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Deutsch liefert Wörter für jede Gelegenheit

Unsere Sprache hat sich im Laufe der Jahrhunderte stark gewandelt. Der Tag der deutschen Sprache soll den Sinn für die Ausdruckskraft der deutschen Sprache schärfen und den unkritischen Gebrauch von Fremdwörtern eindämmen. Der Verein Deutsche Sprache (VDS) organisiert den Tag seit 2001 jährlich am zweiten Samstag im September. Wir haben mit dem Geschäftsführer des Vereins, Dr. Holger Klatte, über die wichtigsten Veränderungen gesprochen.
Dr. Holger Klatte, Geschäftsführer des Vereins Deutsche Sprache (VDS). Foto: FF

Dr. Holger Klatte, Geschäftsführer des Vereins Deutsche Sprache (VDS). Foto: FF

Herr Dr. Klatte, was sind aus Ihrer Sicht die größten Veränderungen in der deutschen Sprache? Klatte: "Sprachen verändern sich fortlaufend, aber seit einigen Jahrzehnten erlebt die deutsche Sprache Veränderungen, die den Status des Deutschen als Standardsprache infrage stellen. Die neuen Medien und Kommunikationsdienste wie WhatsApp haben besondere Sprachformen ausgebildet, die wir im alltäglichen Deutsch wiederfinden, zum Beispiel das Weglassen von Satzteilen. In Ballungsräumen wie dem Ruhrgebiet und in Berlin verwendet besonders die jüngere Generation eine deutsche Sprache, die fehlerhaft ist und stark von anderen Sprachen beeinflusst wird. Grund dafür ist, dass beim Förderunterricht gespart wurde. Noch schlimmer ist, dass sich ganze Berufsgruppen von der deutschen Sprache verabschieden, denn in vielen Unternehmen und Agenturen ist die Arbeitssprache Englisch oder Denglisch. Dies hat zur Folge, dass der Wortschatz der deutschen Sprache kaum weiterentwickelt wird und diejenigen abgehängt werden, die wenig Englisch beherrschen."

Unter Sprachwissenschaftlern gibt es Vertreter, die sagen, dass Sprache leben und sich als Spiegel einer sich globalisierenden Gesellschaft auch verändern muss. Teilen Sie diese Ansicht? "Natürlich verändert sich die Sprache mit der Zeit. Wir sprechen und schreiben ja heute nicht mehr wie zu Luthers Zeiten. Aber die gegenwärtigen Veränderungen sind mit den Medienrevolutionen vergangener Jahrhunderte nicht vergleichbar, sodass größere Anstrengungen nötig sind, um die deutsche Sprache fortzuentwickeln. Denn die deutsche Sprache ist die verbindende Grundlage für die gesamte Sprachgemeinschaft. Es ist eine Errungenschaft, dass wir alles in deutscher Sprache ausdrücken können und dass in der Schule eine einheitliche Grammatik gelehrt werden kann. Das dürfen wir nicht einfach herschenken." Allein im 20. Jahrhundert hat sich die deutsche Sprache um ein Drittel erweitert. Wie bewerten Sie heute ihren Zustand – droht gar der bisweilen beklagte Verfall, etwa durch Facebook, Twitter und Co.? "Deutsch ist gegenwärtig eine wunderbare und vielseitig verwendbare Sprache mit einer gut ausgeprägten Literatur- und Musikszene auf Deutsch. Besonders erfreulich ist, dass lyrische Texte sehr beliebt sind. Aber die Probleme bei der Sprachförderung und beim Verdrängen der deutschen Sprache durch das Englische sind unübersehbar. Facebook, Twitter und Co. bleiben ein kleines Problem, wenn die Nutzer lernen, zwischen angemessenen Sprachsituationen zu unterscheiden."
Gibt es Wörter, die Sie vermissen? Gibt es solche, auf die unsere Sprache gut verzichten könnte? "Das Schöne an der deutschen Sprache ist, dass man sich die Wörter für jede Gelegenheit zusammenbauen kann. Kürzlich stand in einem Zeitungsartikel über die Sportart Weitsprung das Wort 'Schwerkraftbezwinger'. Dieses Wort gab es vorher im Deutschen nicht, trifft den Sachverhalt aber ziemlich gut. Verzichten kann ich auf viele Marketing- und Werbefloskeln. Wenn ich höre, dass ich mir 'etwas sichern' soll, schalte ich sofort ab." Machen Sie sich Sorgen darum, dass unsere Sprache mehr und mehr verkommt? "Nun ja, mit rund 100 Millionen Muttersprachlern ist die deutsche sicherlich eine große Sprachgemeinschaft, die größte in Europa. Aber wir sollten mehr dafür tun, dass die deutsche Sprache auch in Zukunft ein flexibles und ausbaufähiges Verständigungsmittel mit großer Reichweite bleibt."

