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Gregor Gysi über seine sieben Leben . . .

Dr. Gregor Gysi ist derzeit sehr viel unterwegs. Am 8. Mai war er als Buchautor im Rahmen des Veranstaltungsprogramms „Kultur in der Wallfahrtskirche“ in Klausen zu Gast. Der 70-jährige sprach mit Wallfahrtsrektor Pater Albert Seul OP über seine Autobiografie "Ein Leben ist zu wenig". Die Veranstaltung war schon seit Monaten ausverkauft.

Pater Albert hatte als gut vorbereiteter Moderator "leichtes Spiel", denn seinem Gegenüber reichte meist ein Stichwort, um aus dem Nähkästchen zu plaudern. Kein Zweifel: Gysi erzählt gern – und er hat auch etwas mitzuteilen. Zum Beispiel warum der Titel seiner Autobiografie "Ein Leben ist zu wenig" heißt: „Man könnte es so verstehen, dass ich mehrere Leben gleichzeitig führe: eins als Politiker, eins als Rechtsanwalt, eins als Autor, eins als Moderator und eins als Privatmann. Das meine ich aber nicht", erzählt Gysi.

"Nie gerne in Talkshows gegangen"

„Ich stecke jetzt im meinem sechsten Leben. Das erste war meine Kindheit und Jugend, das zweite Leben war die Studentenzeit, mein drittes Leben war das Anwaltsleben in der DDR, mein viertes Leben war das Leben 1989/1990 und die politischen Veränderungen. Und dann wurde ich Bürger der Bundesrepublik Deutschland. Im Leben fünf hat mich die Mehrheit der Deutschen und Journalisten zu tiefst abgelehnt. Das habe ich neue Seite an mir kennengelernt. Auf der einen Seite bin ich preußisch stur und das zweite war, dass ich mich etwas netter gesehen habe, als die anderen mich. Dann musste ich um die Akzeptanz meiner Person kämpfen. Entgegen der Annahme, dass ich gerne in Talkshows gehe, bin ich damals nicht gerne dahin gegangen. Ich hatte gar keine andere Chance, um die Sicht über mich zu verändern. Danach begann mein letztes Leben, als mich Mehrheit der Deutschen und Journalisten akzeptiert hat",  erklärt Gregor Gysi.

"Ich hasse nicht zurück. . ."

Gerade durch das fünfte Leben sei er von der Bergpredigt stark geprägt worden und würde das sechste Leben immer dem fünften Leben vorziehen. „Ich habe ganz bewusst im Bundestag beschlossen, ich hasse nicht zurück. Das schafft man am leichtesten, wenn man sich erklärt, warum der andere einen nicht mag. Und dann habe ich als zweites beschlossen, ich lass mir meinen Humor nicht nehmen. Und dann habe ich noch ein siebtes Leben: Das ist das Alter. Da weiß ich aber nur noch nicht ganz genau, wann es beginnt.“ schildert Dr. Gysi die Sichtweise auf sein Leben.

Vater gratulierte zum "Cowboy"

Gysi musste, um das Abitur in der DDR bestehen zu können, eine Ausbildung abschließen und die absolvierte er als Facharbeiter für Rinderzucht. Sein Vater gratulierte ihm zum "Cowboy". Auch wenn diese Ausbildung nicht sein offensichtlicher Wunsch war, sollte er ihn doch indirekt im Leben begleiten. Auf der einen Seite zitierte Gregor Gysi seinen  Vater Klaus, einst DDR-Kultusminister und Staatssekretär für Kirchenfragen: „Wenn Du einmal fliehen musst, kannst Du Deine Ausbildung als DDR-Jurist vergessen. Als Cowboy bist Du aber weltweit gefragt.“ Auf der anderen Seite befand Gysi im Nachhinein beste Voraussetzungen erlangt zu haben, um in die Politik zu gehen und sagte: „Ausmisten kann ich, ganz wichtig; melken kann ich, – das ist wichtig, um Steuern einzutreiben; künstlich besamen kann ich – wenn Sie das nicht können, brauchen Sie erst gar nicht in die Politik zu gehen. Und die wichtigste Voraussetzung: Ich kann mit Hornochsen umgehen.“ Das Publikum lachte und applaudierte.

