Mario Zender

»Ich kann keine Fehler der Verwaltung feststellen«

Cochem. Der Landkreis Cochem-Zell rutscht tief in die Verlustzone. Grund dafür sind die hohen Kosten für den  »ÖPNV«. Wir sprachen mit Landrätin Anke Beilstein.
Hat einen großen Schuldenberg vor sich: Landrätin Anke Beilstein (CDU).

Hat einen großen Schuldenberg vor sich: Landrätin Anke Beilstein (CDU).

Bild: Mario Zender

WochenSpiegel: Sie prognostizieren für das Jahr 2024 ein enormes Defizit. Das Eigenkapital des Kreises wird komplett aufgebraucht sein und der Landkreis wird sich hoch verschulden. Wo sind die Fehler gemacht worden, die zu diesem Finanzdesaster führen?

Landrätin Anke Beilstein: Ich kann weder Fehler seitens der Gremien noch seitens der Verwaltung feststellen. Neben Tarifsteigerungen, deutlich höheren Kosten im Bereich Soziales und Jugend, haben wir vor allem einen hohen Ausgabenanstieg im Kita-Bereich. Der gravierendste Faktor ist jedoch die Schülerbeförderung. Wir haben im Jahr 2023 drei Linienbündel für die Schülerbeförderung ausgeschrieben und der Kreistag hat diese im Juli vergeben. Es waren erstmals sämtliche neue Rahmenbedingungen zu beachten, die zu immensen Kostensteigerungen geführt haben. Aber andere Alternativangebote lagen nicht vor und die Schülerbeförderung ist Pflichtaufgabe. Die Ursache für das extrem hohe Defizit liegt jedoch in der nicht ausreichenden und zeitlich verzögerten Landeszuweisung für die Schülerbeförderung. Sie hält seit Jahren nicht mehr mit den Kostenanstiegen mit, es werden seit 2020 nur Abschläge ausgezahlt und die Zuweisungen werden auf der Basis der vorvergangenen Haushaltsjahre berechnet. Dieser Webfehler im System muss behoben werden – und zwar schnell. Ansonsten wird sich eine riesige Defizitwelle über das ganze Land ausbreiten.

WochenSpiegel: Sie haben das Land angesprochen, das Gelder nach Ihren Angaben nicht auszahlt, oder wie beim ÖPNV, erst mit einem enormen Zeitverzug von mehreren Jahren. Was unternehmen Sie, dass Sie schneller an die zugesagte Unterstützung kommen?

Landrätin Anke Beilstein: Ich bin hierzu in Gesprächen mit den zuständigen Ministerien – zuständig sind das Innenministerium sowie das Umweltministerium. Dabei setze ich zunächst auf eine einvernehmliche Lösung mit dem Land Rheinland-Pfalz. Sollte das nicht möglich sein, schrecke ich aber auch nicht davor zurück, den Kreisgremien vorzuschlagen, unsere Forderungen notfalls gerichtlich durchzusetzen.

WochenSpiegel: Der größte Teilbereich der Verschuldung kommt durch den ÖPNV. Es fällt auf, dass aktuell deutlich mehr Busse fahren als früher. War es rückblickend ein Fehler, so viele neue Verbindungen beziehungsweise die Erhöhungen der Frequenzen zu schaffen?

