

Wochenspiegel: Trotz vieler Aufklärungskampagnen wird die Krankheit Depression bis heute stark tabuisiert. Warum glauben Sie, ist das so? Dr. Lammertink: «Depression wird oft mit Versagen, persönlicher Schwäche gleichgesetzt. Dabei kann eine Depression auch sehr erfolgreiche, fleißige und von ihrer Natur her eher heitere Menschen treffen.« Wochenspiegel: Gibt es den „typischen“ Depressiven? Dr. Lammertink: »Nein, Depression hat viele Gesichter. Den typisch Depressiven gibt es nicht. Frauen sind aber wohl häufiger betroffen als Männer, Menschen im mittleren Lebensalter häufiger als ganz junge und ganz alte Menschen.« Wochenspiegel: Worin besteht die größte Gefahr für einen depressiven Menschen? Dr. Lammertink: »Ganz eindeutig im Suizid! Depression ist viel gefährlicher als viele andere Krankheiten, eben wegen der häufig damit verbundenen Suizidgedanken. Unter dem Strich nimmt sich aber Gott sei Dank von den sehr vielen Menschen, die an einer Depression erkranken (jeder Fünfte bis jeder Zehnte), im Endeffekt nur ein sehr kleiner Anteil wirklich das Leben.« Wochenspiegel: Gibt es so etwas wie einen idealen Mix von Therapieangeboten? Dr. Lammertink: »Das hängt von der Art und Schwere der Depression ab. Bei sehr schweren Depressionen kommen hauptsächlich Medikamente zum Einsatz. Bei den allermeisten Depressionen helfen aber psychotherapeutische Gespräche mindestens genauso gut. Ganz wichtig ist aber für jeden Depressiven, dass er sich ernst genommen und verstanden fühlt. Ganz ohne einfühlsame Gespräche ist also keine Behandlung möglich.« Wochenspiegel: Besteht Hoffnung auf Heilung? Oder muss man ähnlich wie mit einer Allergie einfach damit leben lernen? Dr. Lammertink: «Depression ist eine in Phasen verlaufende Krankheit. Diese heilen bis auf einen sehr geringen Anteil, wo sie chronisch werden können, fast immer komplett aus. Allerdings können sie irgendwann wiederkommen. Das ist bei etwa jedem Zweiten der Fall.« Wochenspiegel: Depressionen bei Kindern und Jugendlichen: Gibt es Hilfsangebote im Landkreis? Dr. Lammertink: »Depressionen sind bei Kindern und Jugendlichen glücklicherweise eher selten. Erste Anlaufstelle kann der Kinderarzt sein. Der verweist dann ggf. weiter an Fachleute oder in sehr schweren Fällen auch an die Kinder- und Jugendpsychiatrie in Trier.« Wochenspiegel: Wozu raten Sie in einer Krisensituation als Sofortintervention? Dr. Lammertink: »Auch für Erwachsene gilt: Erster Ansprechpartner ist der Hausarzt. Wenn allerdings starke Suizidgedanken vorhanden sind, sollte man nicht zögern und sich direkt an eine psychiatrische Abteilung wenden, etwa im Verbundkrankenhaus in Wittlich, oder auch in Gerolstein oder Trier. In weniger schweren Fällen können auch die beiden Kontakt- und Beratungsstellen für psychisch kranke Menschen in Bernkastel-Kues (Tel. 06531 / 97 29 28, Knopp) und in Wittlich (Tel. 06571 / 956 43 19, Heinz) weiterhelfen«. Wochenspiegel: Gibt es ein Buch / einen Film, den Sie Betroffenen bzw. ihren Angehörigen empfehlen können? Dr. Lammertink: »Ich empfehle immer ein Buch, das seltsamerweise von der Stiftung Warentest herausgebracht wurde: »Depressionen überwinden«. Darin findet sich auch ein sehr komprimierter Teil mit den wichtigsten Informationen, die auch ein Betroffener, der gerade mitten in einer Depression drin steckt, trotz Konzentrationsstörungen gut lesen kann.« Das Interview führte Petra Geisbüsch