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Nico Lautwein

Spielsucht oder die große Lüge vom Glück

Region. Der WochenSpiegel hat mit dem ehemals spielsüchtigen Thomas Patzelt über seinen langen Leidensweg und den Weg aus der Sucht gesprochen.
Thomas Patzelt ist mittlerweile Suchtberater und Kompetenztrainer.

Thomas Patzelt ist mittlerweile Suchtberater und Kompetenztrainer.

Bild: Edith Billigmann

Thomas Patzelt gehört zu denen, die vor nicht allzu langer Zeit ganz tief am Abgrund gestanden haben. Aus dem ehemals erfolgreichen Leader war innerhalb kurzer Zeit ein Süchtiger geworden, der Familie und Freundschaften missbrauchte, um seine Spielsucht zu finanzieren. Über seinen langen Leidensweg haben wir mit ihm gesprochen,. Aber auch über Wege aus der Sucht. Denn die zeigt Thomas Patzelt nun als Suchtberater und Kompetenztrainer anderen Betroffenen auf.

Interview: Nico Lautwein

Wie hat die Spielsucht angefangen?

Thomas Patzelt: Das war vor ziemlich genau 24 Jahren. Da wollte ich die Zeit zwischen zwei Terminen überbrücken. Ich habe mich in eine Spielothek gesetzt und anfangs die Leute beobachtet. Als mir dann ein Kaffee angeboten wurde und ich auch noch rauchen konnte, hab' ich mich direkt wohl gefühlt. Ich habe mir gedacht: Was soll denn schon passieren, wenn ich auch mal mein Glück versuche? Aus 5 Mark sind dann schnell 300 Mark geworden. Ich habe mich wahnsinnig gefreut und das hat ein riesiges Glücksgefühl in mir ausgelöst. 

Wie sah Ihr Leben zu diesem Zeitpunkt aus?

Thomas Patzelt: Ich hatte meinen Versicherungsfachwirt abgeschlosssen und war mit 29 Jahren bereits in einer Führungsposition. Dennoch war ich unglücklich gewesen. Mir fehlte Liebe, Zuneigung und Anerkennung. Ich war ein Mensch, der nicht Nein sagen konnte und es allen recht machen wollte. Ich hatte mir eine Fassade aufgebaut und mit niemandem über meine Probleme, insbesondere meine Unzufriedenheit, gesprochen. 

Wie sah der Verlauf der Spielsucht aus?

Thomas Patzelt: Die Einsätze und Dauer der Spiele haben immer weiter zugenommen. Ich habe 13 bis 14 Stunden gezockt, und das an sechs Tagen die Woche. Nur sonntags war Familientag. Ich musste Kredite aufnehmen, habe den Bezug zum Geld immer weiter verloren. Mir ging es nur darum: Wie schaffe ich es, dass niemand an mein Geheimnis kommt? Das ging dann so weit, dass ich als Erster am Briefkasten war, um die "gelben Briefe" vom Amt abzufangen. Dies hat aber nur zur Verlängerung des Leidenswegs beigetragen. Niemand wusste davon, ich habe Ausreden und Lügen dafür gesucht, warum ich so spät nach Hause gekommen bin. Ich war ein Meister der Manipulation. Schlimmer noch: Ich hatte meinem Arbeitgeber und meiner damaligen Frau Geld gestohlen. Ich stand mit einem Bein im Knast und sah einen Tsunami auf mich zukommen.

War das der Zeitpunkt, in dem sich etwas in Ihnen verändert hat?

Thomas Patzelt: Ich war in einem ständigen Krieg mit mir selber. Ich stand vor der Entscheidung, weiterzuspielen, bis mein Lügenkonstrukt zusammenbricht, oder in die Offensive zu gehen und mich als Spielsüchtiger zu outen. Das passierte dann auch Ende 2003. Im Juni 2004 startete ich eine achtwöchige Therapie. Im Oktober folgte der Umzug von Bayern nach Rheinland-Pfalz. Die Caritas Trier hat mir damals auf dem Weg zur freien Zeit sehr geholfen, da ich somit auch den Abstand zum Spielen gewinnen konnte. Ganz davon weggekommen bin ich allerdings nicht. 2005 wurde meine Tochter geboren. Selbst ihre Geburt konnte mich nicht vom Spielen abhalten.

Wann wurden Sie spielfrei?

Thomas Patzelt: Richtig spielfrei wurde ich erst im Oktober 2007. Das war dann auch das erste Mal, dass ich wieder ein richtiges Freiheitsgefühl empfunden habe. Dennoch blieben mir unter anderem 100.000 Euro Schulden, Privatinsolvenz, ein Berufsverbot sowie die Scheidung und ich war vorbestraft. Die Krankheit ist heute immer noch ein Thema. Man kann diese zwar nicht heilen, aber stoppen.

Wie sieht Ihr Leben jetzt aus? 

Thomas Patzelt: Ich habe gelernt, mit dem Spieldruck umzugehen, und meine eigenen Strategien entwickelt. Reden hilft, aber auch Sport. Wichtig ist auch eine gute Partnerschaft. Diese Erfahrungen möchte ich an andere Betroffene weitergeben. 2012 habe ich den Landesverband für Selbsthilfegruppen Glücksspielsüchtiger in Rheinland-Pfalz "spielfrei24 e.V." gegründet. Der Verein vertritt die Interessen der Betroffenen, Angehörigen sowie der Personen, die mit dem Krankheitsbild der Glücksspielsucht zu tun haben. Zudem habe ich das Beratungsunternehmen "Denk in Lösungen" ins Leben gerufen, in dem sich den Bedürfnissen der Menschen gewidmet wird, die an sich bzw. in ihrem Leben etwas verändern möchten. Heute bin ich Unternehmer, Coach, Dozent, bilde Menschen in der betrieblichen Sozialberatung aus und bin mittlerweile Vater zweier Kinder.

 

 


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