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So funktioniert die Solidarische Landwirtschaft

Eines gleich vorweg: Natürlich gibt es auch gute Lebensmittel, die aus herkömmlicher Landwirtschaft stammen. Aber gute Lebensmittel allein, das war Clemens Dorn nicht genug, als er vor knapp 40 Jahren den Schwalbenhof am Ortsrand von Berschweiler übernahm. Er wollte nachhaltig produzieren. Und Nachhaltigkeit bedeutet für den Landwirt, im Einklang mit der Natur und ihren Kreisläufen zu arbeiten.

TEXT Robert Syska | FOTOS Schwalbenhof In Zeiten industrieller Landwirtschaft ist das eine echte Herausforderung. Denn wer als Landwirt rentabel arbeiten will, dem bleibt meist nur der Weg über Spezialisierung und Masse. Die Rücksicht auf natürliche Kreisläufe muss dabei dem Gebot der Wirtschaftlichkeit weichen. Beispiel Fruchtfolge: Statt Abwechslung ist in der konventionellen Landwirtschaft meist Monokultur angesagt. Durch die oftmals vereinfachte Fruchtfolge ist die konventionelle Landwirtschaft auf externe Betriebsmittel wie Kunstdünger, chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel und Ähnliches angewiesen, wobei der Kunstdünger nachweislich die Bodenorganismen schädigt", sagt Anna Jaschok. Sie fand vor rund zehn Jahren den Weg in die Schwalbenhof-Familie und kümmert sich dort insbesondere um die pädagogische Arbeit des "Lernorts Bauernhof". Der Schwalbenhof in Berschweiler will seit jeher einen anderen Weg gehen: "Unser Ziel war es von Anfang an, von der Primärproduktion bis zur Veredelung der Produkte alles in unserer Hand zu haben", sagt Anna Jaschok. "Beim Brot etwa beackern wir die Felder nach biologisch-dynamischen Richtlinien, erzeugen unser eigenes Getreide aus der eigenen Saatgutvermehrung. Gebacken wird das Brot dann ebenfalls in der hofeigenen Bäckerei. So wissen wir von Anfang an ganz genau, was für ein Brot wir am Ende verkaufen." Beispiele für diese innerbetrieblichen Kreisläufe finden sich auf dem Schwalbenhof zuhauf: Die Molke beispielsweise, die als Abfallprodukt der hofeigenen Käserei anfällt, geht in die Schweinehaltung und wird dort in Wollschweinefleisch und -wurst umgesetzt.

