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"Streetworker war meine Berufung"

Raimund Ackermann ist so etwas wie das Gesicht der Trierer Obdachlosenhilfe. 21 Jahre war er auf der Straße unterwegs. Er besorgte Schlafsäcke und Medikamente, kümmerte sich um die Heimatlosen, holte sie im Winter von der Straße. Jetzt geht der 60-Jährige in Rente.

Wenn Raimund Ackermann über seinen Job redet, dann strahlen seine Augen. Die Arbeit mit den Obdachlosen liegt im am Herzen. Für sie gab er damals seinen sicheren Job bei der Stadt Trier auf, um sich als Quereinsteiger um die Heimatlosen auf der Straße zu kümmern. Seit September ist Schluss damit. Raimund Ackermann ist in Rente gegangen. Ein komisches Gefühl für ihn. "Ich kann das Schicksal meiner Schützlinge nicht mehr mitverfolgen", sagt er und man merkt ihm an, dass im das Nahe geht.

Zu viel Nähe zugelassen

Der 60-Jährige gibt aber auch ganz offen zu, dass die Arbeit nicht spurlos an ihm vorbei gegangen ist. "Die Statistik sagt, dass man normalerweise 15 Jahre aufsuchende Straßensozialarbeit macht und dann ausgebrannt ist. Ich bin sechs Jahre drüber", sagt er. "Ich habe einen ganz großen Fehler gemacht. Ich konnte nicht nein sagen und das ist bei diesem Klientel ganz gefährlich. Ich habe zu viel Nähe zugelassen." Jeder habe seine Nummer gehabt, gewusst wo er wohnt, wie sein Auto aussieht. Er war mehr oder weniger rund um die Uhr für seine Schützlinge im Einsatz.

Schöne Momente

Die Arbeit mit den  Obdachlosen war ihm wichtig und sie habe ihm viel Spaß gemacht – das betont er immer wieder. "Es war meine Berufung."  Das sagt der 60-Jährige nicht einfach so daher. Wer nachts um 2 Uhr im tiefsten Winter mit der Taschenlampfe an der Mosel entlang stapft,  Medikamente und Schlafsack unterm Arm, und Obdachlose  sucht, der macht seinen Job mit Herzblut.  Es gab schöne Momente in seiner Arbeit. Etwa als ein Obdachloser ihn als "besten Streetworker in ganz Rheinland-Pfalz" bezeichnete. Oder der Fall von Mary. 20 Dosen Bier trank sie am Tag, zehn Jahre lebte sie auf der Straße. Raimund Ackermann half ihr. Mary ist jetzt seit 12 Jahren trocken - sie arbeitet mittlerweilse sogar in einer Kneipe. Niemand soll erfrieren Es gab aber auch die weniger schönen Momente in seiner Arbeit. Und es gab den Fall von Alexander. "Das war das Schlimmste, was mir in den ganzen 21 Jahren passiert ist. Das geht mir immer noch nah", sagt er und schaut aus dem Fenster. Ackermanns selbst gestecktes Ziel war immer, dass ihm keiner auf der Straße erfriert. "Das habe ich nicht geschafft", sagt er traurig. Alexander ist am 2. Weihnachtstag 2010 erforern. Raimund Ackermann, Polizei und Ordnungsamt hatten einen Tag zuvor mit Engelszungen auf Alexander eingeredet, die Nacht nicht auf der Straße zu bleiben. Alexander blieb und starb.

Ruhestand

Offiziell ist Raimund Ackermann seit September im Ruhestand. Einen klaren Schnitt bekommt man in seinem Job allerdings eher schwer hin. "Ich habe noch so zwei drei Leute, die ich weiter betreue. Von 110 Prozent auf 0 runter, geht nicht", sagt er. Bis zum Jahresende möchte er sich um diese Menschen noch kümmern. Dann soll endgültig Schluss sein. "Wenn man Obdachlose mit Herzblut bereuen will, dann kann man das nicht nebenbei machen." Seinen Nachfolgern wünscht Raimund Ackermann die gleiche Motivation, wie er sie die ganzen Jahre hatte und, "dass sie bei all‘ den Anforderungen nicht die Menschlichkeit verletzten." Verein wird aufgelöst Seit 1999 war Raimund  Ackermann im Dienste des Vereins "Streetwork" unterwegs. Der Verein wird im Oktober aufgelöst. "Die Vereinsgelder sind immer zu 100 Prozent an die Obdachlosen gegangen. Wir haben deshalb auch nie ein eigenes Büro gehabt, weil wir die Miete sparen wollten", erzählt Ackermann. Der Verein hatte seinen provisorischen Sitz im Büro seines Bruders in der Kreisverwaltung. Auch sein Bruder geht jetzt in Pension. Damit hat der Verein keine Anlaufstelle mehr. Finanziert wurde der Verein über Spenden und Sponsoren. Auch die Stadt Trier beteiligte sich an den Kosten. "Die aufsuchende "Straßensozialarbeit" durch Herrn Ackermann hat sich in der Vergangenheit neben den bestehenden Angeboten als äußerst nützlich und hilfreich erwiesen", erklärt die Stadt auf WochenSpiegel-Anfrage. Ähnlich sieht das auch Bürgermeisterin Angelika Birk. Sie spricht von Ackermann als einem "großen Glücksfall" für die soziale Arbeit in Trier.  "Diese Arbeit lässt sich nicht einfach durch eine Nachfolgesuche per Anzeige fortsetzen. Daher wird schon seit einiger Zeit an konzeptionellen Lösungen in neuen Strukturen gearbeitet."

Wie geht es weiter?

Laut WochenSpiegel-Informationen sollen zwei neue Streetworker die Arbeit von Ackermann übernehmen. Wann genau sie ihren Dienst antreten, ist noch unklar. Von Seiten der Stadt Trier es, dass solange die Obdachlosenhilfe des Caritasverbandes, des Sozialdienstes Katholischer Frauen und der Stadt als Ansprechpartner fungierten. "Polizei und Ordnungsamt achten in den Wintermonaten ohnehin verstärkt auf die Obdachlosen. Das Ordnungsamt wird vermehrt bekannte Aufenthaltsplätze anfahren", so die Stadt auf WochenSpiegel-Anfage. Auch der Soziale Dienst der Stadt Trier werde dafür Sorge tragen, dass vorhandene Hilfsangebote - wie die Übernachtungsmöglichkeiten des Caritasverbandes und des Sozialdienstes Katholischer Frauen - in Anspruch genommen werden würden. Zusätzlich wolle man die Bevölkerung für das Thema sensibiliseren. 


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