Seitenlogo
kt

Cochem-Zell "stolpert" über 27 Schicksale

Ausgegrenzt, diskriminiert, verfolgt und ermordet: Die Schicksale der Cochem-Zeller Juden bewegen bis heute. Damit sie nicht in Vergessenheit geraten, gibt es das Projekt Stolpersteine. Künstler Gunter Demnig wird am morgigen Donnerstag 27 weitere dieser kleinen Mahnmale in Cochem, Bad Bertrich, Bullay, Pünderich und Zell verlegen. Nicht nur für die Cochem-Zeller wird es ein Tag der Erinnerung.

Senta Götzoff ist vier Jahre alt, als sich ihre Kindheit unwiderruflich ändert. Mit der Machtergreifung der Nazis marschieren auch in ihrem Heimatort Cochem Ausgrenzung, Rassismus und Intoleranz ein. Die Tochter des Kantors der jüdischen Gemeinde und ihre Familie leben ab diesem Zeitpunkt in Angst. 1938 verwüsten Nazis die Cochemer Synagoge direkt neben ihrem Elternhaus. 1941 wird die junge Cochemerin mit ihrer Mutter nach Lodz deportiert und dort ermordet. Senta Götzoff stirbt 1944 mit 15 Jahren. Kaum älter als Senta ist Walter Harf, als Nazis in sein Leben treten. Der Sohn des Bullayer Metzgers Julius Harf und seiner Frau Ida muss erleben, wie aus einstigen Kunden Feinde werden. Dem Aufruf - "Kauft nicht bei Juden" - folgen auch viele Bullayer, für die Familie wohl der sichere Ruin. Walter Harf überlebt den Holocaust, weil seine Eltern bereits 1937 mit ihren Kindern in die USA auswandern. Er wird mit neun Jahren heimatlos, ein Vertriebener. Seine Großeltern, weitere Verwandte, Nachbarn und Freunde sterben im Vernichtungslager. Erst Jahrzehnte später wird er Schülern von seinen Erlebnissen während dieser Zeit erzählen (wir berichteten). Zwei Jugendliche, zwei Schicksale und zwei Menschen an die ab dem morgigen Donnerstag, 23. Juni, erinnert werden soll. "Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist", zitiert Gunter Demnig den Talmud. Seit dem Jahr 2000 verlegt er deutschlandweit Stolpersteine vor den Häusern, in denen die Opfer des Naziterrors einst lebten. Durch die kleinen Mahnmale soll die Erinnerung an Ermordete, Geflohene, Andersdenkende und Ausgegrenzte wach gehalten werden. Das Projekt des Kölner Künstlers hat im Kreis Cochem-Zell viele Unterstützer gefunden. Auf Initiative von Kreisverwaltung und WochenSpiegel wurden bereits Stolpersteine in Brohl, Düngenheim und Pommern verlegt. Zuvor hatte sich im Zeller Raum schon der Freundeskreis der Synagoge Zell mit weiteren Partnern zusammengeschlossen, um das Vorhaben umzusetzen. Im vergangenen Jahr wurden auch hier zwölf Steine verlegt. Wenn es nach dem Wunsch der Initiatoren und ihrer Mitstreiter geht, dann wird der kommende Donnerstag nicht nur ein Tag der Erinnerung, sondern auch der Begegnung.  Mit dabei sein wird unter anderem Walter Harfs Sohn David. Sein Vater selbst fühlt sich für die weite Reise aus den USA nicht gewappnet. Er ist über die Erinnerungsarbeit, die in Zell geleistet wird, jedoch tief gerührt. Dies ließ er den Schülern, mit denen er derzeit einen regen Schriftwechsel führt, und Mitglieder des Synagogenvereins Zell wissen. »Thank you, thank you, thank you!!!«, schrieb er in einer E-Mail. Auch Varda Getzow und ihre Schwester Dorit Yanif haben ihr Kommen angekündigt. Die Töchter von Arko Götzhoff, dem Bruder der kleinen Senta, arbeiten schon lange an der Aufarbeitung des Holocausts und ihrer eigenen Vergangenheit. Ihrem Vater gelang mit 15 Jahren die Flucht aus Deutschland. Ihrer Tante Senta und Großmutter Rosa war der Weg in die Freiheit verwehrt. Sie starben durch Nazigewalt. Nicht nur für die Nachfahrinnen ein Grund, Namen und Schicksale nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Die Verlegungen im Detail: Den Auftakt bildet bereits am heutigen Mittwoch, 22. Juni, ein gemeinsamer Empfang um 19.30 Uhr im Kapuzinerkloster Cochem mit den Nachfahren der Opfer, den beteiligten Gemeinden und Vereinen, engagierten Privatpersonen und Zeitzeugen. Am Donnerstag, 23. Juni, beginnt die eigentliche Verlegung um 9 Uhr in Cochem mit drei Stolpersteinen für Leopold und Johanna Hein sowie Josefine de Leeuw an der Klostertreppe Hinter Kempeln/Nähe Enderttor. Im Anschluss folgen die Stolpersteine für Adelheid Hein (zirka 9.30 Uhr, Bernstraße 18) sowie für Rosa und Pinkas Götzoff und deren Kinder Senta und Arko Götzoff (zirka 10 Uhr, Oberbachstraße 51). In Bad Bertrich werden ab 11.30 Uhr die kleinen Mahnmale für Paula, Ernst, Alfred und Erna Kaufmann verlegt (Kurfürstenstraße 51). Weiter geht es gegen 12.30 Uhr in Bullay (Bahnhofstraße 24). Dort werden sieben Stolpersteine für Lina, Gustav, Julius, Ida, Inge, Walter und Arthur Harf ihren Platz finden. In Pünderich (Kirchstraße 2) verlegt Demnig gegen 13 Uhr Steine für Helene und Fritz Geisel. Ab zirka 13.40 Uhr folgt die Verlegung der kleinen Kunstwerke in Zell für Bertha Salomon (Brandenburg 49), Hedwig und Max Wolf sowie Samuel Kornfeld (Balduinstraße 28 und 35) und schließlich für Amalia Sondheimer und Theresia Moos (Petersstraße 2). Im Anschluss hat der Freundeskreis Synagoge Zell ab 15.30 Uhr einen kleinen Empfang in der Synagoge (Schloßstraße) organisiert. Den Abschluss bildet ein Kaddisch und interreligiöses Gebet ab 18 Uhr auf dem jüdischen Friedhof in Bullay. Foto: Archiv


Meistgelesen