Vielfalt statt Masse: der Schwalbenhof in Berschweiler

Voraussetzung für solche Kreisläufe ist Vielfalt: Clemens Dorn und seine Familie bauen auf den rund 120 Hektar des Hofes Roggen, Weizen und Dinkel an, dazu Kartoffeln, Feingemüse und Zwiebeln, sowie Kleegras, Hafer, Gerste, Tritikale und Erbsen, von denen der Tierbestand des Hofes ernährt wird. Insgesamt leben auf dem Schwalbenhof 70 Rinder (davon 30 Milchkühe), 225 Hühner, 30 Wollschweine und drei Pferde. Und auch hier geht Nachhaltigkeit vor Effizienz: "Wir halten keine Hochleistungskühe, denen wir 20 000 Liter im Jahr abknöpfen", sagt Anna Jaschok. Die Schwalbenhof-Kühe geben pro Jahr rund 5000 Liter. Im Vergleich ist das wenig, dafür wird die Milch aus dem Grundfutter (Wiese, Heu, Kleegras) mit einem sehr geringen Kraftfutteraufwand gemolken, sie haben eine besonders hohe Lebenserwartung und eignen sich als Zweinutzungsrasse auch zur Wurst- und Fleischerzeugung. Und bis es soweit ist, erfreuen sie sich eines artgerechten Lebens auf der Weide… und dürfen ihre Hörner behalten. Ähnliches gilt für die Wollschweine: "Bei uns haben die Tiere den ganzen Tag Licht, Luft und Bewegung. Sie können den ganzen Tag im Schlamm rumwühlen, sind mit 100 Millionen Keimen konfrontiert, aber weil sie artgerecht gehalten werden, sind sie eben auch robust", erläutert Anna Jaschok. "Wenn ich im Gegensatz dazu 10 000 Schweine in einem Stall habe, ist dies ohne Antibiotikaeinsatz kaum möglich." Der Schwalbenhof hingegen hatte bei einem Bestand von insgesamt etwa 300 Tieren im laufenden Jahr Tierarztkosten von rund 400 Euro - weniger als so mancher Haustierhalter. Das Problem: So sinnvoll diese Vielfalt aus ökologischer Sicht ist - wirtschaftlich ist sie für einen klein- bis mittelgroßen Betrieb auf Hunsrücker Grenzertragsböden, fernab vom Speckmantel eines Ballungsraumes, nur schwer. Zumindest, wenn man sich den Gesetzen des Marktes unterwirft. Selbst Bioland-Berater bescheinigten dem Betrieb: "Ihr verzettelt euch." Die Berater legen dem Schwalbenhof dringend nahe, sich zu spezialisieren - entweder auf Ackerbau oder auf Viehzucht. Aber das ist leichter gesagt als getan: "Wir haben den Anspruch, nur so viele Tiere zu halten, wie wir selbst ernähren können. Die Tierzahl ist also alleine dadurch begrenzt." Und auch für eine Spezialisierung auf den Ackerbau reicht die Ackerfläche nicht aus.

Solawi: Das Prinzip Solidarität

Wie also bringt man Vielfalt, Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit unter einen Hut? Die Lösung lautet "Solidarische Landwirtschaft" - ein ursprünglich japanisches Konzept, das in den vergangenen Jahren über die USA auch vermehrt nach Deutschland "schwappt." Die Grundidee: Mehrere private Haushalte tragen gemeinsam die Kosten eines landwirtschaftlichen Betriebs und erhalten im Gegenzug einen entsprechenden Anteil an der Ernte. Der Schwalbenhof setzt seit rund drei Jahren auf dieses Prinzip. Und auch wenn die 64 zahlenden Mitglieder der 2015 gegründeten Schwalbenhof-"Solawi" nicht ausreichen, um den Hof im Alleingang zu finanzieren, sind ihre Beiträge mittlerweile eine zentrale Säule für den Fortbestand des Hofes. 100 Euro monatlich steuert jedes Mitglied für einen Ernteanteil bei. Manche brauchen zwei, manchen genügt ein halber. Damit kann der Schwalbenhof verlässlich kalkulieren. Noch ist der Hof allerdings weiterhin zusätzlich auf seine traditionellen Absatzwege angewiesen: "Wir beschicken Märkte und öffnen zweimal pro Woche unseren Hofladen", sagt Anna Jaschok, "außerdem beliefern wir zusätzlich Biomärkte in der Region." Auch hier will der Hof nicht auf Vielfalt verzichten. "Wir freuen uns über jeden Kunden, der uns hier im Hofladen besucht", sagt Jaschok, "trotzdem darf der Solawi-Anteil gerne noch weiterwachsen." Die Gemeinschaft wächst verhältnismäßig langsam. Das liegt vor allem an der Lage des Schwalbenhofs: Denn anders als die meisten anderen "Solawis" befindet sich der Hof nicht am Rande eines Ballungsgebietes, sondern "mitten im Nirgendwo." Wer sich seinen wöchentlichen Ernteanteil abholen will, muss also meist lange Anfahrtszeiten in Kauf nehmen. Für Solawi-Mitglieder aus dem Umkreis von Bad Kreuznach gibt's in der Kurstadt deshalb ein Abhol-Depot, das einmal pro Woche vom Schwalbenhof aus bestückt wird. Ein Konzept, das bei entsprechender Nachfrage natürlich auch auf andere Standorte übertragbar wäre, wie Anna Jaschok betont. Die meisten "Solawis" nehmen die Anfahrt allerdings gerne in Kauf - nicht alleine der erstklassigen Lebensmittel wegen. Für Birgit und Michael Hepp etwa sind die regelmäßigen Besuche auf dem Schwalbenhof eine willkommene Gelegenheit, um Sohn Tim ein Gefühl dafür zu vermitteln, wo unsere Nahrungsmittel ursprünglich herkommen. "Wo können denn Kinder heute sonst noch erleben, wie solche Lebensmittel auch abseits der industriellen Massenproduktion gefertigt werden?", sagt Waldpädagoge Michael Hepp. "Hier sehen wir die Kühe auf der Weide, wissen genau, wie der Betrieb arbeitet und was in den Lebensmitteln drin ist." Der Schwalbenhof darf sich zwar mit diversen Bio-Siegeln schmücken, notwendig ist das aber eigentlich nicht: "Durch die Transparenz unserer Arbeit wird der Verbraucher selbst zum Zertifizierer", sagt Anna Jaschok.

