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Eine unbequeme Wahrheit

Das Artensterben ist ein weltweites Problem. Doch die Schädigung des Ökosystems findet auch direkt vor unserer Haustür statt.

Der jüngste Bericht des Weltbiodiversitätsrats (IPBES) sorgt für Wirbel: Drei Jahre lang haben 145 Experten aus 50 Ländern, zusammen mit über 300 weiteren Autoren, Wissen aus 15.000 Quellen zusammengetragen. Sie fanden heraus, dass die Geschwindigkeit des Artensterbens heute um ein Vielfaches höher ist als im Durchschnitt der vergangenen Jahre. Rund eine Million Arten sind demnach weltweit vom Aussterben bedroht. Die starke Schädigung der Ökosysteme hat Konsequenzen. Nur zwei davon: 85 Prozent der Feuchtgebiete sind zerstört und mehr als neun Prozent der Nutztierrassen ausgestorben. Obwohl die biologische Vielfalt und die Leistung von Ökosystemen wie Nahrung und sauberes Wasser für die Menschheit überlebenswichtig sind, verschlechtert sich ihr Zustand zunehmend.  Als zwei Hauptursachen nennt IPBES Umweltverschmutzung und übermäßige Landnutzung.

So steht es um die Region

»Der allgemeine Trend ist auch im Raum Bernkastel-Wittlich deutlich zu beobachten«, sagt Kurt Valerius, Dipl.-Biologe und Vorsitzender des NABU Wittlich.  Ehrenamtliche Mitarbeiter haben bedrohte und ausgestorbene Arten in der Region erfasst. Unter den gefährdeten Vogelarten seien laut den Ornithologen Martin Becker und Karl-Heinz Heyne der Steinkauz und die Schleiereule. Bei den Reptilien und Amphibien könnten die Zauneidechse und die Kreuzkröte bald ganz verschwunden sein. Ehrenamtler Matthias Weitzel nennt bei den Insekten den Roten Scheckenfalter und zahlreiche Käferarten. Auch Libellen wie die Kleine Moosjungfer seien in Gefahr. Sogar die Feldgrille, die in den letzten 30 Jahren fast nur auf den Flächen des NABU vorkam. »Erfreulicherweise scheint sie sich in jüngster Zeit im Umland wieder auszubreiten«, sagt Valerius.
Auch bei den Pflanzen gibt es keine Entwarnung: »Das Süßgras ‚Dicke Trespe‘ hat heute ein kleines Vorkommen bei Wittlich als eines der letzten in ganz Rheinland-Pfalz«, so Valerius. Eine bestimmte Gänsefußart gebe es nur noch in Wengerohr, und beim Königsfarn existiert nur noch eine einzige Fundstelle in der Region Bergweiler.

Die Einsicht kommt zu spät

Für Kurt Valerius besteht kein Zweifel daran, dass der Mensch großen Einfluss auf das Artensterben hat. Einen Hauptgrund sieht er in der konventionellen Landwirtschaft, die artenreiche Ökosysteme subventionsgelenkt zerstöre. »Überdüngung, Herbizide und Insektizide vergiften Lebensräume und unser Grundwasser«. Als zweitwichtigsten Grund für den Rückgang von Biodiversität nennt er u.a. den Flächenverbrauch durch Siedlungen, Straßenbau und Industrieanlagen. »Es ist höchste Zeit, die Grenzen des Wachstums zu erkennen.« Dabei kommt ein Umdenken für einige schon zu spät: »Leider müssen wir auch das Aussterben von Arten im Raum Bernkastel-Wittlich beklagen«, bedauert Valerius. Darunter das Rebhuhn. Unbemerkt verschwanden mehrere Schmetterlingsarten und auch das Wildkaninchen. Ein weiteres Opfer sei der Lachs. Aus der Gruppe der Pflanzen nennt Dr. Ralf Hand den Glanzlosen Ehrenpreis, der zuletzt bei Kröv beobachtet wurde. Obwohl Valerius weitere bedrohte und ausgestorbene Arten kennt, befürchtet er, dass dies nur ein kleiner Teil ist:  »Leider ist die Datenlage für viele Tier- und Pflanzengruppen unzureichend und mir auch nicht im Einzelnen bekannt. Viele andere Tiergruppen, wie Wanzen, Wildbienen, Wespen, Köcherfliegen sind in der Aufzählung noch gar nicht berücksichtigt.«

Jugend gibt Hoffnung

Positiv findet Kurt Valerius »Fridays for future«: »Die Jugendbewegung macht mir Hoffnung. Denn nur, wenn wir uns der Verantwortung für unsere Erde, unser Land und unsere Heimat bewusst werden, sind wir bereit für Veränderungen«.
Der NABU Wittlich trägt seinen Teil dazu bei: Er betreut 35 Hektar Grünland und Waldflächen. Ziel ist es, bedrohten Arten Lebensraum zu bieten.

