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Ohne Angst ums eigene Leben

Delegation der IGFM Wittlich um Katrin Bornmüller ist heil zurück aus dem Irak

Eine Sache ist es, über das Elend der Welt zu palavern und sich wieder dem Fußball oder der jahreszeitlich passenden Küchendeko zuzuwenden. Eine andere, dem Elend der Welt entgegenzufahren und etwas dagegen zu tun.   Katrin Bornmüller tut etwas. Gerade war sie wieder im Norden von Irak, in der autonomen Kurdenrepublik. Größer und tragischer als das sprachliche ist das menschliche Tohuwabohu. »Tausende Männer sind erschossen und lebendig begraben, Frauen und Mädchen versklavt worden, und in jedem Loch leben Flüchtlinge«, berichtet Bornmüller, die mit vier Jesiden, die in der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte IGFM aktiv sind,  ins Krisengebiet geflogen war. Die personelle Unterstützung war notwendig. Einen Hilfstransporter durch die Türkei bis an die syrische oder irakische Grenze zu fahren ist nur der erste Schritt zu direkter Hilfe mitten hinein in Flüchtlingsgebiete. Auch der zweite Schritt hat Tücken: die Hilfsgüter durch den Zoll zu bekommen und vor Ort zu verteilen. Schwierigkeiten mit Zöllnern bis hin zur Vernichtung der gesamten Ladung sind vorprogrammiert. So auch auf diesem, dem sechsten Transport der IGFM zu christlichen und jesidischen Flüchtlingen in der Region Derebun.   SPIESSRUTENLAUFEN Peschmerga kontrollieren auf den Straßen etwa alle 20 Kilometer. Niemand ist sicher. Umso kostbarer die persönlichen Beziehungen: Die Wittlicher Truppe schlief u.a. in Dohuk bei Verwandten von Cihan Aldemir. Die begleiteten sie auch als Fahrer zum Zoll und zurück, von Gouverneur zu Vizegouverneur, Polizeidirektor und Bürgermeister, von der Grenze nach Dohuk und zurück, Stempel in Dohuk oder anderswo abholen, eine Empfängeradresse fingieren, weil die ursprüngliche plötzlich nicht legal war: Die Schilderungen Bornmüllers zeichnen das Bild eines tagelangen Spießrutenlaufens. Bis zu einem Dutzend Zöllner standen zu mancher Stunde um die Deutschen herum. Jeder hatte eine andere Begründung, warum er den Wagen nicht durchlassen konnte. »Einer sagte sogar: Lasst sie doch durch!« Geholfen hat letztendlich ein junger, in Deutschland geborener Zollbeamter. »Und auch der brauchte nochmal vier Stunden.« Zwei Beamte beaufsichtigten anschließend die Verteilung der Rollstühle, Rollatoren, Pflegebetten, Nähmaschinen, Pflegeartikel, Schuhe (ganz begehrt), Kleidung und Nahrungsmittel, deren Wert am Zoll auf 50.000 bis 100.000 Euro geschätzt wurde.   UNGLAUBWÜRDIG Der Lohn der Plage: »Jetzt kennt man die IGFM in Kurdistan besser. Die Registrierung der IGFM im Irak ist beantragt. Und wir haben jetzt eine Empfängeradresse.«  Groß sei das Elend, das man gesehen habe, noch größer das, von dem die Flüchtlinge erzählten. Trotzdem geht die Arbeit weiter. Beim nächsten Mal wird für das Shingal-Gebirge geladen. Dort sei alles am schlimmsten, nichts als Augenwischerei der Besuch der Kanzlerin in einem Muster-Flüchtlingslager im türkischen Kurdistan, sagt die IGFM-Aktivistin. Nicht die Türken, sondern die Kurden würden geflüchtete Jesiden und Christen dort versorgen. »Der Westen ist vollkommen unglaubwürdig geworden. Er schaut dem Krieg nur zu.« Katrin Bornmüller und Muho Boga  werden wieder ins Krisengebiet fahren. Definitiv. Die Delegation nutzte den Aufenthalt  für Gespräche mit Frauen, die vom IS als Sklavinnen gehalten worden waren. Die Namen müssen geheim bleiben: »Selbst innerhalb Deutschlands verraten Spitzel den Aufenthaltsort freigekaufter Sklavinnen.«   FRAUENSCHICKSALE Die 21-jährige L. aus Kocho berichtet, wie alle Dorfbewohner, die älter als 50 Jahre waren, erschossen oder lebendig begraben wurden. Sie selbst wurde von einem zum nächsten Mann verkauft, überall vergewaltigt und gefoltert. Als sie nicht mehr zu missbrauchen war, wurde sie der Mutter übergeben. Heute lebt L. in Deutschland und erhält psychologische Hilfe.   S. erfuhr schon mit 15 Ähnliches. Drei Tage vor dem Interview hatte die Organisation »Liberation of Christian and Yazidi Children of Iraq« sie für 7.000 Dollar freigekauft. Als Gefangene wurde sie schwanger, gebar das Kind, das der Gewalttäter ihr abnahm. Danach wurde sie weiterverkauft. Die Peschmerga brachten sie, völlig traumatisiert, zurück zur Mutter. Der IS hat 28 ihrer Familienangehörigen geraubt, nur vier sind befreit.   F. war erst drei Tage vor dem Gespräch  dem IS entflohen. Viel erfuhr die IGFM nicht: F. weinte ohne Unterbrechung. Mitsamt ihrer fünf Kinder hatte sie bei einer arabischen Familie um Hilfe ersucht und sie erhalten. Die Gruppe kam in einem Waisenhaus unter. Ihren Mann hält der IS noch immer fest.                                       Foto: P.Geisbüsch       pug


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