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75 Jahre "Tante Emma"

Fast 75 Jahre ist der Gemischtwarenladen in Urschmitt der Arbeitsplatz von "Tante Mina" gewesen. Zum Jahreswechsel ging Irmina Kessler (geborene Jahnen) jetzt in den Ruhestand, denn der "Tante-Emma-Laden" in der Eifelgemeinde schloss zum 1. Januar. Ein Stück Heimatgeschichte, das ihre Tochter Adelheid noch einmal Revue passieren ließ.

Mit 13 half Irmina bereits im väterlichen Laden aus - ihre Mutter war schon elf Jahre zuvor gestorben. Als der Vater und der drei Jahre ältere Bruder 1944 in den Krieg eingezogen wurden, führte sie - mit 15 Jahren - das Geschäft alleine. Der Vater kehrte 1946 aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft zurück und führte den Laden bis ins Jahr 1964, ehe seine Tochter übernahm. Damals war der Laden schon sieben Jahre im neuen Haus der Kesslers untergebracht. "Mosta" und "Berre-Krout" Verpackungswahn war in den 60er Jahren noch ein echtes Fremdwort: "Zucker und Salz wurden in großen Säcken angeliefert, Senf (Mosta) und das süße Rübenkraut (Berre-Krout) in Eimern und die Heringe in einem großen Holzfass. Nudeln befanden sich lose in diversen Schränkchen, aus denen sie mit einer kleinen Schaufel entnommen wurden. Die gewünschten Mengen wurden in Papiertüten abgewogen, der Senf in mitgebrachte kleine Gläser gefüllt (für einen Groschen gab es schon richtig viel...) und die Heringe wurden in eine alte Zeitung eingeschlagen." Und Adelheid Hieronimus erinnert sich noch an viele heute vielleicht skurril anmutende Geschichten, wie beispielsweise die weit verbreitete Leidenschaft des Rauchens. "Zu dieser Zeit rauchten fast alle Männer im Dorf. (...) Noch heute weiß ich, welcher Mann im Dorf welche Marke rauchte. Es gab sogar eine Frau, die rauchte - das schien mir damals schon einigermaßen suspekt: eine Frau, die rauchte oder Auto fuhr, war die absolute Ausnahme." Letzte Hoffnung "Tante Mina" Dementsprechend ist die Geschichte des "Tante-Emma-Ladens" auch Heimatgeschichte. Dazu gehörte auch die Hilfe jenseits irgendwelcher Öffnungszeiten: "Geschäftszeiten gab es zu dieser Zeit noch nicht und ich erinnere mich, dass einmal Mitte der 60er Jahre meine Schwester und ich am Heilig Abend ganz ungeduldig und sehr aufgeregt auf das Christkind warteten. Tatsächlich klopfte es auch irgendwann endlich an der Küchentür (Haustürklingeln gab es ja noch nicht und die Haustür stand immer offen). Herein trat jedoch nicht das erwartete Christkind sondern ein Mann, der verschämt zugab, vergessen zu haben, ein Weihnachtsgeschenk für seine Frau zu besorgen und nun von meiner Mutter wissen wollte, ob sie wohl noch ein Nachthemd oder einen Unterrock in der passenden Größe, die meine Mutter ja sicherlich kennen würde, vorrätig hätte." Informationsbörse "Tante Emma-Laden" Und der Dorfladen war sowieso mehr als nur eine Einkaufsmöglichkeit. Heute würde man sagen, hier war das Kommunikationszentrum des Ortes. "Während man heute in der Schlange vor der Kasse schnell die Geduld verliert, war das Warten an der Kasse bei ,Tante Mina‘ eine willkommene Gelegenheit, sich mit den anderen wartenden Kunden auszutauschen: ,Hast dou vielläicht noch e poa Schloote-Plänzja fia mäich‘ oder ,Et jeft noch e Jewidda hout - ich sperren et in mäinem Hehna-Au (Hühnerauge)‘. Das Bezahlen der Ware war dabei manchmal Nebensache und so hieß es nicht selten: ,Schräiw et off‘, was bedeutete, dass ein kleiner Eintrag ins ,Schuldenbuch‘ erfolgte und die Ware zu einem späteren Zeitpunkt - zum Beispiel nach dem Verkauf einer Kuh - bezahlt wurde." Ein "Rippchen" Schokolade Und dann gab es ja noch eine Kundengruppe, die der rüstigen Einzelhändlerin ganz besonders ans Herz gewachsen war: "Auf der Ladentheke standen große Gläser, die mit bunten Bonbons gefüllt und schon für Pfennigbeträge zu haben waren - bunte Zuckerstangen und Dauerlutscher, an denen man über eine halbe Stunde lutschen konnte, waren schon etwas Besonderes. (...) Viele der Süßigkeiten von damals - wie die Lakritz-Pfeifchen, die vielgeliebten ,Rippchen‘ (ein Rippchen Schokolade kostete einen Groschen), Schleckmuscheln oder Eiskonfekt (Hütchen), gab es einzeln zu kaufen. Oft genug kam es vor, dass ein Kind, das für fünf Pfennige Süßigkeiten haben wollte, sehr lange überlegen musste, für welche Köstlichkeit es sich denn entscheiden sollte. ,Tante Mina‘ hatte aber immer sehr viel Geduld mit den Kindern und Verständnis dafür, dass eine solch schwierige Entscheidung schon mal etwas länger brauchte. (...) Generationen von Kindern werden gerne daran zurückdenken, dass es bei jedem Einkauf auch immer eine kleine Zugabe in Form eines ,Zuckersteinchens‘ von ,Tante Mina‘ für sie gab." Im Jahre 1981 trat "Tante Minas" Tochter Hildegard - mit abgeschlossener Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau und mehrjähriger Berufserfahrung als Marktleiterin - in das Geschäft ein und führte es bis zur Schließung zusammen mit ihrer Mutter.  Fotos: privat


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