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Die Zukunft der Landwirtschaft liegt in der Vergangenheit

Sattgrüne Weizenfelder, knallrot leuchtende Tomaten, keine anderen "unnötigen" Pflanzen weit und breit – eine auf nur wenige Ernteprodukte spezialisierte Landwirtschaft hat sich in ganz Europa immer weiter ausgebreitet. Ohne den großflächigen Einsatz von Agrarchemikalien und Düngemitteln, so befürchten die Befürworter dieser Produktionsweise, würde die Ernte erheblich schlechter ausfallen – von den finanziellen Verlusten in Landwirtschaft und Industrie ganz zu schweigen. Das Projekt Diverfarming geht genau vom Gegenteil aus. An der Uni Trier hat nun eine erste Arbeitstagung des Forschungskonsortiums Diverfarming stattgefunden.
Knapp 50 Vertreter von Wissenschaft, Landwirtschaft und Industrie aus zehn europäischen Ländern forschen gemeinsam im Projekt Diverfarming. Foto: Sheila Dolman, Universität Trier.

Knapp 50 Vertreter von Wissenschaft, Landwirtschaft und Industrie aus zehn europäischen Ländern forschen gemeinsam im Projekt Diverfarming. Foto: Sheila Dolman, Universität Trier.

Laut dem Projekt Diverfarming hinterlassen die exzessive Nutzung von Düngemitteln und Chemikalien, aber auch die intensive Bewirtschaftung von Flächen mit Großgeräten und der zunehmende Anbau von Monokulturen ausgelaugte Böden, vermindern die Pflanzenvielfalt und bergen somit auch wirtschaftliche Risiken. Ein Konsortium aus Wissenschaft, Industrie und Landwirtschaft mit Beteiligten aus zehn europäischen Staaten möchte zeigen, wie vergleichsweise einfache und vielfach in Vergessenheit geratene Praktiken die Landwirtschaft nachhaltiger machen können. Das auf fünf Jahre angelegte Projekt wird mit knapp 10 Millionen Euro gefördert von Horizont 2020, dem Rahmenprogramm der Europäischen Union für Forschung und Innovation.

Projekte in sechs bodenklimatischen Regionen

Die so genannten Low-Input-Praktiken werden an Anbauprojekte in sechs bodenklimatischen Regionen quer durch die Europäische Union angepasst und in Feldexperimenten untersucht. So hilft etwa gegen ausgelaugte Böden, auch zwischen den Ernten zusätzliche Früchte anzubauen, damit der Acker nicht monatelang brach daliegt. Auch leichtere Maschinen schonen die Böden. Gegen Unkraut kann man anstatt Pestizide zu verwenden auch kleinere Pflanzen wachsen lassen, die mit ihren Wurzeln den Boden vor Abtrag schützen und den Humusgehalt des Bodens fördern. Geerntet können diese Pflanzen zum Beispiel als Tierfutter verwendet werden. "Wir wollen zeigen, dass die Anwendung dieser und anderer, zum Großteil althergebrachter Praktiken das Agrarökosystem und seine Leistungsfähigkeit verbessert und gleichzeitig zusätzliche Produkte entstehen können, die dem Landwirtschaftsbetrieb Geld bringen. Dafür muss man zwar auch etwas in Kauf nehmen, etwa mehr Unkraut und eine geringere Ernte. Aber unterm Strich bleiben die Einnahmen gleich und die natürlichen Kräfte des Bodens werden genutzt und geschont", erläutert Prof. Dr. Sören Thiele-Bruhn, Leiter des Trierer Teilprojekts.

Untersuchungsdesign festgelegt

Bei ihrer ersten Arbeitstagung, die nun an der Universität Trier stattfand, haben die knapp 50 Teilnehmenden zunächst ein einheitliches Untersuchungsdesign festgelegt: Wann werden wo Bodenproben genommen, mit welcher Siebgröße wird die Erde gesiebt, wie soll der Humusgehalt bestimmt werden, sollen die Proben gekühlt oder eingefroren werden, wie werden die verschiedenen Methoden und Messungen genau und einheitlich durchgeführt? So sollen die Ergebnisse aus den einzelnen Studien miteinander vergleichbar werden.

Forschergruppen arbeiten mit Industrie und Landwirtschaft zusammen

Jede Forschergruppe arbeitet bei den Untersuchungen mit wenigstens einem Partner aus der Industrie oder Landwirtschaft zusammen. "Wir wollen uns nicht nur die Böden, sondern die gesamte Wertschöpfungskette anschauen. Die Einbindung von Partnern aus der Praxis erhöht von Vornherein die Chance, dass unsere Ergebnisse nicht als Meldungen aus dem Elfenbeinturm belächelt werden. Indem die Wirtschaft von Anfang an mit im Boot ist, erhöht das die Akzeptanz, dass sie danach die entsprechenden Konsequenzen zieht und steigert die Chance, dass sich wirklich etwas am Bewusstsein ändert", so Thiele-Bruhn. Die Trierer Forschergruppe aus der Bodenkunde und der Physischen Geographie arbeitet mit einem Winzer in Kanzem an der Saar zusammen, der schon lange Ökoweinbau betreibt und immer wieder neue Ansätze ausprobiert. Eine Herausforderung im Weinbau ist das Unkraut zwischen den Reben. Nimmt es überhand, wächst die Gefahr, dass die Reben zu viel Feuchtigkeit ausgesetzt sind. In der Regel wird das Unkraut in den Reihen mechanisch entfernt, was allerdings den Böden zusetzt. Der Ökowinzer will dem Unkraut nun damit beikommen, dass er niedrigwachsende Kräuter anbaut. Der Plan ist, den Thymian und Oregano ebenfalls zu ernten und als Beimischung für Tierfutter zu verkaufen. Die spanische Forschergruppe arbeitet mit einer Olivenplantage zusammen, die Italiener mit einem Nudelhersteller und wieder andere mit einem Hersteller von landwirtschaftlichen Großgeräten. "Die Partner aus der Wirtschaft wollen mit der Teilnahme am Forschungsprojekt natürlich auch ihr Image verbessern und ihren Kunden zeigen 'Schaut her, wir tun was'. Das kann man aber keineswegs als Greenwashing abtun. In den Gesprächen mit den Vertretern der Wirtschaft wird deutlich, dass sie wirklich daran interessiert sind, die Landwirtschaft in eine andere Richtung zu lenken, weg von riesigen, eintönigen Flächen, hin zu mehr Biodiversität. Ziel ist es, nicht nur unsere natürlichen Ressourcen zu schonen, sondern auch das Landschaftsbild insgesamt zu verbessern. Daran ist allen gelegen."


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