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Dirk Schmidt: "Eine neue Phase der Unberechenbarkeit"

Der China-Experte und Politikwissenschaftler Professor Dr. Dirk Schmidt von der Universität Trier sieht China durch das Aufheben der Amtszeitbegrenzung des Staatspräsidenten auf eine Phase der Unberechenbarkeit zurückgeworfen. Der chinesische Nationale Volkskongress hat nun den Weg für eine Alleinherrschaft Xi Jinpings auf Lebenszeit freigemacht.
China-Experte und Politikwissenschaftler Professor Dr. Dirk Schmidt. Foto: Uni Trier

China-Experte und Politikwissenschaftler Professor Dr. Dirk Schmidt. Foto: Uni Trier

"Das ist eine Machtfülle des Staatspräsidenten, wie es sie seit mehr als drei Jahrzehnten nicht gegeben hat", betont Dirk Schmidt. Nicht nur Xi Jinping ist damit mächtig geworden, auch die Wirtschaft und der politische Einfluss Chinas waren noch nie so stark wie heute. Deswegen bleibe abzuwarten, wie Xi Jinping seine Macht geltend machen wird. Galt er doch in der westlichen Politik als Reformer. Falsch verstanden, sagt China-Experte Schmidt. Der Westen habe gehört, was er hören wollte. Von Beginn an, hätte Xi Jinping erklärt, er wolle die Rolle der Kommunistischen Partei stärken. Und die wird bald eine noch größere Rolle in Unternehmen in und außerhalb von China spielen als bisher. Ob diese Verfassungsänderung absehbar war, wie sich die chinesische Wirtschaftspolitik verändern wird und welche Folgen das für Europa hat. Dazu Professor Dr. Dirk Schmidt im Interview:  War diese Verfassungsänderung absehbar?
Politik-Professor Dirk Schmidt: "Es war überraschend, dass am 25. Februar so kurzfristig die Verfassungsänderung angekündigt worden ist. Nach dem Parteitag der Kommunistischen Partei im vergangenen Oktober gab es schon gewisse Anzeichen. Da ist die Ideologie Xi Jinpings in das Parteistatut aufgenommen worden und damit ist klar gewesen, dass er auf Lebenszeit der wichtigste Mann Chinas sein würde. Man hat aber nicht erwartet, dass er den Schritt gehen würde die Amtszeitbegrenzung formell aufzuheben. Natürlich ergibt das schon eine gewisse Logik. Die besteht
darin, dass das Amt des Präsidenten so wichtig ist. Denn 2023 wären die maximalen zehn Jahre Amtszeit vorbei gewesen und jemand neues hätte zum Präsidenten gemacht werden müssen. Dann hätte China unter Umständen zwei Führer gehabt: den Parteiführer und den Staatspräsidenten. Das wollte Xi Jinping vermeiden." Welche Bedeutung hat die Entfristung der Amtszeit für China?
"Die Bedeutung der Verfassungsänderung ist für die Volksrepublik China noch nicht ganz abzusehen. Einerseits könnte man sagen, dass politische Entscheidungen mit größerer Konsistenz und Entschlossenheit durchgeführt werden. Beobachter versprechen sich vor allem davon, dass längst überfällige Wirtschaftsformen, wie die Liberalisierung der Investitionsregeln für Ausländer oder die Privatisierung von Staatsunternehmen durchgeführt werden. Auf der anderen Seite steigen jetzt die politischen Risiken für China mittel- bis langfristig. Das gesamte politische System ist nun auf eine einzige Person ausgerichtet. Xi Jinping hat eine bisher nie da gewesene Macht. Was wird in Zukunft mit dem politischen System passieren? Eine große Unbekannte. In vielerlei Hinsicht ist das politische System wieder auf Intransparenz und eine Phase der Unberechenbarkeit zurückgeworfen worden, wie wir sie seit drei Jahrzehnten nicht mehr gesehen haben." Gibt es noch Gegengewichte im chinesischen Recht, die eine Willkür-Herrschaft verhindern?