Solidarische Landwirtschaft: Geteilte Ernte, geteiltes Risiko

Auch für den Hof beschränken sich die Vorteile des solidarischen Konzeptes nicht auf die erhöhte finanzielle Planungssicherheit: Weil Zwischenhandel und Marketingkosten wegfallen, wird die Vermarktung günstiger und einfacher. Dadurch bleibt mehr Zeit für das Kerngeschäft, also die Landwirtschaft. "Der größte Vorteil ist aber die Gemeinschaft, die den Hof trägt", sagt Anna Jaschok. Geteilt wird nicht nur die Ernte, sondern auch das Risiko. Eine Missernte etwa kann einen konventionellen Betrieb schnell die Existenz kosten. Beim Schwalbenhof und anderen Solawis ist diese Last auf viele Schultern verteilt, der finanzielle Verlust für jeden einzelnen hält sich dadurch in Grenzen. "Wenn es mal gar nichts gibt, dann ist das eben so", sagt Anander Last, Vorstandsmitglied des Schwalbenhof e.V. Diese Einstellung mag viele zunächst irritieren, denn sie passt so gar nicht ins marktwirtschaftliche Korsett: Nicht das einzelne Produkt wird bezahlt, sondern die Idee als Ganzes. "Dadurch verliert die Ware ihren Preis und erhält stattdessen ihren Wert zurück", bringt Anander Last das Konzept auf den Punkt. Der Schwalbenhof kann so im Gegenzug auch in kleinen Mengen einigermaßen kostendeckend produzieren. Gingen die Produkte in den Zwischenhandel, wäre das undenkbar. "Erst durch das solidarische Konzept bekommt die Vielfalt unseres Angebots auch ihre wirtschaftliche Berechtigung", sagt Anna Jaschok. Gleichzeitig produziert der Hof nicht für einen anonymen Markt. Jeder weiß, auf welchen Teller die Lebensmittel am Ende landen. Wenn's mal nicht schmeckt, gibt es direktes Feedback. "Das ermöglicht uns wiederum, an uns zu arbeiten und stetig besser zu werden", sagt Jaschok. Die Entscheidung für das Prinzip der Solidarischen Landwirtschaft ist Clemens Dorn nicht schwergefallen - auch wenn es sicher nicht jedermanns Sache ist: "Man macht sich als Betrieb schon sehr transparent", sagt Anna Jaschok. Einmal pro Jahr wird auf der obligatorischen Jahreshauptversammlung die Finanzsituation des Hofes komplett offengelegt. "Das muss man schon wollen", sagt Jaschok. Landwirt Clemens Dorn wollte: Der soziale Aspekt seiner Arbeit war ihm von Anfang an wichtig. Alleine auf dem Hof vor sich hin ackern? Nein, danke. Schon bei der Übernahme des Schwalbenhofs im Jahr 1979 träumt er von einer Verbrauchergemeinschaft, die sich um den Hof bildet und den Betrieb nicht nur finanziell, sondern auch ideell unterstützt. Den zusätzlichen Kommunikationsaufwand, den die Abstimmung mit den 64 Solawi-Mitgliedern mit sich bringt, nehmen der Landwirt und seine Familie gerne in Kauf. Denn die bunte Solawi-Truppe unterstützt den Hof nicht nur finanziell und ideell, sondern auch ganz praktisch. Der Schwalbenhof kann auf eine Vielzahl von Helfern zurückgreifen, die sich je nach Fähigkeit und Interesse in unterschiedlichster Art und Weise einbringen. Das können Ideen und Anregungen sein, Hilfe bei der Ernte oder auch Lösungen für ganz grundsätzliche Probleme.

