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Der Kampf um ein todkrankes Kind

Eine Familie aus Nigeria sucht von der Eifel aus Asyl in Deutschland. Ihr zweijähriger Sohn leidet an der Sichelzellkrankheit. Sein Arzt sagt, wenn er nach Nigeria zurückkehren muss, wird er seinen fünften Geburtstag nicht erleben.
Irmgard Mminele vom DRK will verhindern, dass ein todkrankes nigerianisches Kind aus dem Eifelkreis abgeschoben wird.  Foto: FF

Irmgard Mminele vom DRK will verhindern, dass ein todkrankes nigerianisches Kind aus dem Eifelkreis abgeschoben wird. Foto: FF

Nach einer gescheiterten Abschiebung, die am Frankfurter Flughafen endete, lebt die Familie, die aus Angst vor rassistischen Übergriffen  anonym bleiben möchte, wieder in ihrer Sozialwohnung im Eifelkreis. Dort warten die beiden 29-jährigen Eltern mit ihrem Säugling und dem kranken Esosa  (Name geändert) darauf, wie es weitergeht. Das entscheidet nun die Härtefallkommission.
Die beiden Kinder der Asylsuchenden wurden in Bitburg geboren. Als die Eltern 2019 nach Deutschland kamen, galten sie zunächst als »Dublin-Fälle«. Das bedeutet, sie werden dorthin abgeschoben, wo sie erstmals registriert wurden. Er nach Italien, sie nach Spanien. Weil die Überstellungsfrist ohne Ausreise verstrich, ging die Zuständigkeit für das Asylverfahren 2021 auf die Bundesrepublik über. Eine lange Kette von Asylablehnungen und Klagen gegen die Ausweisungen vor dem Verwaltungsgericht Trier liegt nun hinter der Familie.
In dieser Zeit diagnostizierte das Mutterhaus in Trier die Sichelzellkrankheit bei Esosa als er ein Jahr alt war. Seitdem musste das Kind regelmäßig in die Spezialklinik für Pädiatrische Hämatologie Kemperhof nach Koblenz.
Der dortige behandelnde Chefarzt, Dr. Stephan Lobitz, erklärt in einem Arztbrief: »Die Sichelzellkrankheit ist eine schwere angeborene Blutkrankheit, die nur durch eine Knochenmarktransplantation geheilt werden kann. In Afrika sterben die allermeisten betroffenen Kinder (regional bis zu 90 Prozent) vor Erreichen des fünften Lebensjahres. Die frühen lebensbedrohlichen Komplikationen können in westlichen Gesundheitssystemen jedoch in der Regel abgewendet werden.« Der Spezialist wird noch deutlicher: Eine solche Behandlung sei in Nigeria nicht möglich. Er empfehle daher dringend, das Kind nicht zurückzuschicken. »Dort wird er das Kindesalter mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht überleben.« Der Vater des todkranken Jungen hat bereits seinen kleinen Bruder an der Krankheit verloren.

Arzt kämpft für seinen kleinen Patienten

Um Esosa besser versorgen zu können,  setzte sich der Koblenzer Facharzt dafür ein, dass sein Patient, der mit öffentlichen Verkehrsmitteln von seinem Wohnort in der Eifel fünf Stunden bis zur Klinik unterwegs ist,  »angesichts des ex­trem schweren Krankheitsverlaufs« mit seiner Familie in die Nähe der Spezialklinik umgesiedelt werden sollte. Irmgard Mminele, Leiterin des Bereichs Flucht, Migration und Integration beim DRK des Eifelkreises, stellte im Februar den Antrag bei der ADD. »Wir haben nie eine Antwort erhalten«, bedauert sie.
Den eigentlichen Skandal sieht sie im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge  über die Ablehnung des Asylantrags und die Androhung der Abschiebung des Jungen. Denn darin bezeichnet das Bundesamt die Sichelzellkrankheit selbst als »lebensbedrohlich«. Jedes Jahr würden in Nigeria 150.000 Kinder mit der Krankheit zur Welt kommen. Von diesen würden schätzungsweise 100.000 ihren fünften Geburtstag nicht erleben.  Das Bundesamt weist darauf hin, dass die Familie keinen Anspruch auf eine Behandlung »nach deutschen Standards hat«. Irmgard Mminele hält dagegen: »Im Fall des kleinen Jungen ist ein klarer medizinischer Schutzanspruch gegeben. Nur weil er auf dem Papier Nigerianer ist – und alle nigerianischen Kinder nun einmal Pech haben – behandeln wir ihn nach den Maßstäben der Lebensumstände als wäre er noch in Nigeria. Er ist nun aber einmal hier.« Irmgard Mminele, die 2015 vom Wochenspiegel stellvertretend für die Flüchtlingsarbeit des DRK mit dem Ehrenorden ausgezeichnet wurde, ist mit Dr. Lobitz den nächsten Schritt gegangen und hat sich an die Härtefallkommission gewandt. »Mir wird oftmals entgegengehalten, wir können nicht die ganze Welt retten – und dem stimme ich vollkommen zu. Aber da, wo wir einen Unterschied machen können, sollten wir es tun.«
Wer den Antrag bei der Härtefallkommission unterstützen möchte, kann dies tun: mit kurzer  Mail an irmgard.mminele@drk-bitburg.de oder Unterschrift auf einer Liste beim DRK in Bitburg, Rot-Kreuz-Str. 1-3.
Sybille Schönhofen

Infos

  • Die Sichelzellkrankheit ist eine angeborene Bluterkrankung.
  • Sie verursacht Durchblutungsstörungen, die mit stärksten Schmerzen einhergehen können und die Organe schädigen.
  • Die Lebenserwartung der Betroffenen ist um 20 bis 30 Jahre reduziert, die Lebensqualität häufig deutlich beeinträchtigt. Durch eine optimale Behandlung kann der Verlauf meist günstig beeinflusst werden.

Am Rande bemerkt

Die Geschichte der nigerianischen Familie, die seit zwei Jahren in Ungewissheit in der Eifel lebt, enthält viel Leid: Die Hintergründe für das Verlassen ihrer Heimat, traumatische Erlebnisse mit Menschenhändlern, das Arbeitsverbot, die Furcht vor der Abschiebung, die Angst um ihr krankes Kind. Wie beschämend, dass sie sich da auch noch vor rassistischen Anfeindungen in Acht nehmen müssen!   Ihre Sybille Schönhofen
sybilleschoenhofen@tw-verlag.de


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