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Deutsches Reinheitsgebot: Hindernis oder Qualitätsmerkmal?

Seit 1995 wird jährlich am 23. April der Tag des Deutschen Bieres gefeiert. Dieser Tag erinnert an eine der ältesten Lebensmittelverordnungen der Welt: das Deutsche Reinheitsgebot von 1516. Das wurde vor genau 500 Jahren erlassen. Aber ist das Gebot, das in deutschem Bier nur Malz, Hopfen, Hefe und Wasser als Rohstoffe vorsieht, noch zeitgemäß? Der WochenSpiegel hat mit Brauexperten über die Traditionen und deren Bruch gesprochen.

»Ein umstrittenes Thema. Für viele ist es zeitgemäß, für manch junge, wilde Brauer allerdings nicht«, sagt Sebastian Nguyen, Biersommelier und Chef-Braumeister der Trierer Brauerei Kraft Bräu. »Ich schätze es sehr und pflege gerne diese Tradition. Wir haben noch viele Möglichkeiten, innerhalb des Reinheitsgebotes eine tolle Biervielfalt zu zeigen. Und es ist ja die hohe Braukunst aus nur vier Rohstoffen eine so große Vielfalt enstehen zu lassen. Aber, es sind auch Hilfsmittel wie PVPP (Polyvinylpolypyrrolidon als Filtermittel) erlaubt, die wie ich finde im Bier nix zu suchen haben.«, sagt Nguyen.

Das Reinheitsgebot ist aktueller denn je

Ein absoluter Verfechter des Reinheitsgebots ist Christian Klahm. Der Diplom-Braumeister ist Geschäftsführer der Trierer Petrusbräu. »Selbstverständlich ist das Reinheitsgebot heute noch sinnvoll und aktueller denn je. Durch diese Vorschrift schaffen wir einen Qualitätsvorteil gegenüber Mitbewerbern. Durch die Tatsache, dass durch den Craft-Beer-Trend alles, was sich nicht oder zu wenig wehrt, in Getränken verarbeitet wird, die dann Bier genannt werden, haben wir eine Situation wie zu den Zeiten bevor das Reinheitsgebot erlassen wurde. Daher ist und bleibt das Reinheitsgebot ein wichtiger Bestandteil eines jeden vernünftigen Brauers.«

Eine Empfehlung

Hans-Günter Felten, Diplom-Braumeister und Inhaber des Mannebacher Brauhauses, zieht einen Vergleich: »Ebenso wie die zehn Gebote ist das Reinheitsgebot nur eine Empfehlung. Man kann sich danach richten, muss es aber nicht. Wohl dem, der die Vorzüge erkennt. Dass immer mehr Menschen aus der ganzen Welt ‚gutes deutsches Bier‘ verlangen, macht das Reinheitsgebot aus meiner Sicht zu einem klaren Qualitätsmerkmal.«

Sicherheit für Konsumenten

Michael Berthold, Braumeister und Inhaber der Klosterbrauerei Machern, schließt sich dem an. »Gerade durch das Reinheitsgebot genießt deutsches Bier im Ausland einen hervorragenden Ruf, stetig steigende Zahlen für den Export der Branche bestätigen das«, sagt Berthold. »In Zeiten, in denen in regelmäßigen Abständen bei anderen Lebensmitteln Skandale aufgedeckt werden, gibt das Reinheitsgebot den Konsumenten Sicherheit. In Deutschland werden aus den vier Rohstoffe Wasser, Malz, Hopfen und Hefe von circa 1.600 Brauereien mehr als 5.000 verschiedene Biere gebraut. Auch eine große Zahl 'neuer' Bierstile aus dem Craft-Bier-Segment lässt sich mit diesen vier Rohstoffen herstellen.«

