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Total normal mit »Downie«-Kind

Als Verena B. aus Trier bei einer Routineuntersuchung in der 27. Schwangerschaftswoche erfährt, dass ihr Kind das Down-Syndrom hat, bricht für sie erst einmal eine Welt zusammen. Heute ist sie dankbar für ihre ganz besondere Tochter, die für sie und ihre Familie einen ganz neuen Blickwinkel auf das Leben eröffnet hat.

Amelie heißt der kleine Wirbelwind mit dem ansteckenden Lachen und den lustigen Zöpfen. Und sobald irgendwo Musik ertönt, tanzt Amelie glücklich mit. Sie ist mit ihren drei Jahren fast ein Kind wie alle anderen auch: fröhlich und traurig, nervenaufreibend und pflegeleicht, lieb und trotzig. »Sie lacht sehr viel, ist temperamentvoll, ausgelassen, lustig, frech und stur. Ihre Lebensfreude ist ansteckend und es ist schwer, sich ihrer entwaffnenden Art zu entziehen. Andererseits ist sie aber auch sehr einfühlsam und zärtlich, und mit ihrer endlosen Liebe rührt sie wieder und wieder mein Herz.« Das, was Verena über ihre kleine Tochter sagt, klingt nicht nur wie eine Liebeserklärung, es ist eine. Keinen einzigen Tag mit ihrer Tochter möchte sie missen. Einfach nur ein Chromosom mehr Amelies großer Held ist der siebenjährige Bruder Christopher. Jeden Tag zeigt das kleine »Downie«-Mädchen ihren Eltern, was wirklich im Leben zählt, nämlich glücklich und zufrieden leben zu können. Doch wie kann das sein? Ganz normal? Glücklich? Trotz Down-Syndrom? Muss man da nicht wenigstens ein kleines bisschen traurig sein? Man kann aus allem heraus- und in alles hinwachsen „Es ist so eine Sache mit dem Veröffentlichen seiner Lebensgeschichte oder einem Teil davon. Besonders, wenn es sich dabei um sehr emotionale Angelegenheiten handelt“, erklärt Amelies Mama im Gespräch. Glück für uns. Sie hat sich dafür entschieden, weil sie mit ihrer Geschichte Mut machen und zeigen möchte, dass man aus allem heraus- und in alles hineinwachsen kann. Legale Abtreibung bei Trisomie bis zum Ende der Schwangerschaft möglich Bei einer Routineuntersuchung in der 27. Schwangerschaftswoche brach für die werdende Mutter zunächst einmal eine Welt zusammen: Ihr Frauenarzt teilte ihr mit, das Ungeborene sei wachstumsverzögert. Er bat sie, einen Termin mit einem Pränataldiagnostiker auszumachen, um sicherzustellen, dass der Fötus in ihrem Bauch gut versorgt wird. Dieser Termin brachte Gewissheit: Zu 50 Prozent habe das Kind den Gendefekt Trisomie 21, eine genetische Veränderung, bei der das Chromosom 21 dreifach statt zweifach vorhanden ist. Ein Schock. Doch eine Abtreibung, auf die ein Arzt in solch einem Fall hinweisen muss, kam für Verena und ihren Mann Uwe nicht infrage. Drei Wochen brauchten die werdenden Eltern, um sich an den Gedanken zu gewöhnen. Dann war es ihnen egal, ob ihre Tochter das Down-Syndrom hat oder nicht. Menschen mit Down-Syndrom stehen viele Wege offen Bereut hat die Familie die Entscheidung für das Leben nie. Die vierköpfige Familie lebt glücklich in einem kleinen Haus mit Garten. Der Große geht zur Schule, die Kleine geht in den Kindergarten. Alles ganz normal eben. »Die Menschen haben sich geändert«, erzählt die Zweifachmutter. Sie habe von ihrem Umfeld sehr viel Zuspruch erfahren. Bei anderen Betroffenen sei das anders gewesen.
Traurig findet sie es, dass fast alle »Downie«-Kinder (über 90 Prozent) nach Feststellung des Gendefekts abgetrieben werden – gesetzlich möglich ist der Abbruch sogar noch bis kurz vor der Geburt – und keine Chance auf ein Leben haben. Dabei stehen den »Downies« doch viele Wege offen. Gute Erfahrungen hat Verena auch beim Elternstammtisch gemacht (Kontakt: elternstammtisch.ds@gmail.com. Hier trifft sie sich regelmäßig mit Eltern von anderen Downie-Kindern. Und auch hier von großem Trübsal keine Spur: "Wir sprechen dort über alles Mögliche, tauschen uns aus, haben Spaß", erzählt Verena. Zum Ende des Gesprächs winken Amelie und ihr großer Bruder dem Besuch von der Zeitung noch einmal fröhlich zu. »Wenn nach diesem Bericht auch nur ein Kind leben darf, dann bin ich froh«, sagt ihre Mutter zum Abschied. FIS HINTERGRUND Das Down-Syndrom geht auf einen Fehler im Erbgut zurück: Betroffene haben einen Erbgutabschnitt, ein sogenanntes Chromosom, zu viel. Das Chromosom 21 liegt bei ihnen nicht wie im Normalfall zweifach, sondern dreifach vor. Daher kommt auch die Bezeichnung Trisomie (Verdreifachung) 21.
Auf annähernd 700 Geburten kommt nach Angaben des Arbeitskreises Down-Syndrom durchschnittlich ein Kind mit Trisomie 21. Mit höherem Alter der Eltern steigt die Wahrscheinlichkeit, ein Kind mit Down-Syndrom zu bekommen. Wissenschaftlich beschrieben wurden die Besonderheiten von Menschen mit Trisomie 21 erstmals vom englischen Neurologen John Langdon-Down (1828-1896) im Jahr 1866. Spätabtreibungen nennt man einen Schwangerschaftsabbruch, der nach der 23. Schwangerschaftswoche erfolgt. Das Kind ist zu diesem Zeitpunkt bereits lebensfähig. Trotzdem sind Spätabtreibungen nach deutschem Gesetz zulässig und werden fast täglich durchgeführt. Der Eingriff ist für die Mutter beschwerlich, auch das Kind erleidet hierbei Schmerzen. Bei Spätabtreibung nach der 22. Schwangerschaftswoche müssen die Frauen die toten Babys richtig gebären. Vor dem Auslösen der Wehen wird das dann bereits so weit entwickelte Kind mit einer Injektion getötet.

Kommentar Neun von zehn Frauen lassen bei einer Trisomie einen Abbruch machen. Die Pränataldiagnostik macht‘s möglich. Bei einem Fehler im Erbgut des Fötus muss die Frau dann über Leben und Tod entscheiden. Fällt die Entscheidung gegen das Kind, muss sie mit den körperlichen und emotionalen Nachwirkungen des Abbruchs leben. Wünschenswert wären eine bessere Aufklärung und mehr Toleranz in der Gesellschaft für Menschen, die vielleicht nicht ganz perfekt sind. Andrea Fischer
andreafischer@tw-verlag.de


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