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Johannes Mager

1.300 Menschen gedenken dem Jahrestag der Flutkatastrophe

Bad Neuenahr. Eine schlicht gehaltene Gedenkveranstaltung im Kurpark Bad Neuenahr erinnerte an die Opfer, machte aber auch Hoffnung.

Viel deutet darauf hin, dass es ein ganzer normaler Sommertag in der Kreisstadt Bad Neuenahr-Ahrweiler ist. Sonniges Sommerwetter, Jugendliche spielen Volleyball auf dem Sandfeld am Peter-Joerres-Gymnasium, Autos wälzen sich über die Zufahrtstraßen, Radfahrer sind unterwegs. Doch die vielen Baustellen, noch sichtbaren Zerstörungen und leeren Erdgeschosse zeugen davon, dass es kein normaler Sommertag ist. Heute jährt sich erstmals der Tag, der ein komplette Region schlagartig verändert hat. Im Kurpark Bad Neuenahr hat die Kreisverwaltung die offizielle Gedenkveranstaltung zur Jahrestag der Flutkatastrophe organisiert. Platz haben 2.000 Menschen, rund 1.300 Teilnehmer sind gekommen. Unter ihnen ist auch Bundeskanzler Olaf Scholz, der leicht verspätet während der Rede von Landrätin Cornelia Weigand, am Tag der Flut noch Bürgermeisterin der Verbandsgemeinde Altenahr, ankommt. Er reiht sich ein neben Ministerpräsidentin Malu Dreyer, Umweltministerin Katrin Eder, Wirtschaftsministerin Daniela Schmitt, den Bad Neuenahr-Ahrweiler Bürgermeister Guido Orthen und weiteren Gästen. Keine Stühle, kein abgegrenzter Bereich, nur ein mit weißem Stoff bezogener Stehtisch.

"Das heutige Gedenken hat eine klare Botschaft", sagt Dreyer: "Die Menschen im Ahrtal sind nicht alleine und können auf eine große Verbundenheit aus dem ganzen Land zählen. Gemeinschaft zeigt sich besonders in schweren Zeiten und besonders dort, wo es nur zusammen weitergeht." Das Versprechen von vergangenem Jahr gelte: Das Ahrtal werde nicht vergessen. "Es wäre vermessen zu sagen, ich kann es nachfühlen. Aber ich kann verstehen, dass viele so empfinden und ich kann mitfühlen, weil das Leid, die Trauer um die Toten und die Zerstörung so groß sind", so Dreyer. Zuvor hatte Landrätin Weigand an die 134 Toten und immer noch zwei Vermissten erinnert: "Die Zahl aller tatsächlichen Opfer ist größer, ist nicht zu beziffern. Die Dimension der Verletzungen an Leib und Seele ist ohnehin unfassbar. Am Ender der Worte bleibt noch so viel Trauer." Die Trauer lasse sich nicht mit Worten beschreiben, sondern brauche Raum und dürfe sich diesen nehmen, wann immer es nötig sei. Mit seinem Beitrag berührte Bürgermeister Orthen die Menschen sehr. Er hielt auf der Bühne Zwiesprache mit der "Seele" eines Verstorbenen. "Wir Seelen sind nur auf der anderen Seite, wir sind nicht weg. Unser Stuhl bleibt zwar leer, aber wir sind jeden Tag, jede Stunde - und gerade jetzt - mitten unter euch." Orthen berichtete der Seele von der täglichen "Achterbahnfahrt" der Menschen im Ahrtal. "Die Solidarität der Menschen war und ist unbeschreiblich", berichtete er und sprach von der Dankbarkeit der Menschen. "Aber viel von uns sind einfach müde, verausgabt. Auch enttäuscht darüber, dass der Wiederaufbau zu Hause im eigenen Haus, aber auch der Infrastruktur teilweise nur langsam vorangeht. Schnell und unbürokratisch ist eben nicht immer. Dass viele Faktoren daran hindern, dass es nicht schneller geht, mache manchmal mürbe, manchmal wütend. Die Seele erklärte: "Ihr dürft nicht nur wiederaufbauen und damit alles so machen, wie es war. Ihr seid uns und den Generationen nach euch schuldig, den Katastrophenschutz zu verbessern, damit Menschen ihr Leben nicht auf diese Weise verlieren."

Auch Betroffene aus Schuld, Sinzig, Bad Neuenahr, Altenburg kamen zu Wort. Sie betonten vor allem die vielfältige Hilfe der Menschen, die ins Ahrtal kamen. Zwischenapplaus erhielt Michaela Sebastian, Leiterin des Maternus-Stifts in Altenburg, als sie davon berichtete, dass sie und ihre Kollegen es geschafft hatten, alle 87 Bewohnerinnen und Bewohner des Hauses in die zweite Etage und auf das Dach zu retten - während ihr eigenes gegenüberliegendes Haus langsam im Wasser versank. "Hätten meine Kinder nicht nachmittags gesagt, wir müssen hier raus, hätte ich am späten Abend im ersten Stock unseres Hauses gestanden", berichtete eine Betroffene aus Schuld. Emotionale Momente erzeugte eine Videoinstallation, die alle Namen der Verstorbenen zeigte und diese nach und nach in Sterne am Himmel verwandelte - untermalt von Live-Gitarrenmusik von Stephan Maria Glöckner. Der Musiker sang im Anschluss mit Nadja Fingerhuth die Eigenkomposition "Restlos" und später eine umgedichtete Interpretation der Songs "Hinterm Horizont" und "Immer wieder geht die Sonne auf". Die "Rhein-Ahr-Spatzen" intonierten den Spiritual "Nobody Knows The Trouble I've Seen" und "Ich bete an die Macht der Liebe". Einen Traumtanz trug das "Theater Feuervogel" aus Schuld zum Programm bei. Ein Zeichen der SolidAHRität und Verbundenheit erzeugte die Menschenkette, zu der Guido Orthen die Anwesenden aufrief. Am morgigen Freitag, 15. Juli, wird um 18 Uhr in allen Orten entlang der Ahr eine Menschenkette gebildet. Dazu werden alle Kirchenglocken läuten.


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