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Schlaflos in Deutschland: Jeder Dritte findet keine Ruhe

Der berühmte Regisseur Rainer Werner Fassbinder sagte einmal: »Schlafen kann ich noch, wenn ich tot bin.« Genau das scheint die Devise in unserer heutigen, schnelllebigen Leistungsgesellschaft zu sein, in der es heißt »Viel leisten und möglichst wenig schlafen«. Schlafstörungen und chronische Schlafdefizite werden zum Dauersyndrom. Die schlimmsten Folgen: Herzinfarkt und früher Tod. Wie wichtig ist daher ein gesunder Schlaf und was ist überhaupt gesunder Schlaf? Darüber haben wir mit Dr. med. Joachim Vogt, Chefarzt der Pneumologie, Abteilung Innere Medizin III, des Brüderkrankenhauses Trier, gesprochen.

Herr Dr. Vogt, was wissen wir überhaupt über den Schlaf? Warum wir schlafen ist im Prinzip die große Frage. Wir wissen nur, dass wir schlafen müssen. Schlafen ist ein Grundbedürfnis wie Essen und Trinken. Das heißt, wenn wir einem Menschen konsequent den Schlaf entziehen, wird er sterben. Im alten China zum Beispiel war Schlafentzug eine Methode, um Menschen umzubringen. In der griechischen Historie heißt es, dass der letzte Makedonen-König Perseus durch Schlafentzug gestorben ist. Mitte der 60er Jahre wurde das Thema Schlaf intensiv beleuchtet. So hält es ein Mensch rund elf Tage und elf Nächte ohne richtig zu schlafen aus. Die Teilnehmer des Versuchs wurden teilweise verwirrt und haben körperlich massiv abgebaut. Obwohl man versucht hat, die Menschen wach zu halten, sind sie immer wieder in kurzen Schlaf gefallen. Warum müssen wir schlafen?
Wir brauchen den Schlaf, um fit und leistungsfähig zu sein. Wenn wir zu wenig schlafen, führt das in jedem Fall zu einer deutlichen Einschränkung der geistigen und körperlichen Leistungsfähigkeit. Die Konzentrationsfähigkeit und das Gedächtnis lassen nach und wir werden anfälliger für Infektionen. Wahrscheinlich ist es auch so, dass Krebserkrankungen wegen der Beeinträchtigung des Immunsystems begünstigt werden. Ein Phänomen unserer Zeit ist ja, dass wir eine immer schlaflosere Gesellschaft haben. Welche Ursache hat das? Die Entwicklung von einer Agrar- in eine Industriegesellschaft  hat unsere technischen Möglichkeiten enorm erweitert. Die Erfindung der Glühbirne und des künstlichen Lichts allgemein macht die Nacht zum Tage. Maschinen werden rund um die Uhr eingesetzt, arbeiten im 24 Stunden Betrieb besonders ökonomisch. Nachts vergnügen wir uns, der Schlaf besitzt für viele Menschen keinen Stellenwert mehr, er wird nur noch lästiges Übel betrachtet. Das passiert bei einer  Polysomnografie (Schlafuntersuchung) bzw. was geschieht im Schlaf? Wir messen die Hirnstromkurve, die Muskelspannung und die Augenbewegung. Mit diesen drei Hilfsmitteln analysieren wir den Schlaf. Wir unterscheiden drei Schlafphasen – vom Einschlafen über den Leichtschlaf bis hin zum Tiefschlaf und die  REM-Schlafphase (REM: Rapid Eye Movement = Augenbewegung), während der unser Gehirn hellwach ist und im Traum die Geschehnisse des Tages verarbeitet. Wichtiges wird gespeichert, Unwichtiges gelöscht. Jeder träumt und wir können uns nur an den Traum erinnern, wenn wir zwei bis drei Minuten danach wach sind. Ansonsten sind wir immer nur ganz kurz wach, so dass wir keine Erinnerung haben.  Während das  Gehirn in der Traumphase hellwach ist, ist unser Körper im Prinzip völlig gelähmt. So wird verhindert, dass wir unsere Träume auch körperlich ausleben. Wie viel Stunden Schlaf braucht der Mensch? Siebeneinhalb Stunden sind eine normale Schlafzeit, aber auch hier gibt es Abweichungen. Was man weiß ist, dass der Mensch Tiefschlaf braucht, um sich gut zu fühlen und leistungsfähig zu sein.
Was passiert mit uns, wenn wir auf Dauer zu wenig schlafen?
Permanenter Schlafmangel macht dumm, krank und dick, da ist schon ein bisschen was dran. Das Gedächtnis leidet, die Anfälligkeit für Infektionen wächst,  und wer schlecht schläft, legt  auch an Gewicht zu.  Das im Schlaf den Hunger bremsende Hormon Leptin wird nicht mehr in ausreichender Menge gebildet. Wann muss man zum Spezialisten? Drei oder vier Nachte mit nicht erholsamem Schlaf sind kein Grund, in Panik zu geraten. Oft sind es besondere Situationen  wie  Stress, Todesfälle oder dergleichen, die uns den Schlaf rauben. Wenn eine Schlafstörung länger als vier Wochen besteht und das Tagesbefinden beeinträchtigt, sollte man mit seinem Hausarzt darüber sprechen. Wann sind wir am leistungsfähigsten? Wann sollten wir besser keine Termine machen? Es gibt eine Zeit, in der man nicht schlafen kann,  abends zwischen  19 bis 20 Uhr!! Das ist quasi eine schlaffreie Zone. Nachts um drei haben wir einen Tiefpunkt, einen zweiten, weniger stark ausgeprägten um die Mittagszeit.  Da ist unsere Leistungsfähigkeit am Boden. Besonders leistungsfähig sind wir am späten Vormittag und am Nachmittag zwischen 16 und 17 Uhr. Vielen Dank für das Gespräch und die Möglichkeit, einmal eine Nacht bei Ihnen im Schlaflabor zu verbringen. Interview: Andrea Fischer Tipps zum besseren Schlafen:
Ab mittags sollte man keinen Kaffee, keinen schwarzen oder grünen Tee oder Cola mehr trinken. Bier oder Wein am Abend können zwar das Einschlafen beschleunigen, in der zweiten Nachthälfte wirken sie als Ruhestörer. Deshalb empfiehlt es sich, mindestens zwei Stunden vor dem Zubettgehen auf Alkohol zu verzichten. Das Abendessen sollte man mindestens drei Stunden vor dem Einschlafen zu sich nehmen.   Ein opulentes Abendessen regt die Magen- und Darmaktivität an und lässt den Schlaf unruhiger und oberflächlicher werden. Gebratene und stark blähende Speisen werden vor dem  Zubettgehen in der Regel schlecht vertragen.
Sinnvoll ist es auch, mindestens zwei Stunden vor der Schlafenszeit keine anstrengenden geistigen und körperlichen Tätigkeiten mehr auszuüben. Stattdessen helfen jetzt Entspannungsmethoden, um vom Aktivitäts- in den Ruhemodus zu gelangen. Musik, möglichst weich und leicht, eignet sich wunderbar dafür. Stücke mit 60 bis 70 Beats pro Minute sind ideal, denn dieses Tempo entspricht dem Herzschlag.
Vor allem schlechte Schläfer sollten immer zur selben Zeit ins Bett gehen und möglichst  zur gleichen Zeit morgens aufstehen.   Diese Methode wenden Eltern an, um mit Kleinkindern das Einschlafen und Durchschlafen zu trainieren. Auch Erwachsene mit Schlafstörungen sollten sich daran halten.

