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Ein Zeichen der Erinnerung fehlt

Hinter dem Namen "Zeisig" verbirgt sich kein Vogel, sondern ein düsteres Kapitel der Geschichte unserer Heimat. Der Deckname stand für ein Rüstungsprojekt, das 1944 im unvollendeten Eisenbahntunnel zwischen Treis und Bruttig entstehen sollte und viele Zwangsarbeiter das Leben kostete.

Es nieselt - November-Wetter halt - als sich eine Gruppe rund um die Grüne-Landtagsabgeordnete Katharina Binz am Cochemer Bahnhof trifft. Das wenig beschauliche Wetter passt irgendwie zum Thema, denn die Politikerin aus Mainz hat eine Exkursion zu den Stätten des ehemaligen "KZ-Außenlagers Kochem-Bruttig-Treis" organisiert. An ihrer Seite ist der Treiser Guido Pringnitz, der als Autor des Buches "Deckname Zeisig: Dokumentation zum Treis-Bruttiger Tunnel" die Geschichte des Bauwerks und des menschlichen Elends aufgearbeitet hat. Zwangsarbeiter für die Kriegsmaschinerie Im März 1944 sind die ersten 300 Häftlinge aus dem KZ Natzweiler-Struthof am Cochemer Güterbahnhof angekommen und in Holzschuhen und Häftlingsbekleidung nach Treis und Bruttig geführt worden, um dort einen sicheren Produktionsstandort für die Flugzeugindustrie der nationalsozialistischen Kriegsmaschinerie zu schaffen. Mehr als 2.000 Zwangsarbeiter waren von März bis September 1944 im "Außenlager Kochem-Bruttig-Treis", das in der Dokumentation von Guido Pringnitz einen großen Raum einnimmt (im Buch ist eine Liste von 1.527 Häftlingen aus 17 Nationen hinterlegt). Alleine in den ersten drei Wochen sind, so die Recherchen des Treisers, 80 Häftlinge gestorben. Im April kamen Häftlinge aus den Konzentrationslagern Lublin und Maidanek, im Sommer dann aus Auschwitz. Männer, die ohne Schuhe an die Mosel kamen, nur mit den Kleidern, die sie anhatten. Flüchtige KZ-Häftlinge wurden gehängt 13 Häftlingen gelang die Flucht. Nach dem Ergreifen der Flüchtigen wurden sie in die Lager zurückgebracht - im Glauben wieder arbeiten zu müssen. Ihr Schicksal war ein anderes: In Treis wurden sechs und in Bruttig sieben Männer gehängt. Heute noch stehen in Bruttig Baracken aus dieser Zeit. Sie sind eines der wenigen sichtbaren Zeichen, die heute noch da sind. "Die Fenster sind sogar noch aus der Zeit", erklärt Guido Pringnitz an einer Baracke. Und dann gibt es noch zwei Bunker, die zwischen Valwig und Bruttig in den Weinbergen stehen und deren horrende Abrisskosten ihr Verschwinden verhindert haben. Ein Zeichen der Erinnerung fehlt "Wir haben keinen Punkt der Erinnerung. Ich appelliere daran ein zentrales Zeichen zu erstellen", fordert nicht nur der Cochemer Stadtbürgermeister Wolfgang Lambertz, der am Cochemer Bahnhof zur Gruppe gestoßen ist. Mit dem Buch "Ich habe immer nur den Zaun gesehen" von Ernst Heimes und der Dokumentation von Guido Pringnitz habe er viel über die Geschichte erfahren, lobte Lambertz die Autoren. Mit der Unterstützung der Landeszentrale für politische Bildung sei ein guter Weg eingeschlagen, die Geschichte des KZ-Außenlagers weiter aufzuarbeiten. "Wir können hier keinen Schlussstrich ziehen, denn vieles ist noch nicht bekannt", bekennt Katharina Binz während der Exkursion. Sie, die an der Mosel und auf dem Hunsrück groß geworden ist, war das alles lange überhaupt nicht bekannt. Nicht die Einzige. Das KZ Kochem-Bruttig-Treis Das KZ war ein Außenlager des Konzentrationslagers Natzweiler-Struthof (Elsass). Es wurde 1944 angelegt, um den unvollendeten Eisenbahntunnel zwischen Treis und Bruttig zu einer Anlage für Zündkerzen für die Flugzeugproduktion umzusetzen. Mehr als 2.000 Zwangsarbeiter wurden eingesetzt. Hunderte bezahlten es mit ihrem Leben.Das Lager bestand zwischen dem 10. März und dem 14. September 1944. Kommentar von Stefan Pauly Ich höre schon die Bedenkenträger, die davon sprechen, man solle sie doch in Ruhe lassen mit der Vergangenheit. Damit hätten sie doch nichts zu tun und übrigens hätten ja auch andere Länder eine nicht immer rühmliche Geschichte. Darüber würde ja keiner berichten und das sei ja auch schlimm gewesen. Das mag ja alles sein, aber wer seine Geschichte vergisst, der setzt auch seine Zukunft aufs Spiel. Wer hätte jemals gedacht, dass der Krieg in den 1990er Jahren auf dem Balkan tobt, dass seit geraumer Zeit in der Ukraine Waffen sprechen - mitten in Europa. Deshalb erinnert Euch an die Vergangenheit, damit Ihr nicht vergesst, wie unmenschlich der Mensch sein kann. Es ist keine Schande sich der Geschichte bewusst zu sein.  Fotos: Pauly


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