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Das erste und das letzte Bild

Die Organisation »Dein-Sternenkind« schickt ehrenamtliche Fotografen auf Wunsch zu Eltern, deren Kind den Sprung ins Leben nicht geschafft hat. Die Bilder sind eine ganz besondere Erinnerung.

Zum ersten Mal das kleine Herz eines Ungeborenen beim Ultraschall schlagen zu hören, ist für die meisten werdenden Eltern einer der schönsten Momente im Leben. Und einer der schlimmsten Momente ist es, wenn dieser kleine Mensch viel zu früh und unerwartet aus dem Leben gerissen wird. Tief sitzen der Schmerz, die Trauer und das Entsetzen über so ein einschneidendes Ereignis, das heute oft noch immer als Tabu-Thema behandelt wird.

Fehlgeburt: (k)ein Tabu-Thema

Über Fehlgeburten und Sternenkinder wird nicht gerne gesprochen. Aber warum eigentlich? Die Gründe dafür können ganz unterschiedlich sein, sie reichen von Scham, Wut auf den eigenen Körper, Angst vor Unverständnis bis hin zu Verdrängung. Auch Alexandra Emmel aus Bitburg-Stahl brauchte Zeit. Die heute 41-Jährige hat 2012 zwei Fehlgeburten in der Frühschwangerschaft erlitten. "Für mich ist damals eine Welt zusammengebrochen und ich dachte: Wie kannst du mit diesem Schmerz nur weiterleben? In meinem Umfeld hatte noch niemand eine Fehlgeburt erlitten - dachte ich zumindest, denn es wurde einfach nicht darüber gesprochen", erinnert sie sich. "Heute weiß ich, dass es viel mehr Frauen passiert und ich damit nicht alleine bin. Die meisten haben, so wie ich, außer den Ultraschallaufnahmen und eventuell dokumentarischen Fotos der Hebamme keinerlei Bilder." Alexandra Emmel hatte Glück, wie durch ein Wunder wurde sie kurz nach der Fehlgeburt erneut schwanger und ist heute Mutter eines fünfeinhalbjährigen Jungen. Trotzdem zog es sie immer wieder wie von magischer Hand ins Internet. Sie googelte Begriffe wie "Sternenkinder", machte sich schlau und landete auf der Seite von "dein-sternenkind.eu". "Dass ich selbst Sternenkinder fotografieren werde, hätte ich mir anfangs niemals vorstellen können. Aber irgendwie hat mich das Thema nicht losgelassen. Seit drei Jahren arbeite ich nebenberuflich als Neugeborenen-Fotografin und seit 2018 nun auch als ehrenamtliche Fotografin bei der Organisation 'Dein-Sternenkind'. Das eine schließt das andere nicht aus." Die Organisation sei 2016 von Kai Gebel ins Leben gerufen worden, berichtet Emmel. Ihren Sitz hat sie in Seeheim-Jugenheim. "Wir Fotografen von 'Dein-Sternenkind' fotografieren, wie der Name schon sagt, Sternenkinder. Sternenkinder sind Kinder, die vor, während oder nach der Geburt verstorben sind." Zudem fahren die Fotografen zu Kindern, die an plötzlichem Kindstod verstorben sind. Die Bitburgerin ist in einem Radius von 200 Kilometern im Einsatz - hauptsächlich wird sie in Krankenhäuser in Wittlich, Bitburg, Trier und Trier-Ehrang gerufen, war aber auch schon in Koblenz. Dabei geht der Kontakt nicht nur von den Eltern aus, sondern oft von Hebammen, aber auch von Großeltern, Familie oder Freunden. Wie die gelernte Zahnarzthelferin sind bundesweit rund 600 Fotografen im Einsatz.

Erinnerungsfotos helfen, die Trauer zu teilen

Das Engagement der Ehrenamtler ist oft die einzige Chance auf ein richtiges Erinnerungsfoto, weiß Emmel: "In den meisten Krankenhäusern machen Hebammen ein bis zwei Fotos vom verstorbenen Kind - als Erinnerung für die Eltern. Diese Bilder sind nicht unbedingt geeignet, sie z. B. den Großeltern oder Geschwisterkindern zu zeigen, die sich ja auch auf das Baby gefreut haben. Betroffene Eltern wollen auch Bilder, die sie aufstellen und zeigen können, um ihre Trauer zu teilen. Sie möchten der Oma das Enkelchen zeigen, das sie nicht aufwachsen sehen kann." Alexandra Emmel weiß aus eigener Erfahrung, was solche Erinnerungen für Betroffene bedeuten. Deshalb hat sie die Aufgabe mit Freude übernommen. "Dieses Ehrenamt kostet Kraft, es kostet Mut, es kostet Zeit und natürlich Geld. Aber es gibt so viel zurück."

"Es gibt nur diese eine Chance ..."