Der Schwalbenhof: Ökologisch und digital

Bestes Beispiel: Das webbasierte Bestellsystem des Schwalbenhofs. Anders als bei vielen anderen Solawi-Betrieben enthält der wöchentliche Ernteanteil nicht für alle Mitglieder dieselben Produkte. "Dafür ist das Angebot zu vielfältig. Und wir können ja auch keinen Vegetarier zwingen, unsere Wurst zu nehmen", sagt Anna Jaschok. Stattdessen geben die Mitglieder im Laufe der Woche durch, welche Menge sie von welchem Produkt benötigen. In den ersten Monaten des Solawi-Betriebes funktionierte das per E-Mail. Die Bestellungen mussten so aufwändig per Hand ausgewertet werden. Das muss auch einfacher gehen, befand Solawi-Mitglied Anander Last - und weil er als selbständiger Softwareentwickler über das nötige Know-How verfügt, programmierte er für den Schwalbenhof kurzerhand ein eigenes, webbasiertes Warenwirtschaftssystem. Nun kann jedes Mitglied seine Bestellung im heimischen Browser - oder auch von unterwegs - zusammenklicken und das Hof-Team sieht auf einen Blick, mit welchen Produkten etwa das Abholdepot in Bad Kreuznach bestückt werden muss. Jedes Produkt ist im System mit einem Circawert ausgezeichnet, damit die Mitglieder ungefähr wissen, wie viel sie für ihren Ernteanteil bekommen. Einen festen Preis gibt es nicht. Davon sind viele, die sich für das Prinzip des Schwalbenhofs interessieren, zunächst irritiert. Michael Hepp kennt die Vorbehalte aus zahlreichen Gesprächen. Und ja, wer sich im Supermarkt über viele Jahre die "Geiz-ist-geil"-Mentalität antrainiert hat, könnte befürchten, am Ende nicht genug Ware für sein Geld zu bekommen. Das allerdings geht an der Solawi-Idee vorbei, denn hier wird nicht das einzelne Produkt bezahlt. "Selbst, wenn ich bei meinem Anteil von 100 Euro einmal nominell Ware für 70 Euro bekomme, ist das für mich überhaupt kein Ding", sagt Michael Hepp, "denn ich weiß, dass das Geld hier gut angelegt ist." Kann man davon leben? Klar ist: Reich wird mit der Solawi-Idee niemand. Leidenschaft und Herzblut sind Grundvoraussetzung. Trotzdem darf der Kreis der Solawi-Unterstützer am Schwalbenhof gerne weiterwachsen. "Unser finanzielles Ziel ist es, dass der Hof irgendwann so viel abwirft, dass wir uns selbst den Mindestlohn für die vielen, vielen geleisteten Stunden zahlen können", sagt Anna Jaschok mit einem Augenzwinkern. Für sie ist der Schwalbenhof eine Art Versuchsprojekt: Kann man davon leben, wenn man nachhaltig und im Einklang mit der Natur wirtschaftet? Dank Solawi lautet der Zwischenstand: "Bis jetzt schon." Mehr erfahren: Der Schwalbenhof informiert im Rahmen regelmäßiger Infoveranstaltungen über seine Arbeit und das Konzept der Solidarischen Landwirtschaft. Aktuelle Termine finden Sie im Internet unter: www.schwalbenhof.de Allgemeine Informationen zum Thema Solidarische Landwirtschaft gibt es zudem unter: www.solidarische-landwirtschaft.org


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