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Nachtschicht: "Mehlsäcke schleppen wir nicht mehr"

Arbeiten bei Nacht: Dass dies das Los des Bäckers ist, weiß jedes Kind. Hauptsächlich deshalb sucht man in diesem uralten Handwerk händeringend Nachwuchs. Hautnah ließ uns Christian Reines an seinem Alltag in der Backstube teilnehmen.

Es ist Mitternacht, die Straßen sind dunkel, die meisten Bewohner Dudeldorfs liegen längst in ihren Betten. In einem großen Gebäude ist hinter hell erleuchteten Fenstern jedoch emsiges Treiben zu beobachten. Die Rede ist von der Backstube der Bäckerei Flesch, in der 14 Bäcker ihrer Arbeit nachgehen. Sie produzieren Brote, Brötchen, Teilchen und Kuchen für den nächsten Tag.  Einer von ihnen ist der 31-jährige Christian Reines aus Pickließem. Seit 2001 übt er diesen Beruf aus. Seine Schicht begann an diesem Abend wie gewöhnlich um 23.30 Uhr. "Vor meinem Schichtbeginn sind schon mehrere Kollegen hier und bereiten einige Dinge vor. Wenn dann die restlichen Kollegen eintreffen, geht es richtig los", erklärt Reines. "Jeder Bäcker ist für einen bestimmten Bereich tätig. Einer backt also nur Brot, ein anderer kümmert sich um die Brötchen. Das richtet sich natürlich auch danach, welcher Bereich einem am meisten liegt."

Kuchen nach Saison

Reines selbst ist für die Herstellung von Kuchen und Torten zuständig. "Ich mag diese Arbeit, sie bringt viel Abwechslung mit sich. Unsere Arbeit richtet sich hier auch immer nach der Saison. Gerade geht die Erdbeersaison zu Ende, dafür wird nun bald Hefekuchen mit Zwetschgen produziert." Natürlich spielt auch der Geschmack der Kunden bei der Herstellung der Backwaren eine große Rolle. "Erdbeerkuchen geht immer", berichtet Reines. "Kuchen mit Zwetschgen ist auch stark nachgefragt, aber er ist nicht mehr so beliebt wie früher. Jüngere Menschen mögen das nicht mehr so." Etwa 40 Kuchen produziert der Bäcker in einer Schicht.

Weizenmischbrote besonders beliebt

Auch bei Brot und Brötchen richtet sich die Produktion nach dem Kunden. Während noch vor Jahren besonders große Brotlaibe nachgefragt wurden, gehen heute vermehrt kleinere Brote über den Ladentisch. Die veränderte Familienstruktur mit zunehmend kleinen Haushalten spiegelt sich also auch in der Backstube wider.  Nach wie vor beliebt sind besonders Weizenmischbrote. Doch auch Körnerbrote werden vermehrt verkauft. "Der Verbraucher setzt inzwischen immer mehr auf Qualität und gesunde Produkte. Danach richten wir uns natürlich", sagt Reines.  Das klassische Brötchen ist immer noch ein Verkaufsschlager. Daher entstehen in nur einer Nacht zwischen 5.500 und 6.000 Tafelbrötchen in Dudeldorf.

Große Mengen an Zutaten

Bei dieser hohen Anzahl an Backwaren benötigt die Bäckerei natürlich eine entsprechend große Menge an Zutaten. Allein sechs bis sieben Tonnen Weizenmehl verbrauchen die Bäcker pro Woche. Gelagert werden Weizen- und Roggenmehl in großen Silos neben der Backstube. Bei Bedarf wiegt ein Computer das benötigte Mehl ab und pumpt es in die Backstube. "Mehlsäcke schleppen müssen wir nicht mehr", lacht Raines. "Auch in der Backstube findet sich inzwischen viel Technik. Sie erleichtert uns die Arbeit."
Die technische Unterstützung ist auch nötig: Spätestens um 4 Uhr muss der größte Teil der Backwaren fertig sein. "Die Ware wird je nach Bestellung auf die einzelnen Filialen und Geschäfte, die wir beliefern, aufgeteilt und anschließend von einem Subunternehmer aufgeladen und zum Zielort transportiert", erklärt der 31-Jährige. Allein zehn eigene Läden der Bäckerei Flesch wollen versorgt werden. Weitere Geschäfte und Hotels erwarten pünktlich ihre Lieferung. "Nach 4 Uhr gehen wir dann in die Nachproduktion und bereiten uns zudem schon mal auf die nächste Nacht vo", so Reines.

Nachwuchsprobleme

Trotz technischer Hilfen werden für die Produktion der Backwaren immer noch zahlreiche helfende Hände benötigt. Genau hier liegt ein Problem des Bäckerhandwerks. Es wird zunehmend schwierig, ausreichend Schulabgänger für den Beruf des Bäckers zu begeistern. "Unsere Arbeitszeit ist für junge Menschen natürlich nicht besonders attraktiv", erläutert Reines das Problem. "Es wird in unserem Bereich immer schwieriger, Nachwuchskräfte von einer Ausbildung zu überzeugen. Selbst die Anzahl der Praktikanten hat in den letzten Jahren merklich abgenommen."

Anderer Lebensrhythmus

Christian Reines hat selbst keine Schwierigkeiten mit der nächtlichen Arbeitszeit. "Das Arbeiten bei Nacht macht mir nichts aus. Ich kenne es ja auch nicht anders, bei Tag habe ich schließlich noch nie gearbeitet." Die nächtliche Arbeit bringt insgesamt einen anderen Lebensrhythmus mit sich. »In der Regel habe ich um 8 oder 9 Uhr Feierabend. Dann schlafe ich erst einmal bis etwa 15 Uhr. Gegen 21 Uhr lege ich mich wieder kurz hin und schlafe etwas vor. Um 23.30 Uhr muss ich dann wieder in der Backstube stehen", berichtet der Bäcker.

Mehr Zeit für die Familie

Seine Freizeitgestaltung leidet regelmäßig unter den nächtlichen Schichten. "Besonders freitags ist es manchmal etwas blöd, wenn die Freunde am Abend feiern gehen und ich muss zur Arbeit", so Reines. "Auch im Urlaub ist es manchmal schwierig, den Tag zu gestalten, da ich tagsüber oft müde bin. Mein Körper ist einfach einen anderen Tagesablauf gewöhnt." Doch der junge Familienvater kann seiner nächtlichen Arbeitszeit auch etwas Positives abgewinnen: "Das Schöne ist, dass ich so tagsüber bei meiner Familie sein kann und nachmittags Zeit für meine Kinder habe. Wäre ich tagsüber arbeiten, würden meine Kinder mich vermutlich nicht so oft sehen." Ein anderer Beruf als der des Bäckers kommt für Reines nicht infrage: "Ich bin gerne Bäcker. Es macht mir einfach Spaß!" SCH


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