Landrätin Anke Beilstein: Es gibt zwei Fakten, die man wissen sollte. Fakt 1: Die Linien waren notwendig, um die Bedarfe für die Beförderung zu Schulen und Kindertagesstätten sicherzustellen. Tatsächlich fahren nur zwei zusätzliche Busse durch die Neuvergabe der Schülerbeförderung. Fakt 2: Die reine Schülerbeförderung hätte den Landkreis rund 300.000 Euro mehr gekostet als das jetzige System von Schülerbeförderung plus ÖPNV. Daher haben wir die Chance genutzt, die Linien auch für die Bevölkerung und unsere Gäste zur Verfügung zu stellen. Daraus erwarten wir weitere Einnahmen, wodurch sich die Kosten reduzieren werden. Dies entspricht im Übrigen den Vorgaben des Nahverkehrsplanes, den der Kreistag bereits im Jahr 2018 nach einem umfangreichen Beteiligungsverfahren insbesondere aller Gemeinden nach der Grundkonzeption des ÖPNV-Konzeptes Rheinland-Pfalz Nord beschlossen hat. Bereits dort wurde eine Andienung der Ortsgemeinden im 2- bzw. 1-Stunden-Takt vorgegeben. Die reine Vergabe einer Beförderung zu den Schulen und Kindertagesstätten wäre also noch teurer geworden als die jetzige Vergabe.

WochenSpiegel: Die hohe drohende Verschuldung und die daraus resultierenden Sparzwänge werden sich in vielen Bereichen bemerkbar machen. Wo sehen Sie Einsparpotenzial beziehungsweise welche Bereiche wird es betreffen?

Landrätin Anke Beilstein: Leider ist der Haushalt fast vollständig durch Pflichtausgaben geprägt, auf deren Volumen wir nur geringen Einfluss haben. Den aktuellen Haushaltsentwurf haben wir bereits an mehreren Stellen nachjustiert und optimieren können. Aber es gibt Grenzen und die sehe ich als erreicht an. Das derzeitige Defizit ist allein durch die unzureichende Förderung der Schüler- und Kindergartenkinderbeförderung entstanden. Hier wollen wir zunächst unsere Ansprüche geltend machen. Zudem werden wir offene Landeszuweisungen hinsichtlich der ausgefallenen Elternbeiträge in den Kindertagesstätten einfordern.

WochenSpiegel: Als Landkreis könnten Sie doch die Kreisumlage erhöhen, um mehr Einnahmen zu erzielen?

Landrätin Anke Beilstein: Solange es mir möglich ist, weigere ich mich, die durch das Land zu verantwortende Lage der mangelhaften Finanzierung an die Orts- und Verbandsgemeinden weiterzugeben. Es ist einfach unredlich, auf Landesebene über Gesetze Standards zu formulieren und dann nicht die notwendigen Finanzen mit auf den Weg zu geben. Das gilt ganz besonders für den Bereich von Kita und Schülerbeförderung.

WochenSpiegel: Ist durch das neue enorme Finanzloch im Kreishaushalt der Neubau der Schulturnhalle am Gymnasium überhaupt noch realisierbar? Denn auch hier bekommen Sie ja deutlich weniger Zuschüsse vom Land als erhofft.

Landrätin Anke Beilstein: Das Gymnasium und die Schülerschaft brauchen die Sporthalle! Die Baubedingungen im Burgsattel sind jedoch gänzlich andere als eine Errichtung »auf der grünen Wiese«. Daher habe ich mich an das Ministerium des Innern und für Sport gewandt mit der Bitte, die Höhe der Förderung aufgrund der exponierten Lage und der damit verbundenen erhöhten Baukosten nochmals zu prüfen. Von dort wurde eine Prüfung zugesagt. Dieses Ergebnis ist abzuwarten, bevor ich hierzu eine Aussage treffe.

WochenSpiegel: Wie fühlt es sich für Sie persönlich als Landrätin an, mit einem solchen Finanzproblem zum Amtsantritt umgehen zu müssen?

Landrätin Anke Beilstein: Natürlich hätte ich mir einen einfacheren Start gewünscht. Und ich bin mir sicher, dass das nicht die einzige Herausforderung bleiben wird. Aber ich habe viel Energie, eine gehörige Portion Optimismus und wenn es sein muss, dann werde ich kämpfen, damit der Landkreis zu seinem Recht kommt. WochenSpiegel:Vielen Dank für das Gespräch.

(Die Fragen stellte Mario Zender)


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