EXTRA

Wir verschlafen ein Drittel unseres Lebens. Ein gesunder Mensch im Alter von 75 Jahren hat 216 000 Stunden Schlaf hinter sich. Nachts finden lebenswichtige Prozesse statt: Nervenzellen verknüpfen sich, Proteine werden aufgebaut. Während des Schlafs laufen wichtige Wundheilungsprozesse ab, das Immunsystem wird stabilisiert, die Zellen regenerieren sich. Im Schlaf entrümpelt sich das Gehirn, Eindrücke des Tages werden verarbeitet. Dennoch ist Schlaf ein weitgehend unbewusster Prozess, der sich dem eigenen Willen entzieht. Der Deutsche schläft sieben Stunden und 14 Minuten.  Der Durchschnittsdeutsche geht, wie Wissenschaftler festgestellt haben, um 23.04?Uhr ins Bett, schläft 15 Minuten später ein und wacht nach sieben Stunden und 14 Minuten auf. In der ersten Phase ist der Schlaf am tiefsten, etwa um drei Uhr ist biologische Geisterstunde. Danach wird der Schlaf wieder leichter. Die Körpertemperatur steigt, der Melatonin Pegel, der den Tiefschlaf bestimmt, fällt wieder. Der Körper schüttet Cortisol aus – ein Stresshormon, das als Wachmacher arbeitet. Testen Sie Ihr Wissen auch in unserem Quiz zum Tag des Schlafes am 21. Juni!


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