

Ein Ort des Schmerzes wird zum Ort der Erinnerung
Schon eine Stunde vor Beginn der Gedenkfeier, gegen 18 Uhr, war die Trierer Straße nicht mehr die gleiche wie an gewöhnlichen Tagen. Der Ort, an dem Michael Ovsjannikov im Sommer 2023 sein Leben verlor, wurde von seiner Familie zum Erinnerungsplatz verwandelt. Mit Heliumflaschen befüllten Angehörige über 100 weiße Luftballons. Behutsam hielten Kinder und Erwachsene die Ballons fest, beschrieben sie mit kurzen Botschaften: „Du fehlst uns“, „Wir werden dich nie vergessen“, „Für immer in unseren Herzen“.
„Es ist schwer, hier zu stehen, an diesem Platz, an dem unser Sohn ermordet wurde“, erklärte Vater Michael Ovsjannikov, der denselben Namen trägt wie sein Sohn. „Aber es ist auch wichtig, dass wir uns nicht von diesem Schmerz wegdrücken lassen. Wir müssen kämpfen.“
Eine Tat, die nicht vergeht
Am 19. August 2023 wurde der damals 28-jährige Michael Ovsjannikov auf der Säubrennerkirmes in Wittlich von einem US-Soldaten mit mehreren Messerstichen attackiert und tödlich verletzt. Der mutmaßliche Täter, stationiert auf der US-Airbase Spangdahlem, legte zunächst ein Geständnis ab – doch vor einem US-Militärgericht wurde dieses nicht zugelassen. Das Verfahren endete mit einem Freispruch.
Seitdem kämpft die Familie gegen das Gefühl von Ohnmacht. „Das Schlimmste ist nicht nur der Verlust unseres Sohnes“, sagte der Vater. „Es ist die Ungerechtigkeit. Wie kann jemand gestehen und dann doch freigesprochen werden? Das fühlt sich an, als würden wir gegen Windmühlen kämpfen.“
Juristisch ist der Fall abgeschlossen. Aufgrund des NATO-Truppenstatuts lag die Zuständigkeit bei den US-Behörden. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens ist nicht mehr möglich. Für die Angehörigen ist dies ein Schlag ins Gesicht. „Zwei Wörter können wir nicht mehr hören“, so der Vater weiter: „Säubrennerkirmes und NATO-Truppenstatut.“
„Micha darf nicht vergessen werden“
Die Gedenkfeier war für die Familie ein Kraftakt. Mutter, Vater, Bruder und weitere Verwandte standen gemeinsam mit Freunden, Nachbarn und Unterstützern an jenem Ort, an dem ihr Leben vor zwei Jahren für immer verändert wurde.
Besonders bewegend war das Gespräch mit der Cousine Julia Woit. Mit Tränen in den Augen zeigte sie sich dankbar: „Es tut so gut zu sehen, dass Micha nicht vergessen ist. Jeder einzelne, der gekommen ist, bedeutet uns heute viel.“ Gleichzeitig war ihre Enttäuschung spürbar. Weder Vertreter der Stadt Wittlich noch andere offizielle Gäste waren gekommen.
Für Julia ist die Säubrennerkirmes seither kein Ort der Freude mehr. „Wenn ich das Wort höre, denke ich sofort an meinen Cousin, an den Mord. Ich kann da nicht mehr hingehen. Die Emotionen sind zu stark.“
Der Moment der Ballons
Um Punkt 19 Uhr wurde es still. Die Anwesenden hielten ihre weißen Ballons fest, viele streichelten über die handgeschriebenen Botschaften. Nach einem gemeinsamen Innehalten zählte die Familie bis drei – und mehr als 100 Ballons erhoben sich gleichzeitig in den abendlichen Himmel.
Es war ein ergreifender Augenblick. Für einen Moment verstummte alles. Nur das Rascheln der Ballons im Wind und das Schluchzen einzelner Trauergäste war zu hören. Viele konnten ihre Tränen nicht zurückhalten.
Eine Gemeinschaft in Trauer
Die Gedenkfeier machte deutlich, wie sehr der Tod von Michael Ovsjannikov noch immer nachhallt – nicht nur in der Familie, sondern auch in Wittlich und der gesamten Region. Viele der Anwesenden waren Freunde, Arbeitskollegen oder Bekannte. Andere kannten den Verstorbenen nicht persönlich, wollten aber ihre Solidarität ausdrücken.
„So etwas verändert eine Stadt“, sagte eine ältere Anwohnerin. „Man spürt, dass hier etwas passiert ist, das man nicht einfach wegwischen kann.“
Ein Abend, der bleibt
Als die letzten Ballons am Horizont verschwanden, löste sich die Versammlung langsam auf. Zurück blieb eine Mischung aus Trauer, Dankbarkeit und dem Bewusstsein, dass das, was vor zwei Jahren geschehen ist, nicht vergessen ist.
Text und Fotos: Kevin Schössler




