stadt gefolgt oder besser gesagt geirrt. Nach rund einer Stunde haben wir unseren Reiseleiter Helmut Hohl mit 18 weiteren Reiseteilnehmern getroffen. Der Mann von Lotto Rheinland-Pfalz konnte endlich Kontakt zum Busfahrer herstellen - vorher waren die Handynetze total überlastet. Als wir im Bus saßen, gelang es ihm auch zu allen anderen Reiseteilnehmern Kontakt aufzunehmen, sodass die Gruppe gegen 3 Uhr wieder komplett im Hotel war. Das war schon perfektes Krisenmanagement. Hier erfuhren wir allerdings, dass es mehr als 100 Opfer gegeben hatte. Wie war der Morgen nach den Attentaten? Edeltrud Schaaf: Auf eine geplante Stadtrundfahrt legte niemand mehr Wert. Wir wollten einfach nur nach Hause. Günter Schaaf: Das große Durchatmen setzte erst in Saarbrücken ein. Vorher hatte ich immer feuchte Finger. Als wir am Abend zu Hause waren habe ich in den Nachrichten erfahren, dass ein Attentäter eine Karte für unseren Block hatte. Da hab‘ ich noch einmal ganz weiche Knie bekommen. Wie versuchen Sie das Erlebte zu verarbeiten? Edeltrud Schaaf: Das ist im Moment noch ganz schwer, denn die Normalität hat noch keinen Einzug gehalten. Die Erinnerungen kommen immer wieder hoch. Diesen Freitag, den 13. November 2015, werden wir wohl nie vergessen. Wir werden uns aber, so Helmut Hohl, mit den anderen aus der Gruppe noch einmal treffen, um alles vielleicht besser zu verarbeiten. Werden Sie in absehbarer Zeit noch einmal ein Großergeignis besuchen? Günter Schaaf: Ich werde sicher an die Ergeignisse denken, wenn ich ein Stadion betrete, aber ich werde mich nicht davon abhalten lassen. Das Gespräch führten Burkhard Hau, Mario Zender und Stefan Pauly.  Foto: Seydel


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