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Aus dem Leben ins Museum

Mit dem „Marktplatz Rheinland“ hat das LVR-Freilichtmuseum Kommern einen neuen Weg eingeschlagen. Je weiter das Projekt gedeiht, desto mehr zeigt sich, dass die neue Baugruppe bei den Besuchern gut ankommt.

Mitten auf dem Marktplatz Rheinland steht eine gelbe Telefonzelle. Vor dem Siegeszug der Mobiltelefone ein alltäglicher Anblick, sind die Zellen heute völlig obsolet und werden fast nirgendwo mehr zum Telefonieren genutzt.
Es sind diese Relikte der jüngeren Vergangenheit, die das LVR-Freilichtmuseum in der Baugruppe „Marktplatz Rheinland“ ausstellt. Sie umfasst Gebäude von der Nachkriegszeit bis zu den Neunziger Jahren. Dabei wird deutlich wie der Krieg das Rheinland verändert hat und wie Altes und Neues nebeneinander existiert. Die ersten Gebäude waren ein Flachdach-Bungalow und die Gaststätte „Watteler“, die nach Kommern transloziert wurde. „Das war unser Gesellenstück“, erzählt der stellvertretende Museumsleiter Dr. Carsten Vorwig. Wurden die Häuser in den alten Baugruppen noch komplett zerlegt und in Kommern wieder aufgebaut, so war das bei der Gaststätte nicht mehr möglich.
„Die charakteristischen Fliesen wären kaputt gegangen“, nennt  Vorwig einen der Gründe. Deshalb wurde die Kneipe in wenigen großen Teilen mit viel Aufwand nach Kommern bewegt und dort wieder zusammengesetzt. Dazu musste vor der Versetzung ein neues Fundament aus Stahlträgern unter das Haus gesetzt werden, welches von weiteren Stahlträgern fixiert wird. Diese verpackten riesigen Hausteile wurden dann per Tieflader zum Museum transportiert. Eigene Erinnerungen
Für viele Gäste ist der Besuch in der Gaststätte ein kleiner Schock, sagt Vorwig. „Es ist ein Teil ihres Lebens, an den sie sich noch erinnern können, der sich aber jetzt schon im Museum findet“, so der stellvertretende Museumsleiter.
Dieser Ansatz, schon die jüngere Vergangenheit zu präsentieren, bringt aber einige Vorteile mit sich - für das Museum und für die Gäste.
Wenn Eltern oder Großeltern mit ihren Kindern ins Museum gehen, dann haben sie noch eigene Erinnerungen an die Zeit, aus der die Gebäude und Ausstellungsstücke stammen, und können ihre eigenen Erinnerungen dazu weitergeben. Ein sehr guter Weg, die Besucher auch emotional abzuholen.
Außerdem gibt es Zeitzeugen, die zu den Objekten selber etwas erzählen können. So konnte sich die Wirtin der Gaststätte „Watteler“ noch daran erinnern, dass es eine Zeit gab, in der es absolut verpönt war, dass Frauen eine Kneipe besuchen. „Man sorgte sich wohl, dass jemand denken könne, die Frau könnte zuhause nicht kochen“, erklärt Vorwig.
Diese Anekdoten werden teils in den Publikationen zu den Häusern veröffentlicht und auf jeden Fall archiviert.
Mittlerweile nimmt der Marktplatz immer mehr Form an. Zu der Gaststätte und dem Bungalow sind ein Quelle-Fertighaus aus dem Jahre 1965, Nissenhütten und eine Notkirche aus der Nachkriegszeit sowie eine Notunterkunft für Flüchtlinge aus den 90er Jahren gekommen.
Eine Milchbar wurde vor wenigen Wochen erst transloziert (siehe Kasten) und bald folgen Glashäuser, die in den 80ern als Gewächshäuser für Menschen in Arbeitsbeschaffsungsmaßnahmen genutzt wurden, und ein modernisiertes Fachwerkhaus, mit dem das dörfliche Bild des Marktplatzes abgerundet werden soll. Emotionale Reaktionen
Gemeinsam entsteht ein Panorama der Zeit seit Ende des Krieges, in der Altes und Modernes parallel existiert, sich entwickelt und manches, was selbstverständlich erschien, wieder verschwunden ist. So wie keiner mehr Telefonzellen nutzt und heute Frauen selbstverständlich in die Kneipe gehen, finden sich doch überall Dinge, die man aus dem Alltag wieder erkennt. Das können Fliesen oder Tapeten sein, die man so ähnlich schon im Hause der Großeltern gesehen hat oder der Käfer in der Garage des Bungalows.
„Viele Besucher sind emotional bewegt“, sagt Vorwig. Die Baugruppe lädt dazu ein, sich über die Entwicklung und Veränderung auch der jüngeren Vergangenheit Gedanken zu machen. Dass sie andere Reaktionen als die anderen Baugruppen hervorruft, haben die Mitarbeiter des Museums schon feststellen können. Zum einen werden viele emotionale Nachrichten im Gästebuch der Gaststätte hinterlassen, zum anderen nehmen sich aber nicht wenig Menschen Zeit, nach dem Besuch der Ausstellung per E-Mail ein Feedback zu geben. „Es ist ja eher so, dass Leute sich melden, wenn etwas schlecht war. In diesem Falle machen sich aber viele die Mühe uns zu schreiben, weil sie emotional berührt waren“, erzählt Vorwig. Erweiterung geplant
Für die Zukunft der Baugruppe gibt es noch einige Ideen und Wünsche. „Ich hätte gern ein Fachwerkhaus, in dem ganz brutal eine Schaufensterscheibe eingesetzt wurde“, sagt Vorwig. Dieser heute undenkbare Umgang mit Gebäuden, die mittlerweile denkmalgeschützt sind, sei charakteristisch für die 70er Jahre und passe deshalb gut in die Baugruppe.   Ebenfalls gesucht werden Geschäftsgebäude wie beispielsweise ein Obst- und Gemüseladen. Außerdem würde ein Friseursalon gut passen. „Dafür haben wir schon eine komplette Einrichtung“, sagt Vorwig. Auch das ist ein Nebeneffekt des Marktplatz Rheinland: Es melden sich viele Menschen, die alte Dinge haben, die sie dem Museum überlassen möchten. „Wir haben ein sehr umfangreiches Magazin mit fast 250.000 Exponaten“, erzählt der stellvertretende Museumsleiter - die sind aber nicht allein für den Marktplatz Rheinland sondern für alle Baugruppen. Milchbar aus Brühl
Ende August wurde eine alte Milchbar aus Brühl ins Freilichtmuseum geholt. Das Gebäude war in den 50er Jahren eine Milchbar und wurde dann zu einer Kneipe umfunktioniert. Eine Zeit lang war es in Brühl als Rockerkneipe berühmt und berüchtigt - mit passender Musikbox mit Rockmusik und Plattencovern als Deko.
Geplant ist, das Gebäude so wiederherzurichten, dass beide Varianten zu sehen sind – sowohl die Bar nach amerikanischem Vorbild als auch die Rockerkneipe mit Billardzimmer.
Doch bis dahin ist noch viel Arbeit nötig - denn nach der Translozierung ist das Gebäude noch in ziemlich wüstem Zustand. Den Status aus den 50ern wieder herzustellen, braucht  engagierte Arbeit von einigen Handwerkern. Dr. Carsten Vorwig geht deshalb davon aus, dass die Milchbar erst im Jahr 2021 eröffnet wird.


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