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Andrea Fischer

»Mein Beruf war mein Leben«

Region. August Justen, Altbürgermeister a. D. der Verbandsgemeinde Kell am See, wird 100 Jahre alt. Wir haben den junggebliebenen Rentner zuhause besucht.
August Justen, Altbürgermeister a. D. der Verbandsgemeinde Kell am See, wird 100 Jahre alt: 100 Jahre erleben nicht viele Menschen. Wie lebt jemand, der in diesen Tagen dieses besondere Jubiläum feiern darf? Wie denkt er, was möchte er jungen Menschen als Botschaft mit auf den Weg geben? Wir haben den Schweicher August Justen besucht.

Schweich/Kell am See. (MTB) »Ich stehe morgens auf und denke, das machst du heute alles. Und dann merke ich, dass ich doch nicht mehr alles kann.« Stolze 100 Jahre alt wird August Justen in diesen Tagen. Der rüstige Rentner ist eine echte Ausnahmeerscheinung, geistig noch topfit und sehr interessiert an allem, was rundherum passiert. Sein Alter vergisst man fast, wenn man mit ihm spricht. In seinen 100 Jahren hat er viel erlebt, Höhen wie auch Tiefen, dennoch ist er ein Optimist geblieben, ein Mensch, dessen Glas immer halbvoll ist. 30 Jahre lang war er Amtsbürgermeister in Kell und lebt seit 2011 in Schweich.

1958 bewarb August Justen sich um das Amt des Bürgermeisters

Nur fünf Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs kam August Justen 1923 in Hesweiler, Kreis Cochem-Zell, zur Welt. Mit 18 Jahren zog er in den Krieg, kehrte am 27. Mai 1945 nach Hause zurück. Dieses Datum hat sich in seinem Gedächtnis fest eingeprägt, er muss nicht lange nachdenken, um es zu nennen. Zwölf Jahre lang arbeitete er in der Amtsverwaltung Klüsserath und stieg schnell zum Büroleiter auf. Als 1958 ein neuer Amtsbürgermeister für das Amt in Kell gesucht wurde, bewarb sich August Justen und wurde anschließend der jüngste Bürgermeister im Bezirk Trier. In den 30 Jahren Amtszeit bewegte er viel und ist heute stolz auf das, was er auf den Weg gebracht hat. »Ich war nicht der kleine Landbürgermeister«, sagt er über sich selbst und schmunzelt. Er war einer, der Einsatz zeigte, ein persönliches Netzwerk aufbaute, das bis zur Bundesebene reichte. Justen war in vielen Gremien unterwegs, erhielt unzählige Ehrungen und Auszeichnungen. Ein rastloser Macher, der versuchte, seine Ideen pragmatisch und zum Vorteil seiner Region umzusetzen. Seine Hauptantriebsfeder war, wie er immer wieder betont, den Menschen im Hochwald zu helfen, ihnen ein besseres Leben zu ermöglichen.

Ein rastloser Macher, in zahlreichen Gremien unterwegs

Es gab hier so viele arme Leute, die weggingen, um in der Ferne Arbeit zu finden.« Es galt, große Aufgaben zu bewältigen, »jeden Tag stand etwas Neues an«, resümiert er rückblickend. Bilstein kam, die heutige Ferienlandschaft und der Stausee entstanden unter seiner Ägide, der Hochwald öffnete sich dem Tourismus. Er führte Strukturveränderungen im ländlichen Raum durch, Arbeitsplätze vor Ort wurden geschaffen. Besonders Menschen aus ärmlichen Verhältnissen lagen Justen immer am Herzen. So konnte er viele Bewohner aus den ärmlichen Manderner Hütten vernünftig unterbringen und ihnen Arbeitsstellen besorgen.

Beruflich war er viel unterwegs, für die kleine Familie mit Ehefrau Hildegard und die beiden Söhne blieb ihm nicht immer viel Zeit.

Trotz harter Schicksalsschläge kam Aufgeben nie in Frage

Bis 2011 lebte das Ehepaar in Kell am See, zog dann nach Schweich, weil der älteste Sohn in der Nähe wohnte und seine Frau mehr Pflege benötigte. Noch drei Jahre lang lebten sie in der gemeinsamen Wohnung in Schweich, bis das Altersheim zum Domizil seiner mittlerweile pflegebedürftigen Frau wurde. Auch hier entpuppte sich August Justen wieder als der geborene Organisator, war sogar zwei Jahre lang Vorsitzender des Bewohnerbeirates. Täglich besuchte er Hildegard, wie er sagt, vor sechs Jahren ist sie verstorben. Die persönlichen Schicksalsschläge der letzten Jahre bedrücken ihn heute sehr, stimmen ihn traurig, besonders der Tod seiner Frau und seines ältesten Sohnes sowie der Tod seines letzten noch lebenden Bruders im vergangenen Jahr.

Heute lebt August Justen trotz seines hohen Alters immer noch selbständig in seiner kleinen ebenerdigen Wohnung, die zu einer schönen, mit Blumen bestückten Terrasse führt. Hier genießt er die ersten Frühlingstage.

Großes Interesse an Politik und Weltgeschehen

Im Alltag braucht er nur wenig Hilfe, dabei wird er von seiner Familie tatkräftig unterstützt. Kleinere Spaziergänge kann er noch bewältigen, ansonsten schaut er sich gerne Nachrichten an. Justen zeigt noch großes Interesse am politischen Weltgeschehen, das er mit Spannung verfolgt. Bis zum heutigen Tag ist er Mitglied in verschiedenen Gremien, unter anderem gehört er seit 1983 einem Riesling-Stammtisch aus Trier an, den er bis vor einem halben Jahr immer noch regelmäßig besucht hat.

Sorge um zunehmende Vereinsamung älterer Menschen

Eine Sache jedoch ist es, die ihn neben den persönlichen Schicksalsschlägen belastet: Die zunehmende Vereinsamung von älteren Menschen. Deshalb lautet seine große Bitte an die heutige Generation: Er wünsche sich inständig, dass alte Menschen weniger ausgegrenzt werden vom Alltag und vom Tagesgeschehen. Sie sollten mehr am öffentlichen Leben beteiligt werden. »Man wird einsamer, das ist nicht schön!«

Auch wenn er des Öfteren in Gedanken sein Leben sprichwörtlich an sich vorbeiziehen lässt, so bleibt er nicht in der Vergangenheit hängen, ist immer am Tagesgeschehen interessiert und macht sich auch Gedanken um die Klimaveränderung. »Maßnahmen dagegen sind notwendig, aber mit Augenmaß«. Letztendlich ist es aber eine große Dankbarkeit, die ihn erfüllt, besonders seiner Familie gegenüber. »Ich bin meinen Eltern sehr dankbar für meine von Obhut und Fürsorge geprägte Kindheit«, sagt er. Er danke auch Gott, dass er ihn durch schwere Zeiten geführt habe. »Es ist wunderschön, für Menschen da zu sein.« Am wichtigsten ist ihm in diesen Tagen jedoch die Zuneigung seiner kleinen Familie, besonders die der Enkeltochter Alexandra und von Urenkel Max. Die Gedanken bleiben jung, leider altere der Körper, sagt er. »Was würde ich so gerne noch was tun.«


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