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Sybille Schönhofen (bil)

Der Umgangston wird rauer

Am 9. November jährt sich zum 81. Mal die Reichspogromnacht – in einer Zeit, in der rechtes Gedankengut mehr und mehr aus der Verborgenheit an die Oberfläche schwappt.
Die Anzeichen gesellschaftlicher Verrohrung nehmen zu. Foto: Pixabay

Die Anzeichen gesellschaftlicher Verrohrung nehmen zu. Foto: Pixabay

Mit der Reichspogromnacht am 9. November 1938 begann die systematische Vertreibung und Vernichtung der Juden in Deutschland. Heute haben nur noch wenige Menschen in der Eifel jüdische Wurzeln, eine jüdische Gemeinde gibt es nicht mehr. Die einzige Kultusgemeinde der Region befindet sich in Trier. Und dort sind die Nerven angespannt, seitdem offensichtlich ist, wie groß die Bedrohung ist. Nach dem Anschlag auf eine jüdische Synagoge in Halle hat ein in der Trierer Synagoge abgegebenes Päckchen vergangene Woche einen Großeinsatz der Polizei ausgelöst. Das Paket stellte sich später als harmlose Büchersendung heraus.

Beleidigungen, Volksverhetzung und Propaganda im Netz

Im Polizeipräsidium Trier ermittelt das Kommissariat 12 (K12) gegen politisch motivierte Kriminalität. In der Polizeilichen Kriminalstatistik 2018 hat das Polizeipräsidium Trier 145 Fälle der politisch motivierten Kriminalität aus dem rechten Spektrum erfasst. Die meisten Taten (87) betreffen die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. In 27 Fällen ging es um Volksverhetzung. Dazu kamen Delikte wie Körperverletzungen oder Sachbeschädigungen. Die Zahlen steigen: In 2017 wurden 101 entsprechende Fälle erfasst, also noch rund 43 Prozent weniger.
Was die Bedrohung durch Rechtsextremisten angeht, scheint im Eifelkreis die Welt noch in Ordnung, diesen Eindruck vermittelt Hans-Jürgen Riemann, stellvertretender Leiter der Polizei in Bitburg: "Für Bitburg und Prüm kann ich sagen, dass es hier keine rechte Szene gibt." Zumindest keine offene, ergänzt er. Keine "gefestigten Strukturen", das gilt nach Aussage des Pressesprechers für den gesamten Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Trier. Allerdings gebe es eine merkliche Zunahme von "Hasspostings" in Form von Beleidigungen, Volksverhetzung und Propagandadelikten. Jo Bach, beim Caritasverband Leiter des Fachbereichs Migration und Integration im Eifelkreis und Vulkaneifelkreis, erkennt eine Veränderung in den Köpfen einzelner: "Wir merken an den Schulen, dass der Umgangston deutlich rauer geworden und undemokratisches Verhalten gewachsen ist."Die Caritas ist mit Respektcoach-Projekten an Schulen mit dem Auftrag, Präventionsarbeit gegen Gewalt, Rassismus und Antisemitismus zu leisten. "Die Coaches berichten von Äußerungen aus der Richtung rechtes Gedankengut", erzählt Bach. "Viel deutet darauf hin, dass die Kinder das aus dem Elternhaus mitbringen".
An anderer Stelle habe sich auch etwas geändert: Flüchtlingshelfer stießen häufiger auf Unverständnis. "Man merkt, dass die öffentliche Meinung gekippt ist, was den Umgang mit Fremden angeht", stellt Bach fest. "Prävention und Demokratieförderung wird zunehmend wichtig", mahnt er.

"Kein Platz für Menschenverachtung"

In diesem Sinne erinnert die Stadt Bitburg am 8. November mit einer Kranzniederlegung auf dem Jüdischen Friedhof an die Opfer der Reichspogromnacht. Schüler der Otto-Hahn-Realschule Plus und des St.-Willibrord Gymnasiums haben das Gedenken mit eigenen Beiträgen mitgestaltet.
In Bollendorf setzt sich eine Gruppe um den Historiker Michael Weidert dafür ein, die jüdische Geschichte im Eifelkreis aufzuarbeiten und die Erinnerung an sie wachzuhalten. Dieser Arbeitskreis "Jüdische Geschichte" lädt alle Interessierten zu einer Informationsveranstaltung nach Bollendorf ein (siehe unten). An diesem Abend geht es um den örtlichen jüdischen Friedhof. Der Arbeitskreis versteht die Veranstaltung als Beitrag zum Gedenken an die ehemaligen jüdischen Mitbürger, die Opfer des Nationalsozialismus wurden.
Nach dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) haben jüngst Morddrohungen gegen die Grünen-Politiker Cem Özdemir und Claudia Roth Bestürzung ausgelöst. "Wir haben in letzter Zeit im Eifelkreis keine derartigen Drohungen erhalten", sagt Lydia Enders vom Kreisverband der Grünen. "Demokratische Politik lebt vom Streit in der Sache, aber Menschenverachtung und Hetze haben in ihr keinen Platz", verurteilt Enders die zunehmende Verrohung als "unakzeptabel". Sybille Schönhofen (bil)

Veranstaltungen

Plütscheid
  • Vortrag über "Hass und die Folgen" bzgl. Minderheiten, Flüchtlingen und Demokratie ca. 11.45 Uhr nach der öffentlichen Kreismitgliederversammlung der Grünen am Sonntag, 10. November, im Gasthaus Geimer, Hauptstraße 2.
Bollendorf
  • Informationsveranstaltung zum jüdischen Friedhof am 15. November, 19.30 Uhr, im Abteihof in Bollendorf (Neuerburgerstraße 6).

Weitere Veranstaltungen aus dem Kreis Bernkastel-Wittlich

Wittlich
  • 9. Nov., 17 Uhr, Mahnwache, Marktplatz
  • Aufführung der Erzählung "Empfänger unbekannt" von Kressmann Taylor am 9. Nov., 18.30 Uhr in der Kultur- und Tagungsstätte Synagoge. Darum geht es: Der Deutsche Martin Schulse und der amerikanische Jude Max Eisenstein betreiben in den USA eine gut gehende Kunstgalerie. 1932 entscheidet sich Schulse, mit seiner Familie nach Deutschland zurückzukehren. Ein reger Briefwechsel beginnt. Zunächst scheint die Freundschaft nicht unter der räumlichen Trennung zu leiden. Doch Schulse, der die politischen Entwicklungen in Deutschland anfangs noch kritisch betrachtet, entwickelt sich nach und nach zum bekennenden Nationalsozialisten.Da die Nachfrage bereits jetzt sehr groß und die Platzanzahl begrenzt ist, empfiehlt das Kulturamt, für die Aufführung "Empfänger unbekannt" kostenfreie Eintrittskarten zu besorgen. Diese sind ab sofort im Kulturamt, Neustraße 2, 54516 Wittlich erhältlich. Weitere Informationen unter info@kulturamt.wittlich.de oder Tel. 06571/1466-14.
  • Freitag, 22. November, 19 Uhr, Konzert in der Synagoge Wittlich: Im Zentrum des Abends steht das Gedenken an ein Holocaust-Opfer aus Tschechien. Flötist Eyal Ein-Habar aus Israel kommt in die Synagoge Wittlich, um mit jungen Musikerinnen aus Deutschland und Israel zu konzertieren.
    Tickets zu 20 Euro  p. P. gibt es  im Vorverkauf u. a. beim WochenSpiegel.
(red).


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