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Johannes Kneifel: Früher Neonazi, heute Pastor

Mit 17 Jahren gehört er der Neonazi-Szene an. Gemeinsam mit einem Freund prügelt er einen Menschen zu Tode – schwere Körperverletzung mit Todesfolge lautet das Urteil. Im Gefängnis findet Johannes Kneifel zu seinem Glauben. Später studiert er Theologie. Heute sagt er: "Gott schenkt mir einen Neuanfang". Im Rahmen der Auftaktveranstaltung von "Literatur on Tour" stellt der 34-Jährige sein Buch "Vom Saulus zum Paulus" vor.
Johannes Kneifel liest am Samstag, 20. Mai, um 20 Uhr, in der Kulturgießerei in Saarburg aus seinem Buch »Vom Saulus zum Paulus«. Foto: Thorsten Wulff

Johannes Kneifel liest am Samstag, 20. Mai, um 20 Uhr, in der Kulturgießerei in Saarburg aus seinem Buch »Vom Saulus zum Paulus«. Foto: Thorsten Wulff

Herr Kneifel, Sie sind heute Pastor einer Freikirchlichen Baptisten-Gemeinde. Eine radikale Kehrtwende zu ihrem damaligen Leben als Neonazi, in dessen Rahmen sogar ein Mensch durch Ihr Handeln zu Tode kam. Fünf Jahre waren Sie deswegen in Haft. Hat Sie diese Zeit sie so geläutert, dass aus Johannes dem Totschläger Johannes der Täufer wurde? Momentan arbeite ich als freiberuflicher Theologe, vielleicht demnächst wieder in einer Gemeinde. Nein, die Zeit im Gefängnis läutert niemanden. Begegnungen mit Menschen haben mich weitergebracht und letztlich hat mich die Begegnung mit Gott positiv verändert. Als Jugendlicher waren Sie überzeugter Skinhead. Ihre an Multipler Sklerose erkrankte Mutter nannten Sie damals Krüppel. Ihren blinden Vater sahen Sie als Versager. Verachtung für Ausländer prägte damals Ihr Weltbild aus roher Gewalt. Heute sagen Sie, dass Ihnen feste Strukturen gefehlt haben und Sie so an falsche Freunde geraten sind. Was, glauben Sie, sind die wichtigsten Dinge, die Eltern ihren Kindern mit auf den Lebensweg geben können, damit so etwas nicht passiert? Liebe, Zuwendung und Förderung sind enorm wichtig. Aber Sicherheitsgarantien gibt es im Leben nicht. Im August 1999, als damals 22-Jähriger, prügelten Sie gemeinsam mit Ihrem besten Freund und großem Vorbild einen Mann so sehr, dass er einen Tag später an den Folgen seiner Verletzungen starb. Es war Peter Deutschmann, im Ort "Hippie" genannt. Der damals 44-Jährige war einer der wenigen, die damals ganz klar gegen rechts Farbe bekannten. Haben Sie Deutschmann als Mensch überhaupt gekannt? Ich war damals 17 und von Peter Deutschmann wusste ich nur, dass er politisch links war. Als Mitmensch war er mir unbekannt. Während Ihrer Haftstrafe in der Jugendstrafanstalt Hameln haben Sie selbst die Psychologen aufgegeben und attestierten Ihnen, Sie seien nicht therapierbar. Wann folgte Ihr Umdenken und warum? Das Umdenken begann schon lange vor Gesprächen mit Gefängnispsychologen. Als ich vom Haftrichter gehört habe, was passiert ist, habe ich angefangen zu realisieren, dass ich nicht auf dem Weg war, ein "besseres Deutschland" zu schaffen - wie es mir in der rechten Szene immer gesagt wurde. Wenn Sie fremden Menschen begegnen und diese mit Ihnen ins Gespräch kommen, wie gehen Sie dann mit Ihrer Vorgeschichte um? Wie erklären Sie die fünf fehlenden Jahre in Ihrem Lebenslauf? Wenn Menschen sich zu dem Werte- und Rechtssystem bekennen, auf dem unsere Demokratie beruht, dann belastet meine Vergangenheit das Miteinander nicht. Nicht alle sind begeistert über das große öffentliche Interesse, das Ihnen nun als Buchautor entgegen gebracht wird. Kritiker werfen Ihnen Selbstprofilierung auf Kosten des Opfers vor. Wie sehen Sie das? Manche Leute sehen nur das, was sie sehen wollen. Wer sich mein Leben ehrlich anschaut, sieht einen engagierten Christen und Demokraten. Wie gehen die Menschen damit um, wenn Sie erfahren, dass schon einmal ein Mensch durch Ihr Handeln zu Tode kam? Die meisten Menschen sind in der Lage, zu differenzieren und gestehen ihren Mitmenschen auch das Recht zu, aus Fehlern zu lernen. Nun haben Sie ja über Ihre Zeit als Neonazi ein Buch geschrieben, man sieht Sie in verschiedenen Talkshows. Haben Sie das Bedürfnis, sich erklären zu müssen oder warum tun Sie das? Hat das für Sie etwas Therapeutisches? Offenbar hat die Öffentlichkeit ein Interesse an solchen Geschichten. Zudem ist es wichtig, der Gesellschaft immer wieder zu zeigen, dass Menschen sich weiterentwickeln können und dass trotz aller Schäden, die Menschen einander zufügen, durch Gott wieder ein versöhntes Miteinander möglich ist. Was haben der Pastor Kneifel und der Skinhead Kneifel heute noch gemeinsam? Den Namen. Damals, so ist zu lesen, hatten Sie keinerlei Bindung zu Ihren Eltern. Hat sich das heute geändert? Haben Ihre Eltern Ihnen verziehen? Wir haben alle daran gearbeitet, wieder als Familie zusammenzuwachsen Wie sehen Sie den Nationalsozialismus heute und haben Sie noch Kontakt zu Kameraden von damals?  NS ist menschenverachtend und todbringend. Nein, ich habe keinen Kontakt zu dieser Szene. Sind Sie ein besserer Seelsorger durch Ihre Erfahrung? Man wird immer ein besserer Seelsorger, wenn man auch die Schattenseiten des Lebens kennt. "Johannes" bedeutet "Gott ist gnädig". Glauben Sie, dass Gott bei Ihnen Gnade vor Recht hat walten lassen? Gott hat mir Gnade und Gerechtigkeit gewährt. So wie Gott jedem Menschen vergibt, der darum bittet. Das Interview führte Andrea Fischer.

Lesung

Die Lesung findet am Samstag, 20. Mai, um 18 Uhr in der Kulturgießerei in Saarburg statt. Der WochenSpiegel verlost 10 x 2 Karten für die Lesung. Zum Gewinnspiel geht es hier.


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