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»Das Zölibat abzuschaffen wäre zu kurz gegriffen«

Missbrauch in der katholischen Kirche: Eine Studie liefert nun konkrete Zahlen zum Ausmaß der Verbrechen. Bischof Dr. Stephan Ackermann spricht sich gegen voreilige Maßnahmen aus.
Im Interview mit dem WochenSpiegel äußert sich Bischof Dr. Stephan Ackermann (Trier), Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz, zur Studie zum Missbrauch in der katholischen Kirche. Foto: Bistum Trier

Im Interview mit dem WochenSpiegel äußert sich Bischof Dr. Stephan Ackermann (Trier), Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz, zur Studie zum Missbrauch in der katholischen Kirche. Foto: Bistum Trier

Jahrzehntelang versuchte die katholische Kirche den Missbrauch aus den eigenen Reihen zu vertuschen. Mit der Veröffentlichung einer Studie, die von der Deutschen Bischofskonferenz  in Auftrag gegeben wurde, soll sich dies ändern. Und die Ergebnisse sind erschreckend: 1.670 Kleriker machten sich zwischen 1946 und 2014 des Missbrauchs schuldig. 3.677 Kinder und Jugendliche wurden Opfer sexuellen Missbrauchs. Bischof Dr. Stephan Ackermann (Trier), Beauftragter für Fragen des sexuellen Missbrauchs im kirchlichen Bereich und für Fragen des Kinder- und Jugendschutzes, äußert sich hierzu im Gespräch:
Kürzlich  wurde die »Missbrauchsstudie« der Deutschen Bischofskonferenz veröffentlicht. Sie hatten diese Veröffentlichung kritisiert. Warum?

»Zunächst einmal ist zu sagen, dass die Studie nicht eine Studie der Deutschen Bischofskonferenz ist, sondern von ihr beauftragt wurde. Die Studie »gehört« einem Forschungsteam aus verschiedenen Disziplinen. Mit diesem Team war vereinbart, dass die Forscher die Studie den Bischöfen und der Öffentlichkeit vorstellen. Sie sollten das erste Wort dazu haben. Das ist durch die Vorabveröffentlichung einiger Ergebnisse in verschiedenen Medien so nicht mehr möglich gewesen.«
Wie bewerten Sie die Forschungsstudie im Zusammenhang mit der hohen Anzahl an Missbrauchsopfern?
»Als Bischof und gerade auch als Beauftragter der Bischofskonferenz für die Fragen des sexuellen Missbrauchs habe ich die Zahlen, die die Studie nennt, leider erwartet. Erschreckend und beschämend bleiben sie für mich trotzdem. Seit acht Jahren gehört das Thema nun zu meinem Alltag. Seitdem prägt es meinen Dienst und mein Leben als Bischof. Und doch ist dieses Thema für mich bis heute keine Normalität. Im Gegenteil: Je mehr Zeugnisse von Betroffenen ich höre oder lese, umso mehr wachsen meine Abscheu und Wut gegen diese Art von Verbrechen. Männer, denen aufgrund ihrer Weihe und ihres Auftrags ein besonderes Vertrauen entgegengebracht wurde, haben Kinder und Jugendliche für ihre Bedürfnisse manipuliert und missbraucht. Die Opfer sind dadurch für ihr Leben gezeichnet und durch die Folgen der Gewalt vielfach massiv beeinträchtigt.«
Sie haben in einem Interview von der »Spitze des Eisbergs« gesprochen.
Wie meinen Sie das?

»Die Forscher sagen uns, dass die von ihnen ermittelte Zahl vermutlich nur ein unterer Schätzwert ist - das heißt, die Zahl der tatsächlich Betroffenen ist höher. Auch wenn alle Personalakten aus den Jahren 1946 bis 2015 durchgesehen wurden, haben wir trotzdem vieles erst aus den Meldungen von Betroffenen erfahren. Deshalb sind die genannten Zahlen wohl nur die »Spitze des Eisbergs«. Es ist leider von einem noch beträchtlichen Dunkelfeld auszugehen.«
Also müsste Ihrer Meinung nach noch mehr und aktiver Aufklärung und Aufarbeitung betrieben werden?
»Wir stehen nicht am Nullpunkt. Seit 2010 haben wir Bischöfe dank der Unterstützung zahlreicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter viel unternommen, um die Fälle sexuellen Missbrauchs aufzuarbeiten und neue Fälle zu verhindern, etwa durch eine »Kultur des achtsamen Miteinanders«. Die Studie gehört wesentlich dazu – aber sie kann nur Grundlage für die weitere Aufarbeitung sein.
Bislang haben wir stärker auf die Einzelfälle geschaut; aus der Studie ergeben sich nun auch Hinweise auf systemische Aspekte, katholische Spezifika und Risiko-Konstellationen.
Die Forscher geben uns Empfehlungen, die wir Bischöfe angenommen haben und aus denen wir während unserer Vollversammlung in Fulda Ende September einen Sieben-Punkte-Plan für die weitere Aufarbeitung entwickelt haben (https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/presse_2018/2018-154a-Anlage1-Erklaerung-der-Deutschen-Bischofskonferenz-zu-den-Ergebnissen-der-MHG-Studie.pdf).«
Was wird getan, damit es nicht mehr zu solchen Vorfällen in der katholischen Kirche kommt?
»Wichtig sind konkrete Maßnahmen der Prävention. Aber sie allein reichen nicht, wenn sie nicht eingebettet sind in eine entsprechende Kultur der Achtsamkeit, die zugleich abgesichert wird durch die notwendigen Strukturen. Darüber hinaus zeigt die Erfahrung aus anderen Ländern, dass es auch den Blick zurück braucht, das heißt, eine ernsthafte Aufarbeitung dessen, was geschehen ist. Dazu wollen wir Betroffene und externe Fachleute einbinden.
Wichtig ist mir auch, dass die Studienergebnisse in den diözesanen Gremien und Räten diskutiert werden. Dabei wird es etwa um das Thema der Macht und den Umgang mit ihr gehen, um Fragen der Sexualmoral, sowie um die Aus- und Weiterbildung der Priester.«
Kollegen von Ihnen, wie etwa der Bischof von Mainz, fordern, dass nun auch das Thema Zölibat neu beleuchtet wird. Ist der Zölibat noch zeitgemäß?
»Zeitgemäß war der Zölibat nie. Er ging im Grunde schon immer gegen den Mainstream. Ich selbst halte den Zölibat für eine hilfreiche Lebensform in der Nachfolge Jesu Christi. Aber wenn er in bestimmten Konstellationen zum Risikofaktor wird, anstatt eine Hilfe zum Leben nach dem Evangelium zu sein, ist das bedenklich. Es wäre aber zu kurz gegriffen, wenn die öffentliche Diskussion sich jetzt auf die Frage »Zölibat: Ja oder Nein?« beschränkt. Letztendlich geht es um Machtfragen – und um ein erneuertes Miteinander des ganzen Volkes Gottes.«
Die Fragen stellte Mario Zender.
Zur MHG-Studie: https://www.dbk.de/themen/sexueller-missbrauch/ und unter: www.bistum-trier.de


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