Eng verbunden

»Kein Begriff ist mit dem deutschen Bier so eng verbunden und steht so explizit für hohe Qualität wie das Reinheitsgebot. Wenn man an Deutschland denkt, denkt man auch an eine Biernation, und das haben wir zu einem großen Teil dem Reinheitsgebot zu verdanken«, erklärt Jan Niewodniczanski, Geschäftsführer der Bitburger Braugruppe und verantwortlich für das Ressort Technik. »Das deutsche Reinheitsgebot ist für die Bitburger Braugruppe die Grundlage unseres Qualitätsverständnisses. Dass das Reinheitsgebot auch 500 Jahre nach seiner Einführung durchaus zu modernen und innovativen Produkten führt, zeigt sich an der Vielfalt an Biersorten, die jeden Tag gebraut werden. Hervorzuheben ist hier auch unsere eigene Versuchsbrauerei, in der mit Craftwerk internationale Bierstile neu interpretiert und gebraut werden – und zwar nach dem deutschen Reinheitsgebot.«

Nicht mehr zeitgemäß

»Ich halte das Reinheitsgebot nicht mehr für zeitgemäß, da in den letzten Jahren das Biergesetz, im Bezug auf die industrielle Herstellung, um Zusatzstoffe wie beispielsweise Filtermittel erweitert wurde«, erklärt Henrik Stöppler, Brauer im Brauhaus Zils in Naurath. Unverzichtbar "Für die deutsche Brauindustrie ist das Reinheitsgebot ein unverzichtbares Qualitätssiegel. Im Zuge der letzten Lebensmittelskandale aktueller denn je",sagt Markus Lotz, Braumeister im Brauhaus Cues in Bernkastel-Kues. "Im Bezug auf den Weltmarkt ist das Gebot zum Teil ein Nachteil. Letzten Endes liegt es in der Entscheidung der Konsumenten, ob diese ein Bier genießen möchten, das nicht nach dem Reinheitsgebot gebraut wurde", so Lotz.

Geschmack kennt keine Konventionen

Die Braumeister der Region halten sich bei ihrer Arbeit strikt an das Deutsche Reinheitsgebot von 1516. Doch wissen sie auch Biere zu schätzen, die nicht gemäß der 500-jährigen Richtlinie gebraut wurden. Sebastian Nguyen (Kraft Bräu): Traditionelle internationale Brauereien haben ganz besondere Bierstile wie Witbier oder Coffee Porters. Biere, die mit Koriander, Orangenschalen, aber auch mal mit Kaffee oder Früchten gebraut werden. Auch im nationalen Craft-Beer-Bereich gibt es solche Braukreationen, die mit Ausnahmen, aber leider nicht immer zugelassen werden. Ich schätze diese Biere sehr, denn jedes Land und jede Brauerei haben ihre eigene Philosphie und Tradition, Biere zu brauen. Ich schaue gerne über den Tellerrand.
Hans-Günter Felten (Mannebacher Brauhaus): Es gibt selbstverständlich auch erfolgreiche Biere, die nicht nach dem Reinheitsgebot gebraut werden. Das ist auch völlig in Ordnung so, denn Veränderungen lassen sich eben nicht von Traditionen aufhalten.
Michael Berthold (Klosterbrauerei Machern): Es gibt einige Länder mit eigener Braukultur – Belgien, Frankreich, England –, in denen auch sehr gute Biersorten gebraut werden. Zum Teil haben diese Länder ein eigenes Reinheitsgebot.
Jan Niewodniczanski (Bitburger Braugruppe): Ich bin absolut der Meinung, dass es hervorragende Biere gibt, die nicht nach dem Reinheitsgebot gebraut wurden. Eines davon stammt sogar aus unserem eigenen Brauereiverbund. Mit dem Köstritzer Witbier bieten wir Spezialitätenliebhabern durch die Veredelung mit Orangenschalen und Koriander ein besonderes Geschmackserlebnis. Henrik Stöppler (Brauhaus Zils): Ich persönlich möchte traditionelle Biere wie Gose, Grutbier oder Milk Stout nicht missen. Markus Lotz (Brauhaus Cues): Alle Biere, die mit natürlichen Rohstoffen gebraut werden, sollten Beachtung finden. Was spricht zum Beispiel gegen Honig im Bier? Belgische Kirschbiere sind meines Erachtens ausgezeichnet. Lieber würde ich in Bieren natürliche Rohstoffe, wie Kräuter, Honig und Gewürze genießen. Anstelle von Cola oder Grapefruitaroma, den chemischen Zusätzen in „deutschen Biermischgetränken“.


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