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Wertevermittlung als Mittel gegen Radikalisierung

Rund 40.000 Anhänger hat die Ahmadiyya Muslim Gemeinschaft in Deutschland. Damit gehört sie zu den größeren muslimischen Organisationen. 100 Mitglieder gibt es in Trier. Die Organisation versteht sich als Reformgemeinde und steht nach eigenen Angaben für Toleranz und Gleichberechtigung der Geschlechter. Der WochenSpiegel hat mit dem Landesbeauftragten Navid Ahmed über Integration, den Islamischen Staat und US-Präsident Donald Trump gesprochen.

Navid Ahmed ist gläubiger Moslem. Zum Interview trägt er eine Takke, eine Gebetsmütze für muslimische Männer. Zur Begrüßung nickt er und drückt die Hand aufs Herz. Einen Handschlag gibt es nicht. Männer und Frauen, die weder verwandt noch verheiratet sind, sollten sich seiner Überzeugung nach nicht berühren. Dass im westlichen Kulturkreis die Handverweigerung als Zeichen der Respektlosigkeit gewertet wird, versteht Ahmed. Er betont aber, dass es nicht so gemeint ist. Kritiker werten das gerne als mangelnden Integrationswillen, Navid Ahmed sieht das anders. "Integration ist ein Wechselprozess. Wir haben zwar unsere Prinzipien, aber wir geben der Gesellschaft an anderen Stellen etwas wieder", sagt Ahmed und meint damit beispielsweise die Kehraktion auf dem Trierer Viehmarkt, bei der 35 junge Muslime am Neujahrsmorgen den Platz vom Silvestermüll befreiten. "Wir organisieren auch Benefizläufe für Kinderhilfeeinrichtungen, Blutspendeaktionen und Freundschaftsspiele mit verschiedenen Sportvereinen. Das ist unser Zeichen der Integration. Es ist beispielsweise das Ziel unserer Jugendarbeit, Jugendliche zu selbstbewussten und wertvollen Menschen für die Gesellschaft auszubilden", erklärt der 31-Jährige, der auch regionaler Jugendleiter der rheinland-pfälzischen Ahmadiyya Muslim Jugendorganisation ist.

Toleranz und Gleichheit

Die Ahmadiyya Muslim Jamaat Gemeinde entstand im 19. Jahrhundert und wurde von dem Inder Mirza Ghulam Ahmad gegründet. "Der Hauptunterschied zu anderen muslimischen Gemeinschaften ist, dass wir glauben, dass unser Gründer der im Koran und von Mohammed prophezeite Messias ist", sagt Navid Ahmed. Die Ahmadiyya selbst sieht sich als Reformgemeinde. "Wir stehen für Toleranz, die Trennung von Staat und Religion und die Gleichheit von Mann und Frau. Uns ist wichtig, dass Frauen alle Bildungswege offen stehen und sie ihre Interessen frei ausleben können", sagt Ahmed, der selbst zwei Töchter hat. 

Aufklärungsarbeit wichtig

Wichtig ist Navid Ahmed aber die Aufklärungsarbeit. "Die Lage in Europa ist momentan generell schwierig, man steuert in eine Richtung, die sehr problematisch ist. Es gibt leider eine Menge Ressentiments, die für Wahlkämpfe genutzt werden. Wir versuchen mit verschiedenen Veranstaltungen, bei denen wir über den Islam informieren, dagegenzuhalten." Erreichen möchte Ahmed aber nicht nur Andersgläubige, sondern auch seine Glaubensbrüder, und zwar gerade die, die potenziell gefährdet sind, sich extremistischen Terrororganisationen anzuschließen. "Es sind meistens unorganisierte Muslime, die überlaufen. Bei ihnen ist die Radikalisierung einfacher. Ich glaube, dass es für viele von ihnen das Abenteuer ist, das sie antreibt. Die Religion hat weniger damit zu tun, zumal der IS gezielt Koran-Passagen auswählt und aus dem Zusammenhang reißt." Als Beispiel nennt Ahmed den Vers "Kämpfe gegen Ungläubige", der von der Terrormiliz gerne für ihre Zwecke missbraucht wird. "Dieser Vers hat im Zusammenhang mit dem Koran eine ganz andere Bedeutung. Er bezieht sich historisch gesehen auf den Propheten Mohammed, der sich gegen jene verteidigen sollte, die den Islam vernichten wollten. Die Verteidigungshandlung sollte aber auch nur während der Angriffssituation gelten", erklärt Navid Ahmed. »Das Problem ist, dass viele von denen, die nach Syrien gehen, um sich dem IS anzuschließen, nicht die nötigen Korankenntnisse haben, um den Zusammenhang zu verstehen. Unterstützt wird das dann noch von den Propagandavideos der Terrormiliz."

Austausch fördern

Wie wichtig Aufklärung ist, weiß Navid Ahmed als hauptberuflicher Polizeibeamter nur zu gut. "Wir veranstalten einmal im Monat ein Treffen für Muslime. Wir möchten so den Austausch fördern und über die Werte sprechen. Eine solide Wertevermittlung ist das beste präventive Mittel gegen eine Radikalisierung." Gerade der Austausch scheint in einer Zeit, in dem ein US-amerikanischer Präsident die Einreise von Menschen aus einigen muslimischen Ländern verbieten wollte, notwendiger denn je. Das Verbot ist zwar mittlerweile gekippt, der bittere Beigeschmack bleibt. "Dadurch wurden alle Muslime als Terroristen angesehen und über einen Kamm geschoren. Das ist absolut nicht in Ordnung."


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