Maßnahmen des Nabu

Auch der Nabu tut aktiv etwas gegen das Artensterben: "Der NABU Wittlich betreut und bewirtschaftet z. Z. ca. 35 ha Grünland und Waldflächen. Darin enthalten sind auch Feuchtbiotope für den Amphibienschutz. Die Nutzung ist immer sehr extensiv und hat als oberstes Ziel, bedrohten Arten Lebensraum zu bieten. Sowohl Rinder, Schafe wie auch Ziegen halten Weideflächen offen und schaffen so Lebensraum für zahlreiche Arten, die lange Zeit charakteristisch für landwirtschaftliche Nutzflächen waren und im Zuge einer Industrialisierung der Landwirtschaft besonders bedroht sind", sagt Kurt Valerius. Der Nabu erwirbt außerdem immer wieder neue Flächen, bietet Vorträge und Exkursionen an, um über Ökologie zu informieren und engagiert sich in Arbeitsgruppen für den Schutz von Amphibien.

Hier die bedrohten und ausgestorbenen Arten der Region auf einem Blick

Bedroht

Vögel (Martin Becker und Karl-Heinz Heyne) Rotmilan, Neuntöter, Steinkauz, Schleiereule, Bekassine, Feldlerche Reptilien und Amphibien Zauneidechse, Schlingnatter, Kammmolch, Gelbbauchunke und Kreuzkröte. Insekten (Matthias Weitzel) Braunen Eichenzipfelfalter, Fetthennenbläuling, Roter Scheckenfalter, Wolfsmilchschwärmer, Skabiosenschwärmer, Kupferglucke Käfer Großer Puppenräuber, Großer Pappelbock, Großer Weidenbock, Germanicus Aaskäfer, mehrere Ölkäferarten und den Goldlaufkäfer. Libellen Kleine Moosjungfer, Kleine Binsenjungfer, Speerazurjungfer und Gebänderte Heidelibell Geradflügler Feldgrille (kleine aber stabile Population in den letzten 30 Jahren auf den Flächen des Nabu Wittlich, in jüngster Zeit wieder im Umland) Krebse Steinkrebs, Europäischer Flusskreb, Sommerkiemenfußkrebs Pflanzen (Dr. Ralf Hand) Die Dicke Trespe, Stink-Gänsefuß, Europäische Sonnenwende, Kleines Flohkrau,Brand-Knabenkraut (Orchidee) - individuenschwache Bestände im Liesertal, bei Rivenich u. Neumagen-Dhron Wechselblütiges Tausendblatt; Blassgelber Klee (wenige Fundstellen bei Wittlich und Kröv) Sumpfbärlapp; Alpen-Fächerbärlapp; Gemeiner Fächerbärlapp, Königsfarn - mit einer einzigen Fundstelle in der Region bei Bergweiler

Ausgestorben

Vögel Rebhuhn - Das wahrscheinlich letzte Rebhuhn, eine noch in den 70er Jahren häufige und für das Wittlicher Tal charakteristische Vogelspezies, fotografierte Martin Becker in einem Maisacker Haselhuhn, Raubwürger und Kiebitz Schmetterlinge (M. Weitzel) Westlicher Quendelbläuling, Ockerbindiger Samtfalter, Pflaumenglucke, Xylina exoleta, Blepharita adusta, Cucullia panaceti, Cucullia dracunculi, Cucullia astaris und ca. 20 weitere Schmetterlingsarten Grille Maulwurfsgrille - möglicherweise Vorkommen bei Niersbach. Säugetier Wildkanninchen Pflanzen (Dr. Ralf Han) Glanzloser Ehrenpreis (ju).


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