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Mein Kall ist ein konstruierter Ort

Norbert Scheuer hat gerade seinen neuen Roman „Winterbienen“ veröffentlicht. Scheuer war bereits für den deutschen Buchpreis und den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. In seinem neuen Werk verknüpft der Keldenicher Autor auf kunstvolle Weise das Leben der Bienen mit dem Leben im letzten Jahr des Krieges in Kall. Das LIVE-Magazin sprach mit ihm über das Schreiben und seinen neuen Roman.
Norbert Scheuers Romane spielen in einer fiktiven Version des Eifelortes Kall. Foto: Elvira Scheuer

Norbert Scheuers Romane spielen in einer fiktiven Version des Eifelortes Kall. Foto: Elvira Scheuer

LIVE-Magazin: Herr Scheuer, wie sind sie ans Schreiben gekommen? Ich habe das in der Schule gelernt (lacht). Nein, um ehrlich zu sein, ich habe mir früher nicht träumen lassen, mal richtiger Schriftsteller zu werden. Ich habe Physik studiert und danach Philosophie. Ursprünglich wollte ich philosophische Texte schreiben, habe dann aber herausgefunden, dass es kaum was neues zu sagen gibt und es schwer ist, neue Ideen zu finden. So bin ich darauf gekommen, dass eine adäquate Form des Philosophierens auch das Schreiben ist. Ich habe versucht, zu beschreiben, was ich gesehen habe und das in Geschichten zu verpacken. Und wie wurde Kall zu Dreh- und Angelpunkt ihrer Romane? Wir wollten mit unseren Kindern aufs Land ziehen und sind nach Kall zurückgekommen. In dieser Zeit habe ich Geschichten geschrieben, erstmal gar nicht mit dem Plan, sie zu veröffentlichen. Als Handlungsort habe ich Kall genommen – das war kurz und klang schön. Als dann der erste Roman veröffentlicht wurde, in dem Kall schon eine tragende Rolle spielte, konnte ich nicht mehr zurück. In welchem Verhältnis steht das fiktive Kall aus den Romanen denn zum realen Kall? Es gibt in der Literatur keine konkreten Orte – in der Literatur konstruiert man Orte, die dann so wirken wie konkrete Orte. Das Kall in meinen Geschichten ist eigentlich eine Zusammenfassung von ganz vielen Orten in der Eifel.Manchmal kommen Menschen nach Kall, die wollen den Ort sehen, weil sie meine Bücher gelesen haben. Die sagen dann, dass ist genauso, wie sie es gelesen haben – in Wirklichkeit ist es aber ein zusammengesetzter Ort. So funktioniert unsere Wahrnehmung. Wir nehmen über das was wir wissen, das wahr was wir sehen. Haben sie schriftstellerische Vorbilder? Irgendwann fängt man an, unheimlich viel zu lesen. Natürlich gibt es dann Vorbilder, bei deren Büchern man sich wünscht, auch einmal so zu schreiben. Man nimmt dann von jedem etwas mit, was man auch so machen könnte. Das sind aber weniger Vorbilder. Derjenige, den man liest, nimmt eine Art Lehrerstatus an. Bei mir waren beispielsweise Faulkner, Berger, Kafka und Tschechow. Bei denen dachte ich, es wäre nicht schlecht, wenn du das mal so hin bekommst. Welche Themen sind ihnen wichtig und wie finden sie die? Wenn ich einen Roman fertig habe, dann tauchen aus dem Ensemble plötzlich bestimmte Personen auf, die ich im nächsten Buch in den Vordergrund stelle. Deshalb muss ich mir nicht so viele Gedanken darum machen. Es gibt Autoren, die schreiben jedes Buch für sich abgeschlossen – mal spielt es in Berlin und mal in Hollywood. Ich hingegen habe die Gegend und ich habe die Figuren – insbesondere eine Familie: die Familie Arimond.  Da können mal entfernte Verwandte oder wieder die Hauptfigur Leo Arimond in den Vordergrund treten. Im nächsten Schritt geht es darum, was denen passiert. Da warte ich dann auf so etwas wie eine Eingebung. Beim letzten Roman habe ich das Kriegstagebuch eines realen Kallers – Wilhelm Müller – gelesen. Darin berichtete er über die Bedrohung des Krieges und über das Leben der Bienen. Diese Verknüpfung fand ich genial. Das Leben der Bienen zu beschreiben und das Leben in der Nazidiktatur. Das war die Idee mit der „Winterbienen“ angefangen hat. Ihr Roman verknüpft mehrere Handlungsstränge miteinander – wie konstruieren sie ihre Geschichten? Ich hatte schon am Anfang die Idee, den Aufbau so zu gestalten. Aber während des Schreibens fallen immer wieder Korrekturen an. Manche Dinge funktionieren nicht, dann muss man woanders etwas dazuschreiben oder umstellen. Wenn irgendwas nicht so läuft, wie ich es mir vorstelle, kann ich einfach meine Fantasie einsetzen. Wie lange arbeiten sie an einem Roman? Zweieinhalb bis drei Jahre. Diese Rechnung beginnt erst, wenn ich anfange zu schreiben. Für die erste handschriftliche Niederschrift brauche ich ein Jahr. Dann beginnt die Kernarbeit, jeden Satz zu prüfen. Haben sie denn schon einen Plan für den nächsten Roman? Einen Roman schreiben ist eine total schwere Angelegenheit. Man beschäftigt sich drei Jahre lang mit einem Thema, hat nichts anderes im Kopf. Das schlaucht. Da kann man nicht direkt den nächsten Roman angehen. Das kann und ich will ich nicht. Ich lasse es erstmal ruhig angehen.


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