Seitenlogo
bil

Corona: Jugendliche fühlen sich vergessen

Vollständig Geimpfte erhalten teilweise ihre Freiheitsrechte zurück. Das sind in der Regel Menschen über 60. Wir haben mit Jugendlichen aus der Region gesprochen, wie sie ihre Situation sehen.
Die verordnete Isolation macht Jugendlichen schwer zu schaffen. Um Freunde nicht aus den Augen zu verlieren, bleibt oft nur der Kontakt übers Handy. Foto: Schönhofen

Die verordnete Isolation macht Jugendlichen schwer zu schaffen. Um Freunde nicht aus den Augen zu verlieren, bleibt oft nur der Kontakt übers Handy. Foto: Schönhofen

Im Alter von 80 Jahren und älter sind die meisten Menschen inzwischen geimpft. Für sie gelten Ausnahmen bei den Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen und Quarantäneregeln. Sie haben einen Großteil ihrer Freiheit zurück. Für Jugendliche ist es dagegen noch ein langer Weg bis in die Freiheit. Sie haben mehr als ein Jahr auf ihr Recht auf Entwicklung verzichtet und große Einschränkungen in ihrem Recht auf Bildung einstecken müssen. Zu Beginn der Pandemie haben viele Wissenschaftler gedacht, dass sich junge Menschen gut an die Veränderungen anpassen würden. Wer Jugendliche fragt, dem zeigt sich ein anderes Bild. Die Einschränkungen des sozialen Lebens haben tiefe Spuren hinterlassen. Sie fühlen sich vergessen.

»Du fühlst dich nicht frei, immer eingekesselt«

"Ich habe so viel verpasst", sagt der 15-jährige Marco aus der VG Wittlich-Land und zählt auf, was für ihn wichtig gewesen wäre: Praktikum, Klassenfahrt, neue Freunde kennenlernen. Sein Bruder Nicolas (17) wäre in diesem Jahr zur Tanzschule gegangen. Was die Jugendlichen als größte Belastung erleben, sind die Kontaktbeschränkungen. "Man verliert den Kontakt zu Freunden, die man sonst jeden Tag gesehen hat und mit denen man alles ausgetauscht hat." Meistens bleibt nur der Kontakt übers Handy. "Wir leben durch den Bildschirm", beschreibt die 16-jährige Laura aus Bitburg das. Die Konsequenz: "Unsere Freundesgruppen gehen kaputt, weil wir uns nicht mehr gleichzeitig alle sehen dürfen." Damit einher geht das praktische Feierverbot. Partys zum 16. Geburtstag zum Beispiel, auf den so lange hin gefiebert wurde, mussten ausfallen. "Und jetzt, wo man mit 16 endlich mehr dürfte, geht es nicht", was noch mehr Frust bringt. "Für die meisten in unserem Alter ist es zermürbend. Du fühlst dich nicht frei, immer eingekesselt", pflichtet ihr 17-jähriger Freund Leon ihr bei. "Früher wusste man, am Wochenende kann man sich austoben. Plötzlich war gar nichts mehr. Von Monat zu Monat wurde das schlimmer auszuhalten."

Das Soziale ist auf der Strecke geblieben

Corona stellt auch schulisch auf eine harte Probe. "Corona testet unseren Ehrgeiz und unser Pflichtbewusstsein, weil die Lehrer keine Kontrolle haben, was wir zuhause machen", erzählt Marco, der die zehnte Klasse besucht und beschreibt, wie Schule sich verändert hat: "Das Soziale ist auf der Strecke geblieben. Es gibt nur noch den Lerneffekt und der ist unter den Umständen schwierig." Es gebe eine Lehrerin, die habe er seit Februar erst einmal gesehen. Dass es jetzt Lockerungen für Geimpfte gibt, finden die Jugendlichen unisono gut. "Aber ich finde es nicht gut, dass wir nicht geimpft werden", ergänzt Marco. "Unsere Altersgruppe hat mehr vom Leben verloren als Ältere, die ihre wilden Jahre schon hatten", darin sind sie sich auch einig. Alle würden sich impfen lassen. "Ich will nicht mehr zuhause sitzen und dass es illegal ist, sich mit seinen Freunden zu treffen", sagt Leon. "Der Kontakt mit anderen ist für viele in unserem Alter das Einzige, was sie mental über Wasser hält. Die Kontaktbeschränkungen verursachen psychische Schäden", prognostiziert er. Sie alle fühlen sich von der Politik übergangen. Marco fragt: "Wenn wir als Risiko für die alten Menschen gesehen werden, warum werden wir dann nicht geimpft? Warum werden Lehrer priorisiert, Schüler aber nicht?" Sein Eindruck: "Es wird so viel von uns verlangt und wir bekommen nichts zurück. Wir werden null wertgeschätzt und verstanden."

Kommentar

In der Corona-Pandemie kamen Jugendliche in der öffentlichen Diskussion wenig vor, obwohl ihnen durch die Corona-Einschränkungen mehr genommen wurde als anderen. Die Pubertät ist eine Zeit des Ausprobierens und der Orientierung, in der es Raum und Möglichkeiten braucht, sich zu erproben, zu experimentieren und auch mal Grenzen zu überschreiten. Diese wichtige Erfahrung wurde den jungen Leuten praktisch verwehrt. Es ist höchste Zeit, das zu ändern und sie in den Fokus zu rücken.  Für ihre Disziplin und Solidarität hat die Jugend große Wertschätzung und Dank verdient. Das muss sich nun endlich in Taten und mehr Aufmerksamkeit für ihre Belange zeigen.
sybilleschoenhofen@tw-verlag.de
Sybille Schönhofen


Meistgelesen