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Aus dem Dreißigjährigen Krieg lernen für heute

Was können wir für heute aus dem Dreißigjährigen Krieg lernen? Der Frankfurter Professor für Kirchengeschichte Dr. Markus Wriedt begab sich mit seinen Zuhörern beim "Theologischen Gespräch in der Weinstube" im Fürfelder Weingut Schmitt aus Zeitreise ins 17. Jahrundert.

Der berühmte Prager Fenstersturz, immer wieder als Auslöser des Dreißigjährigen Krieges dargestellt, "war nicht der erste und einzige, sondern damals eine gängige Praxis" und daher keine beispiellose Provokation. Mit dieser Information überraschte Professor für Kirchengeschichte, Dr. Markus Wriedt von der Goethe-Universität in Frankfurt/Main, die Besucher der "Theologischen Gespräche in der Weinstube" am Freitag zu Beginn seines Impulsvortrags im Weingut Schmitt. Dann ging es auf eine Zeitreise ins 17. Jahrhundert, in der er die wirklichen Auslöser, die Auswirkungen auf Deutschland und die Folgerungen für die heutige Zeit beleuchtete und mit den Anwesenden diskutierte. Viele Faktoren haben zum Dreißigjährigen Krieg beigetragen, stellte Prof. Wriedt klar. Vor allem die Machtbestrebungen der verschiedensten Machthaber in und um Deutschland. "Der Krieg von 1618-1648 war ein Krieg um die Frage, wer in Europa das Sagen hat", so seine These. Die oft benannten religiösen Differenzen um die vorherrschende Konfession seien nur vordergründig Auslöser und Antreiber gewesen. Allein auf dem Boden des damaligen "Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation" habe es 3000 Größen, das heißt Könige, Fürsten, Stände und Städte, gegeben, die ihre Machtansprüche behaupten und ausbauen wollten. Dazu kamen mächtige Anrainer-Staaten, die ebenfalls ihre strategischen Interessen auf deutschem Boden ausfochten. In Deutschland als Kriegsschauplatz dieses verheerenden Krieges blieb innerhalb der dreißig Kriegsjahre kaum eine Region verschont. Auch Rheinhessen wurde von marodierenden Söldnern und Heeren immer wieder heimgesucht und ausgebeutet. Bis zu 75% der damaligen Bevölkerung in Deutschland wurde dabei ausradiert, manche Landstriche waren völlig entvölkert. Einer der Besucher weiß von unterirdischen Tunnelgängen aus dieser Zeit unter Stein-Bockenheim, wo die Landbevölkerung offensichtlich immer wieder vor den brandschatzenden Truppen Schutz suchte. Zu Schachfiguren der Machthaber waren die Zivilisten in diesem Krieg degradiert und bei den Auseinandersetzungen immer "die Gelackmeierten". Neu in dieser Zeit - und damit entsetzlich modern - war, dass plötzlich die Zivilbevölkerung nicht mehr verschont werden musste. Gab es seit Thomas von Aquin 1225-1274) systematisierte verbindliche Konventionen zur Kriegsführung, zu denen auch der Schutz der Zivilbevölkerung gehörte, setzte ein Verlust von "Moral und Sitte" ein. Die Konventionen galten spätestens nicht mehr, seit die Niederlanden und Spanien mit dem skrupellosen Heerführer Johann von Tilly ihre Konflikte auf deutschem Boden austrugen. Die Tatsache, dass keine der vielen im Laufe der dreißig Jahre beteiligten Konfliktparteien über ein Berufsheer verfügte, sondern alle ihre Heere mit gedungenen Söldnern auffüllten, verstärkte "die Verrohung der Sitten". "Viele Offiziere und Soldaten haben sich nach der Soldkarte gerichtet. Sie dienten dem, der am meisten zahlen konnte". Entsprechend wurde zur Aufbesserung des Solds oder während des Winterquartiers geplündert und gebrandschatzt. Dabei waren nicht alle Regionen gleichzeitig betroffen, sondern je nachdem, wo die Truppen sich aufhielten, waren die Folgen für die Menschen dort verheerend oder der Landstrich konnte noch blühen. So kam es, dass zum Beispiel an der Universität Heidelberg noch Jahre während des Krieges ein geregelter, prosperierender Lehrbetrieb möglich war und viele Dichter und Künstler produktiv sein konnten. Das Ende des Dreißigjährigen Krieges wurde schließlich durch Gespräche und Verhandlungen der Alliierten angestoßen. Durch das Geschick der damaligen Verhandlungsführer wurden die "Osnabrücker Friedensordnung" und damit schließlich der "Westfälische Frieden" eingeläutet, der wieder Ruhe ins Land bringen sollte. Dabei wurde die theologische Frage nach der Rangordnung der Konfessionen ausgeschlossen und festgehalten, dass alle ihre Daseinsberechtigung haben. Mit dieser Entscheidung begann auch die Säkularisation, erläutert Kirchengeschichtsprofessor Wriedt. "Die Religion wird an den Rand gedrückt, auf ihre Funktionalität beschränkt. Der Dreißigjährige Krieg schließt die Zeit der Konfessionalisierungen ab." Lernen für heute könne man aus diesem Krieg einiges, diskutiert Prof. Markus Wriedt schließlich mit den Zuhörern. Unter anderem, dass eine militärische Lösung solcher Konflikte immer das Chaos verstärke und dass die Anerkennung der Interessen wirklich aller Beteiligten viel Friedenspotential habe. Sprechen müsse man miteinander, ist sich der Experte sicher und sich dabei gewahr sein, dass religiöse Verbrämung handfester Machtbestrebungen, oft aus geologischen oder strategischen Gründen, auch heute noch weitverbreitet seien. Sehr viel weiter reichten die Parallelen zu heutigen Konflikten nicht, so der Professor. Aber auch heute brauche man erst recht Menschen, die mit ihren "Visionen gegenwartspragmatische Trunkenheit überwinden" und die miteinander reden statt zu schießen. Im Föderalismus liege auch heute noch die Chance für Stabilität und damit auch die Chance für Europa. Angesichts der weltweiten Entwicklungen habe er immer noch die Hoffnung, dass sich "die Vernunft doch durchsetzt". Dieser Hoffnung konnten sich alle Zuhörer anschließen.


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