"Eine List der kapitalistischen Vernunft
Aufkleber, Schlüsselanhänger und Keksausstecher: Was halten Sie von dieser Form des Merchandisings zur Karl-Marx-Ausstellung?
Martin Endreß: "Vorweg muss wohl einschränkend gesagt werden, dass es sich bei diesen Formen des Merchandisings nicht nur um solche vonseiten der Ausstellungsgesellschaft handelt, sondern dass hier ebenso andere Anbieter aktiv sind. Unabhängig von dieser Einschränkung ist meine persönliche Haltung zu dieser – vielleicht lässt sich sagen – exzessiven Vereinnahmung von Marx mit dem Ziel der Absatzsteigerung jedweder Produkte hochambivalent, wie sollte das auch anders sein? Meines Erachtens ist nicht nur die Seite der Anbieter, sondern eben auch die der Käufer entsprechender Produkte in den Blick zu nehmen. Sicher, die Annahme reiner 'Interessen' oder 'Bedürfnisse' aufseiten von Kunden ist eine ökonomistische Fiktion und Verkürzung. Denn Begehrlichkeiten von Kunden sind natürlich gesellschaftlich, also nicht zuletzt durch ‚den Markt‘ erzeugt und insofern wiederum auch eine Folge von Angeboten. Doch die Chancen sind im Falle des Marx-Jubiläums offenkundig außerordentlich hoch, entsprechende Produkte absetzen zu können. Wenn Sie so wollen: eine List der kapitalistischen Vernunft. Marx hätte sich also durchaus bestätigt gesehen. Ich selbst leiste mir hier eine Haltung ironischer Distanz."
Kann Merchandising wie die Marx-Badeente einem Ökonom, der eben für seine Kapitalismuskritik bekannt ist, gerecht werden?
"Die Phänomene, die Sie hier ansprechen, sind tatsächlich sehr breit gefächert: Neben Marx-Brillenputztüchern, Marx-Badeenten und Marx-Null-Euro-Schein haben wir in Trier inzwischen Marx-Brot, Marx-Wurst und sogar Marx-Männchen auf Verkehrsampeln. Das ist sicherlich skurril. Aber die vielfältige Angebotspalette lässt doch darauf schließen, dass es hier für die Anbieter reichlich Gelegenheit gibt, Profit zu machen: Aus Marx' Perspektive gehen 'die' Unternehmer und Unternehmen damit also vor allem ‚ihrer Bestimmung‘ nach und damit bestätigen sie seine Analyse des Profitstrebens. Warum also sollte gerade ein solches Verhalten ihm dann 'nicht gerecht' werden?"
Wird mit dem Vertrieb solcher Artikel nicht möglicherweise ein falsches Bild von Karl Marx gezeichnet?
"Die Frage nach dem 'richtigen' oder 'falschen' Marx-Bild ist meines Erachtens nicht in erster Linie eine Frage des Umgangs einer Stadt und/oder lokaler Unternehmen mit diesem Erbe oder eine der bitteren Ironien, dass in dem Haus, in dem Marx von seinem zweiten bis 18. Lebensjahr wohnte, nunmehr ein Ein-Euro-Shop eingezogen ist. Und sie ist im Übrigen wohl auch nicht vorrangig eine Frage der Größe und Platzierung von Denkmälern. Größeren 'Schaden' für das 'Bild von Karl Marx' haben da die bisherigen Editionen seiner Schriften und Werke sowie die hochgradig vereinseitigenden bis verunstaltenden Rezeptionen dieses Werkes mit sich gebracht. Denken Sie an die Stilisierung eines ‚Kapitalismus‘ – ein bei Marx kaum je anzutreffender Begriff. Denken Sie an die Stilisierung einer ausformulierten ‚Klassentheorie‘ – ein bei Marx bestenfalls fragmentarisch bearbeitetes Thema. Denken Sie an die Stilisierung eines ‚Marxismus‘ – ein Phänomen, dem Marx keineswegs zufällig mit dem Satz entgegengetreten ist: ‚Alles, was ich weiß, ist, dass ich kein Marxist bin.'"
Nun eine hypothetische Frage: Was denken Sie, was hätte Karl Marx davon gehalten, dass mit seinem Konterfei Profit betrieben wird?
"Spekulationen über Marx' Psyche möchte ich gerne anderen überlassen und dieser Frage eine theoretische Wendung geben: Marx war in seinen Analysen überaus aufmerksam auf widersprüchliche Prozesse, paradoxe Effekte und selbstzerstörerische Dynamiken. Insofern ließe sich der Umstand, dass der historisch wirkmächtigste Kritiker einer ausschließlich auf fortgesetztes Profitstreben ausgerichteten Wirtschaftsweise nun seinerseits zum Objekt eines entsprechenden Profitstrebens wird, gerade als ein solcher Effekt im Sinne der Analyse von Marx lesen. Erneut hätte er sich also vermutlich darin bestätigt gesehen, dass die Schamlosigkeit einer bestimmten 'Gesellschaftsformation' keinerlei Grenzen kennt."
Ein Interview mit ttm-Geschäftsführer Norbert Kähtler zum Karl-Marx-Merchandising lesen Sie hier.