Studium in Rekordzeit

Seinen Hauptberuf Rechtsanwalt habe er über eine Bekannte gefunden, deren Mann Jurist war. Ihre Äußerung "Jura ist ein Studium für Doofe. Man muss eigentlich nichts wissen, sondern nur wo alles steht" habe ihn angespornt, ihr das Gegenteil zu beweisen. In Rekordzeit absolvierte er das Studium, war zudem der jüngste promovierte Anwalt in der DDR. Seinen Vater ließ sich Gysi von Helmut Kohl erklären. Als Staatssekretär für Kirchenfragen hatte er die Aufgabe, sozusagen die Kirche auf den Staat einzuschwören. Er habe aber auch geschickt Möglichkeiten genutzt, dem Staat die Arbeit der Kirche nahe zu bringen, erinnert er sich. Diese Strategie habe er sich als Anwalt und Politiker zu eigen gemacht. „Sie hat mich am Ende der DDR zu einer Vermittlerrolle geführt“, so Gysi. Indem er die Position des Gegenübers einnahm, habe er gewusst, was dieser wollte. Er habe so argumentiert, als sei seine eigene Position genau das, was sein Gegenüber zum Ziel habe. Gysi halte nicht alles gut aus der ehemaligen DDR. Allerdings gab es durch den hohen Anteil von berufstätigen Frauen ein funktionierendes Kita-Netz, eine flächendeckende Nachmittagsbetreuung in den Schulen und zur Betreuung in den Schulferien Kinderferienlager der Unternehmen und Ferienspiele an den Schulen.

"Ich glaube nicht an Gott"

"Einige Dinge wie diese hätte man nach der Wende in der Bundesrepublik übernehmen können. Das wäre gut gewesen für das Selbstbewusstsein der Ostdeutschen". Pater Albert wollte im Ambiente der spätgotischen Wallfahrtskirche wissen, ob Gysi an Gott glaube. „Ich glaube nicht an Gott. Allerdings fürchte ich eine gottlose Gesellschaft. Und zwar deshalb, weil wer soll sonst allgemein verbindliche Moralnormen in Deutschland aufstellen? Der Kapitalismus ist nicht in der Lage dies zu tun. Nur die evangelische und katholische Kirche sind in der Lage diese Moralwerte aufzustellen wie z.B. Nächstenliebe und seinen Feind nicht zu hassen. Natürlich werden diese nie vollständig eingehalten. Aber dass diese Moralnormen wirken, merkt man zu Weihnachten: Dann wird so viel gespendet, wie sonst nicht im Jahr", erklärt Gregor Gysi seine Sicht.

"Auch Frauen müssen Priesterinnen werden dürfen"

Zudem stelle die Kirche auch traditionsbindende  Parameter wie Ostern und Weihnachten. Auf der anderen Seite sei allerdings die Trennung von Staat und Kirche wichtig, um auch hier aktuelle Entwicklungen im Gesamtgefüge nachvollziehen zu können, wie die Hochzeit von Schwulen und Lesben. Auch mit dem Wissen, dass Gysi bekennender Atheist ist, fragt der Klausener Wallfahrtsrektor noch etwas konkreter nach: „Was raten Sie der katholischen Kirche aufgrund der Wendeerfahrung?“ Gysi: "Die katholische Kirche ist konservativ und hat auch das Recht konservativ zu sein. Das heißt, man kann sich nicht nach jedem Zeitgeist richten. Allerdings muss man am Leben so konkret dranbleiben, dass man mit dem Leben überhaupt noch etwas zu tun hat. Die Gleichstellung der Geschlechter wird der schwierigste Sprung. Auch Frauen müssen katholische Priesterinnen werden dürfen. Das wird wahrscheinlich noch etwas dauern, aber dahin wird die Entwicklung gehen. Ganz wichtig an der katholischen Kirchen ist, dass es Katholiken auf allen Erdteilen gibt. Ein Papst ist zuständig für alle Erdteile und kann deshalb die Abschottungspolitik nicht mitmachen. Als Weltkirche hat man eine Verantwortung für die Menschheit. Und Papst Franziskus versucht natürlich sich hier richtigerweise besonders die Krisenländer zu unterstützen. . ." Die rund 300 Zuhörer in Klausen erlebten mit Gregor Gysi einen Menschen- und Politikversteher, dem man gerne zuhört, der aber noch weit davon entfernt ist, sein siebtes Leben zu beginnen. Nach knapp 2 Stunden wurde das offizielle Programm beendet und die Anwesenden bedankten sich mit einem lang anhaltendem Applaus. Anschließend bildet sich eine lange Schlange um ein Autogramm oder Selfie mit Gregor Gysi zu ergattern. Bei Wein und sommerlichen Temperaturen hatten die Besucher noch die Gelegenheit mit Gysi ins Gespräch zu kommen und zu weiteren Anekdoten zu lauschen. Der Gast übernachtete im Dominikanerkloster in Klausen und bekam auf seinen Wunsch noch eine exklusive Führung von Pater Albert Seul durch die Wallfahrtskirche und die Augustiner Chorherren Klosterbibliothek.


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