"Es gibt überhaupt keine Tendenz die Rechtssicherheit in dem Land zu verstärken und Maßnahmen einzuführen, die einer Willkür-Herrschaft einer einzelnen Person entgegenstehen könnten. Neben dem Wegfall der Amtszeitbegrenzung kommt sogar noch dazu, dass eine staatliche Aufsichtskommission eingesetzt wird. So steht das jetzt in der Verfassung. Sie soll Korruption und ideologische Abweichung in der Partei, aber auch darüber hinaus im Staat bekämpfen. Mit diesem Gremium verschmelzen Parteistrukturen und Staatsorgane: Polizeiaufgaben, juristische oder politische Aufgaben in einer Struktur. Das ist eine neue Machtfülle der Partei gegenüber dem Staat. Das hat mit Rechtsstaatlichkeit oder Herrschaft von Normen, wie sie in China über lange Jahre auf der Agenda standen, nichts mehr zu tun." Heißt das im Umkehrschluss, dass das Vertrauen gegenüber dem chinesischen Staatspräsidenten sehr hoch ist?
"Da ist die Frage, wie es eigentlich zu diesem Schritt gekommen ist. Und das ist intransparent. Die offizielle Propaganda sagt, weil es ein Wunsch der Basisorganisationen der kommunistischen Partei gewesen wäre. Und es wäre ein Wunsch, der von der Bevölkerung an die Parteispitze herangetragen worden ist. Das ist natürlich Unsinn. Das kann man sich so nicht vorstellen." Welche Folgen hat das für Europa?
"Die Konsequenzen für Europa sind auch noch nicht absehbar. Immerhin ist China Deutschlands wichtigster Handelspartner. Das was jetzt in China passiert, trifft uns automatisch unmittelbar. Jede Instabilität in China fällt fundamental auf uns zurück. Viele Unternehmen, Hundertausende Arbeitsplätze, Milliarden von Aufträgen hängen am China-Geschäft. Wenn es in China eine politische Instabilität, wie eine Führungskrise, mal geben sollte, dann sind die Konsequenzen für Europa und auch Deutschland nicht berechenbar." Haben Sie Beispiele dafür, was passieren kann?
"Die Verschuldung von chinesischen Privatunternehmen und Staatsunternehmen ist in den vergangenen Jahren massiv gestiegen. Was wäre zum Beispiel, wenn der Aktienmarkt in die Krise gerät. Diese Krise kann jeder Zeit ausbrechen. Außerdem ist Donald Trump gerade dabei einen Handelskrieg, nicht nur mit Westeuropa, Kanada oder Mexiko zu provozieren, sondern auch mit China. Das ist ein völlig neues Handlungsfeld. Zu diesen außenwirtschaftlichen Risiken, die China hat, kommen noch ganz andere hinzu. Konflikte mit Taiwan, im Süd- und Ostchinesischen Meer (mit den ASEAN-Staaten und Japan). Das sind Spannungsfelder, die jederzeit außer Kontrolle geraten könnten. Stellen Sie sich vor, was passieren würde, wenn sich gleichzeitig eine außenwirtschaftliche und eine außenpolitische Krise entladen würden. Und dies allein muss von einer Person, Xi Jinping, gelöst werden. Das ist ein Szenario, das einen mit Unbehagen erfüllen muss. Man kann nicht erwarten, dass eine Person, das allein bewältigen kann. Diese Macht war mal auf viele Schultern verteilt. Seit 2013 ist das aber auf Xi Jinping allein zugeschnitten worden." Das heißt, es findet eine Machtkonzentration auf dem chinesischen Staatspräsidenten statt?
"Die Machtkonzentration auf Xi Jinping findet sogar in dreifacher Weise statt: als Generalsekretär der Partei, der alleinige Oberbefehlshaber über das Militär und das Amt des Staatspräsidenten. Wird sich die chinesische Politik verändern?
"Kurzfristig ist nicht damit zu rechnen, dass sich jetzt sehr viel ändern wird. Allein was die politische Gestaltung angeht, die Herausforderungen vor denen China momentan steht, sind diese zunächst einmal unabhängig von der Amtszeitverlängerung zu sehen."