Mit ihrer Tätigkeit als Fotografin der Organisation "Dein-Sternenkind" stößt Alexandra Emmel nicht bei allen Menschen auf Zuspruch, dessen ist sie sich bewusst: "Für manche mag es makaber klingen, ein totes Kind zu fotografieren. Aber wir fotografieren nicht den Tod, sondern sehnlichst erwartetes Leben! Es gibt nur diese eine Chance. Das erste und das letzte Bild eines geliebten Menschleins, dem der Sprung ins Leben leider nicht vergönnt war." Um ein ästhetisches Foto machen zu können, zählt jede Minute, weiß Emmel. Daher sei eine gute Organisation wichtig. "Seit Bestehen der Organisation haben wir jedes Sternchen, zu dem wir gerufen wurden, auch fotografieren können. Wir Fotografen sind innerhalb der Organisation vernetzt. Es gibt eine Alarm - App und ein geschlossenes Forum, in dem die Kommunikation stattfindet, wer von den Fotografen den Einsatz übernehmen kann. Unsere Einsätze finanzieren wir selbst, auf die Eltern kommen keinerlei Kosten zu", versichert sie.

Auf Unterstützung der Kliniken angewiesen

Was Alexandra Emmel zurückbekommt, ist ihr persönlich viel mehr wert als Geld: "Die unfassbare Dankbarkeit der Eltern; das Wissen, die wertvollsten Bilder gemacht zu haben, die man als Fotograf jemals machen kann. . ." Und damit so viele Menschen wie möglich davon erfahren, hofft die 41-Jährige aus Bitburg auf die Mithilfe der Krankenhäuser. Obwohl sich einige bereits für das Projekt einsetzen, sei die Region immer noch "deutlich unterrepräsentiert". "Betroffene erfahren erst viel zu spät oder gar nicht von uns. Häufig ist dies noch von dem Wohlwollen des Krankenhauspersonals oder der zuständigen Hebamme abhängig", bedauert Emmel. Der WochenSpiegel hat bei den örtlichen Krankenhäusern nachgefragt. Man unterstütze und schätze das Projekt, teilt Heribert Friedling (Marienhaus Holding GmbH) für das Krankenhaus in Bitburg mit. Nach unserer Anfrage stellte das Klinikum einen Informationstext zum Projekt "Dein-Sternenkind" auf die Unternehmenshomepage. Auch das Mutterhaus Trier reagiert positiv: "Unser Team in der Seelsorge ist für die Familien da. Eltern, die sich ein Foto wünschen, unterstützen wir selbstverständlich. Wir sind froh, dass sich Fotografen diesem Thema sensibel stellen. Projektinformationen liegen sowohl im Klinikum Mutterhaus Ehrang als auch im Klinikum Mutterhaus Mitte vor. Wenn eine Familie ein Erinnerungsfoto haben möchte, stellen wir sehr gerne den Kontakt her." Das Verbundkrankenhaus Bernkastel-Wittlich zeigt sich besonders vorbildlich: Ein Flyer der Organisation liege der Wittlicher Wochenstation vor und werde an interessierte Eltern ausgegeben. Eine Begleitung der Mütter und Väter sei zudem immer an den persönlichen Bedürfnissen orientiert, wie Anja Engeln-Jennrichs, Stationsleiterin der Wochenstation, erklärt.

Bestattung auf dem Sternengrabfeld Wittlich

Man informiere die Eltern über verfügbare Hilfsangebote. Dazu gehöre auch die Begleitung durch Vertreter der Klinikseelsorge, die je nach Wunsch der Eltern auch eine Verabschiedung oder Segnung des Kindes ermöglichen, sowie die Information über die Möglichkeit einer Bestattung des Kindes auf dem Sternengrabfeld Wittlich. Um noch mehr auf die Bedürfnisse der Betroffenen eingehen zu können, intensiviere die Station ihre Zusammenarbeit mit der Trierer Selbsthilfegruppe "Stiller Stern". Spezielle Fortbildungen sowie ein Treffen seien im Juni geplant.

Hintergrundinformation:

Dein Sternenkind

  • Die Organisation 'Dein-Sternenkind' schickt ehrenamtliche Fotografen auf Wunsch zu Betroffenen.
  • Engagement und Bilder sind kostenfrei. 
  • Weitere Infos und Kontaktformular für Anfragen unter www.dein-sternenkind.eu
  • »Dein-Sternenkind« auf  Facebook: www.facebook.com/pg/deinsternenkind
  • Notfalltelefonnummer: +49 6257 918 500 9

    Weitere Kontakte:

    • Sternengrabfeld Wittlich: www.stadtwerke-wittlich.de/friedhof/die-friedhoefe/burgstrasse/ 
    • Gruppe "Stiller Stern": www. sternenkinder.de 
    • www.sternenkinder-trier.de
    von Sarah Stieren


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