Michael Nielen

Der Mann, der den Bahnhof wachküssen will

Blankenheim-Wald. Das Transparent ist zerrissen und flattert im Wind. Die Schrift ist verblichen, die Frage »Wer küsst mich wach?« nur mühsam zu lesen. Wie es derzeit aussieht, wird es wohl Shirko Ghaderpour sein, der dem alten Bahnhofsgebäude aus dem Jahr 1913 neues Leben einhaucht.

Shirko Ghaderpour ist an die Gemeindeverwaltung herangetreten und hat sein Interesse am Erwerb des historischen Gebäudes bekundet. Im Blankenheimer Ausschuss für Gemeindeentwicklung stellte er sein ambitioniertes Vorhaben vor. Denn er wagt sich an ein Projekt, für das schon einige ihr Interesse bekundet, sich aber nicht herangewagt haben.

Der gebürtige Kurde aus dem Iran möchte das alte Bahnhofsgebäude sowie die angrenzende Lagerhalle sanieren und für seine Familie zur neuen Heimat machen. Das Nutzungskonzept ist vielfältig: Im Erdgeschoss soll ein öffentlicher Bereich mit Kiosk und Automatenangebot entstehen. »Wir möchten vierundzwanzig Stunden hier auf sein«, erklärte Ghaderpour seine Pläne für den Kioskbetrieb, den seine Ehefrau übernehmen wird. Vier bis fünf SB-Automaten sollen das Angebot ergänzen.

Im ersten Obergeschoss plant die Familie Wohnraum für den Eigenbedarf sowie Gästezimmer mit Sanitärbereich. Auch das zweite Obergeschoss soll für Gästezimmer genutzt werden. Es sollen Zimmer mit Bad entstehen, gedacht für Pendler, Wanderer oder Monteure – oder für Reisende, die den letzten Zug oder Bus verpasst haben und in Blankenheim-Wald gestrandet sind. »Das habe ich selbst schon erlebt«, schmunzelt Ghaderpour. Die Lagerhalle will er für Handelstätigkeiten nutzen.

»Ich kann fast 80 Prozent selber machen«, betonte der gelernte Handwerker, der im Iran eine Baufirma und Immobilien besaß. Zusammen mit seinem erwachsenen Sohn will er den Großteil der Sanierungsarbeiten in Eigenleistung durchführen. Zwischen ein und zwei Jahre veranschlagt er für die Bauzeit. »Das Gebäude ist sehr gut. Die Wände, die Säulen, alles ist stabil«, zeigte sich Ghaderpour nach einer gründlichen Untersuchung des Objekts optimistisch.

Blankenheims Bürgermeisterin Jennifer Meuren freut sich: »Für uns ist das wirklich ein Glücksfall.« Ihr liegt der Fall des gebürtigen Kurden, der aus politischen Gründen aus dem Iran fliehen musste, besonders am Herzen.

»Shirko ist für mich ein Paradebeispiel der Integration«, sagt sie. »Er hat für achtzig Cent gearbeitet, bis er eine sozialversicherungspflichtige Stelle fand. Er war auf den Bus angewiesen, bis er sich ein Auto kaufen konnte. Er hat in der Gemeinschaftsunterkunft gelebt und sich so vorbildlich verhalten, dass er mit seiner Familie in eine andere Unterkunft umziehen konnte, bis er heute seine Miete selbst zahlt.«

Tatsächlich hat sich Ghaderpour, der seit 2020 in der Gemeinde lebt, ein neues Leben aufgebaut. Er arbeitet für die Gemeinde Blankenheim – als Hausmeister und Betreuer der Flüchtlingsunterkünfte. »Weil er so viele Sprachen spricht, ist das ideal«, sagt Jennifer Meuren. Für Ghaderpour und seine Familie steht fest: »Ich bleibe in Deutschland, auch weil meine Kinder immer sagen: Bitte Papa, wir möchten in Blankenheim sein, nicht nach Köln oder nach einer anderen Stadt.« Derzeit wohnt die Familie zur Miete in Uedelhoven.

Wenn alles glatt läuft, wird die Gemeinde das Gebäude für einen fünfstelligen Betrag an ihn verkaufen. Laut Guido Waters von der Gemeindeverwaltung wurde eine Bauvoranfrage beim Kreis für die geplante Mischnutzung bereits positiv beschieden.

Das Gebäude steht nicht unter Denkmalschutz. Dennoch hat die Gemeinde laut Waters mit Ghaderpour vereinbart, sich eng über die Maßnahmen abzustimmen. Bestimmte Besonderheiten wie der Schalterbereich oder die Außenansicht des Gebäudes sollen erhalten bleiben.

»Wenn der Vertrag geschrieben ist, möchte ich direkt anfangen«, hofft Shirko Ghaderpour darauf, bald loslegen zu können. Schließlich soll aus dem leerstehenden Bahnhof ein lebendiger Ort mit sicherer Aufenthaltsqualität für Besucher, Gäste und Pendler werden. Denn Ghaderpour weiß aus eigener Erfahrung, wie es ist, dort zu warten – oft im Dunkeln: »Wenn man hier strandet, strandet man wirklich« …


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