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Was eine Hundertjährige alles erzählen kann ...

Wenn man Elsbeth Drehsen in Sistig gegenübersitzt und sie aus früheren Jahren erzählt, dann will man kaum glauben, dass die zierliche Dame vor einem Monat das gesegnete Alter von 100 Jahren erreicht hat.

Die Seniorin, die seit 40 Jahren Witwe ist und noch immer ihren Haushalt allein führt und jeden Tag für sich kocht, hat Jahrzehnte lang in der ehemaligen »Eifel-Gaststätte Alfred Drehsen« in der Schleidener Straße hinter dem Tresen gestanden und für Hotelgäste gekocht. Gerne erinnert sie sich noch an die Zeit, als Holländer und Engländer als Urlauber im Haus logierten und viele Freundschaften entstanden.

Bewegtes Leben

Elsbeth Drehsen kann auf ein bewegtes Leben zurückblicken. Sie wurde am 19. Juni 1920 als sechstes von sieben Kindern in Schönigswalde in Westpommern als Elsbeth Anna Amanda Dähling geboren. Noch heute erinnert sie sich daran, wie sie als Kinder mit dem Fahrrad zur nahegelegenen und heute noch bekannten Rügenwalder Wurstfabrik zum Einkaufen geradelt sind. Nach dem Krieg zog die Familie nach Eutin und entging dadurch der Vertreibung. In der Holsteinischen Schweiz arbeitete Elsbeth als Hauswirtschafterin bei der Familie des Landrates. Durch eine Freundin aus Köln bekam sie eine Anstellung in Porz-Eil. Ihren späteren Mann Alfred Drehsen lernte sie am Kölner Hauptbahnhof kennen, als sie mit zwei schweren Koffern unterwegs war. Der zehn Jahre ältere Alfred half ihr beim Tragen der Gepäckstücke, so kam man sich näher…

Fernseher mit der Nummer eins

In Köln gaben sich die damals 29-Jährige und der Eifeler Fuhrmann am 22. April 1949 das Ja-Wort. Nach der Hochzeit zog das frisch vermählte Paar nach Sistig, wo die Familie Wilhelm Drehsen einen kleinen Laden und die Gaststätte betrieb. Das Gasthaus wurde später auf Ehemann Alfred angemeldet. Das Paar baute die Wirtschaft im Lauf der Jahre in eine schmucke Gaststätte mit angrenzender Bauernstube um, das Gebäude wurde aufgestockt und Fremdenzimmer eingerichtet. »Wenn es etwas Neues gab, war mein Mann sofort dabei«, erzählt Elsbeth Drehsen. In dem Wirtshaus habe der erste Fernseher im Ort gestanden. Bei der Gemeinde sei der damals unter der Nummer eins angemeldet worden. »Wenn Fußball übertragen wurde, ging es bei uns stets hoch her«, so die Hundertjährige. Auch Karneval sei damals in der Gaststätte groß gefeiert worden, denn Ehemann Alfred sei ein leidenschaftlicher Fastelovendsjeck gewesen. Ausgerechnet an Karneval 1980, zehn Tage nach seinem 70. Geburtstag, sei ihr Ehemann plötzlich verstorben.

Zeitreise in die Vergangenheit

Kinder hatte das Ehepaar nicht. Sie habe Gaststätte und Pension noch einige Jahre allein geführt. Bemühungen, in all den Jahren, einen Pächter für die Gaststätte zu finden, scheiterten. „Wir hatten damals gerade für viel Geld eine schicke neue Theke angeschafft“, so die Witwe. Dann führte sie den Besucher durch das Wohnzimmer in eine komplett eingerichtete Kneipe, in der es scheint, als sei die Zeit stehen geblieben. Man hat den Eindruck, in der nächsten Minute geht die Tür auf und die Gäste kommen rein. In der Bauernstube liegen die Decken noch auf den Tischen, in der Gaststätte sieht es aus wie vor einem Vierteljahrhundert. Der neuwertigen Theke mit den eingearbeiteten Takenplatten ist anzusehen, dass ihr bislang nur ein kurzer Dienst am durstigen Kunden beschert war. Auch die Truhe mit dem alten Fernseher steht noch im Gastraum, ebenso der Billardtisch, den Elsbeth Drehsen der Sistiger Jugend schenken will, sobald der Jugendclub in der umgebauten Alten Schule eingerichtet ist.

Gratulanten

In der Gemeinde Kall ist Elsbeth Drehsen die zweitälteste Einwohnerin. Ein Rezept, wie man es schafft 100 Jahre alt zu werden, hat sie nicht. Von jedem Tag einem Gläschen Wein oder einem kleinen Klaren will sie nichts wissen. Hin und wieder gönne sie sich ein Glas »Rotbäckchen«. Zu den Gratulanten an ihrem Geburtstag, den sie bereits am 19. Juni feiern konnte, gehörten der Kaller Bürgermeister Hermann-Josef Esser und der Sistiger Ortsvorsteher Karl Vermöhlen. „Ne janz nette Mann“ urteilte sie über den Bürgermeister der Gemeinde Kall, den sie zum ersten Mal kennengelernt hatte. Ihren Ortsvorsteher dagegen kennt Elsbeth Drehsen schon seit vielen Jahren. Vor 35 Jahren hatte Karl Vermöhlen in der damals schon geschlossenen Gaststätte noch seinen Hochzeitstag gefeiert. red/pp/Agentur ProfiPress


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