In vielen Bereichen unseres Lebens werden nur noch englische Begriffe genutzt. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung? "Da Englisch als Fremdsprache weltweit am meisten gelernt wird, ist eine gewisse Zahl englischer Fremdwörter in jeder Sprache normal. Ein Drittel der Wörter des deutschen Wortschatzes kommt bekanntlich aus anderen Sprachen wie auch dem Lateinischen oder Französischen. Aber seit einigen Jahrzehnten werden englische Wörter einfach übernommen oder ihre deutschen Entsprechungen ersetzt, ohne dass dies notwendig wäre." Warum glauben Sie, werden diese Wörter nicht einfach ins Deutsche übersetzt?

Deutsch hat in einigen Berufszweigen ein schlechtes Ansehen und klingt irgendwie altmodisch. Werbeagenturen und Medien verwenden schon lange englische Wörter, wenn sie Jugendliche ansprechen wollen. Eine Sendung beim ZDF heißt „I can do that – die große Promi-Challenge“. Begründung des Senders „Ich kann das“ klinge „zu hölzern“. Stellt man den deutschen und englische Spruch hier gegenüber, besteht überhaupt kein Grund, im deutschen Sprachraum die englische Fassung zu verwenden.

Was halten Sie überhaupt von  Anglizismen und wie viele gibt es eigentlich?

Viele Anglizismen erkennt man heute gar nicht mehr, weil sie gut in die deutsche Sprache integriert sind: Streik, Schal, Partner. Heute macht sich kaum jemand die Mühe, ein deutsches Wort zu finden. Außerdem werden die englischen Wörter auch zu schnell von den großen Wörterbüchern wie dem Duden übernommen. Was hat dort z.B. das englische Wort „compliance“ zu suchen? Die Zahl der Anglizismen in der Alltagssprache dürfte bei rund 10.000 Wörtern liegen. Eine kleine Zahl dieser Wörter ist deswegen so präsent, weil sie in den Medien und auf Plakaten so häufig verwendet werden, z.B. sale, ticket, clip, kids.

Muss der Sprache in den Schulen generell wieder mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden? "Ja, die deutsche Sprache muss einen angemessenen Anteil im Unterricht haben, und auch in anderen Fächern sollte auf gutes Deutsch geachtet werden. Schüler haben später viel bessere Berufsaussichten, wenn sie sich mündlich und schriftlich gut ausdrücken können." Welche Entwicklung, die unsere Sprache nimmt, bedauern Sie am meisten?

Dass im Beruf und in der Ausbildung alles wie automatisch auf das Englische als Fremdsprache hinausläuft, finde ich sehr bedauerlich. Wenn alle nur noch Englisch lernen, entwertet das alle anderen Sprachen, besonders die kleineren.

 

Im Hinblick auf die steigende Zahl an Zuwanderern, die integriert werden sollen, noch folgende Frage: Deutsche Sprache, schwere Sprache – stimmt das?

Jede Sprache ist irgendwie schwer zu erlernen, besonders im Unterricht. So haben die trennbaren Verben im Deutschen schon viele Schüler des Deutschen als Fremdsprache zur Verzweiflung gebracht. Aber es gibt auch Sprachen, deren Grammatik viel mehr Varianten bietet als das Deutsche. Und im Englischen, das als leichte Sprache gilt, unterscheidet sich die Aussprache deutlich vom geschriebenen Wort, so dass man die Schreibung quasi doppelt lernen muss.

 

Schreiben Sie eigentlich auch selbst gerne Kurznachrichten?

Klar, das ist schon sehr nützlich, wenn man eine Information loswerden will, aber gerade nicht telefonieren kann. Auch Bildzeichen finde ich hilfreich, weil ich neben dem geschriebenen Inhalt auch Stimmungen kurz wiedergeben kann. Kurznachrichten helfen dabei zu lernen, wie man einen Sachverhalt auf den Punkt bringen kann.

 

Was wünschen Sie sich für die Zukunft in Sachen Sprachgebrauch und Sprachkultur?

Die deutsche Sprache sollte auch in Zukunft in unserer Gesellschaft eine wichtige Rolle spielen. Es sollte gute Literatur und gute Musik auf Deutsch geben. Besonders diejenigen, die mit ihren Texten und Wortbeiträgen ein großes Publikum erreichen, also Journalisten, Moderatoren, Politiker, Werbestrategen u.a. sollten sich bewusst werden, dass sie Verantwortung dafür tragen, wie sich unsere Sprache entwickelt.



Interview: Andrea Fischer

Extra

Worin unterscheiden Hochdeutsch, Moselfränkisch und Jugendsprache sich? Wir sind der Frage nachgegangen. Mehr dazu gibt es hier.


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