Es wird noch weitere wichtige Entscheidungen auf dem Nationalen Volkskongress geben. Welchen von den kommenden sollte man noch Beachtung schenken?
"Es stehen noch wichtige Personalentscheidungen an. Das ist nochmal ein spannender Punkt, weil es in der Politik ja auch immer darum geht, wer welche Position hat. Wahrscheinlich ist, dass Wang Qishan zum Vizepräsident gewählt werden wird, der auf dem letzten Parteitag im Herbst 2017 aus seinem Amt als oberster Korruptionsbekämpfer ausscheiden musste, weil er die Altersgrenze von 68 Jahren erreicht hatte. Er gilt als rechte Hand Xi Jinpings. Man muss wissen, bisher war es eine von allen geteilte Norm: 'acht runter, sieben hoch'. Das bedeutete, wenn man 67 Jahre ist, kann man im Amt bleiben. Wenn man 68 Jahre ist, muss man von seinen Ämtern zurücktreten. Der Korruptionsbeauftragte war im vergangenen Jahr 69 Jahre und ist von all seinen Parteiämtern zurücktreten. Bei ihm war die Frage immer: tritt er wirklich zurück? Denn das war einer, der für Xi die 'Drecksarbeit' gemacht hat." An wen hat man sonst traditionell das Amt des Vizepräsidenten vergeben?
"In den vergangenen Jahren war der Vizepräsident immer jemand Jüngeres, um ihm das Training zum zukünftigen Staatspräsidenten zu geben. Zur Halbzeit der Zehnjahres-Periode, wie wir sie jetzt haben, ist stets ein jüngerer Kandidat ausgewählt und aufgebaut worden. Aber schon auf dem Parteitag hatte Xi Jinping keinen Nachfolger bestimmt. Jetzt wird unter Umständen sogar seine rechte Hand Vizepräsident werden. An der Stelle ist nochmal eine völlige Umkehrung von jahrelangen Prinzipien zu beobachten. Das ist überhaupt nicht zu unterschätzen, weil keiner weiß, was das für die Zukunft bedeuten wird." Galt Xi Jinping nicht zu Beginn seiner Amtszeit noch als Reformer?
"Ganz genau! Da war der Wunsch aber Vater des Gedankens. Es ist für mich eher die Frage, inwieweit der Westen Xi Jinping falsch verstanden hat. Man hat eigentlich das gehört, was man selbst hören und sehen wollte. Xi Jinping hat von Anfang an gesagt: 'Ich will die Rolle der Partei stärken.' 2013 hat er aber auch gesagt, er wolle die Rolle des Marktes stärken. Was die Beobachter entnommen haben war: Ja, er spricht von der Liberalisierung der chinesischen Wirtschaft. Darauf haben wir lang gewartet. Und jetzt kommt ein starker Mann. Es wäre doch toll, wenn das passiert. Jetzt sieht man, dass die Liberalisierung der Wirtschaft nur sehr vorsichtig umgesetzt wird, wenn überhaupt. Viel stärker ist die permanente Betonung der Führungsrolle der Partei. Das lässt sich in der Wirtschaft beobachten: In Privatunternehmen genauso wie in Unternehmen mit ausländischen Partnern, den Joint Ventures. Denn in ihnen werden momentan Parteizellen errichtet. Sie entsenden Führungskader, also führende Kommunisten, in das Management von Gemeinschaftsunternehmen. Und die sollen gleichberechtigt mit den Managern Unternehmensentscheidungen treffen. Das ist etwas, wo natürlich deutsche Manager sagen, mit so einer Entwicklung hätten wir nie gerechnet." Ist der Daimler-Coup ein Beispiel dafür?
"Immerhin ist ein großer Unbekannter, der Unternehmer Li Shufu nun Großaktionär von Daimler. Ja, der Einstieg von Geely bei Daimler ist natürlich ein Fall, der in den Kontext der deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen eingeordnet werden muss. Seit 2016 schwappt eine riesige Übernahmewelle von chinesischen Investoren über Deutschland. Da zählen jetzt die 10 Prozent der Aktienanteile von Li Shufu, dem Geely-Chef, bei Daimler mit hinein. Es ist völlig unklar bisher, wie es dem Unternehmer möglich war, an der Finanzaufsicht vorbei diese Anteile zu kaufen. Rein rechtlich hat Li Shufu oder eine Person seines Vertrauens jetzt die Möglichkeit im Aufsichtsrat von Daimler zu sitzen und da auch einen Einblick in die neuesten Technologien des Unternehmens zu erhalten. Das heißt ein chinesischer Investor hat Zugriff auf das gesamte Wissen von Daimler in Zukunftsbereichen. Ein anderes Problem ist, Daimler hat ja schon eigene Partner in China, BAIC oder BYD. Und zu diesen beiden wiederum ist Geely ein Konkurrent. Wie das sich in Zukunft ausgestalten wird, ist völlig offen."

Zur Person

Professor Dr. Dirk Schmidt vertritt zurzeit den Lehrstuhl für Politik und Wirtschaft Chinas an der Universität Trier. Schmidts Forschungsschwerpunkte sind die Außen- und Sicherheitspolitik Chinas, die politische Ökonomie Chinas und die China-Taiwan-Beziehungen. RED


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