Nikolas Leube

Aloysius Söhngen: "Politik muss Probleme lösen"

Prüm. Nach 34 Jahren als Bürgermeister der Verbandsgemeinde Prüm verabschiedet sich Aloysius Söhngen (69) aus dem Amt. Im exklusiven Interview mit dem WochenSpiegel spricht er über seine ersten Eindrücke von der Abteistadt, das Zuhören – und warum Politik keine Unterhaltung sein darf.

Eine Ära geht zu Ende: Aloysius Söhngen scheidet nach 34 Jahren als Bürgermeister der Verbandsgemeinde Prüm aufgrund des Überschreitens der Altersgrenze aus.

Eine Ära geht zu Ende: Aloysius Söhngen scheidet nach 34 Jahren als Bürgermeister der Verbandsgemeinde Prüm aufgrund des Überschreitens der Altersgrenze aus.

Bild: Nikolas Leube

Interview: Nikolas Leube

Sie sind 1991 das erste Mal nach Prüm gekommen – stammen aus dem Westerwald. Was war Ihr erster Eindruck?

Söhngen: Es war ein ungewöhnlicher erster Eindruck. Ich kam im Stau in die Stadt – ausgerechnet am Tag der Grenzlandschau, an dem hier alle zwei Jahre Hochbetrieb herrscht. Mein erster Gedanke war: „Oh Gott, was ist das?“ Aber gleich darauf habe ich gesehen, wie schön Prüm ist. Wenn man die Basilika mitten im Wald sieht, versteht man sofort, warum man Prüm Waldstadt nennt.

Die CDU hatte Sie damals gefragt, ob Sie für das Amt des Bürgermeisters kandidieren wollen. Wie muss man sich so eine Anfrage vorstellen?

Söhngen: Ganz schlicht: Ich wurde angerufen – „Bewerben Sie sich doch mal.“ Die Stelle war ausgeschrieben, ich habe meine Unterlagen eingereicht, und dann nahm alles seinen Lauf. Damals war es noch eine Ratswahl, es gab mehrere Bewerber. Im dritten Wahlgang wurde ich gewählt – spannend, weil auch SPD und eine freie Wählergemeinschaft Kandidaten hatten.

Zuerst wurden Sie vom Rat gewählt, später dann direkt – und das mit großen Mehrheiten. Was war aus Ihrer Sicht das Erfolgsrezept, und wie würden Sie Ihren Führungsstil nach so vielen Jahren beschreiben?

Söhngen: Ein Erfolgsrezept habe ich nicht. Mein Stil war: zuhören und gemeinsam nach Lösungen suchen. Punkt.

Wenn Sie auf 34 Jahre als Bürgermeister zurückblicken – welche Meilensteine oder Projekte sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Söhngen: Da gibt es viele. Ich kann hier nur Beispiele nennen wie die Nachnutzung der ehemaligen US-Housing in Prüm, die Entwicklung der Gewerbe- und Industrieflächen in Weinsheim, Prüm-Dausfelder Höhe, Bleialf und Schönecken. Die Dorferneuerung in vielen Ortsgemeinden und natürlich die städtebauliche Entwicklung in Schönecken und Prüm mit der Neugestaltung des Hahnplatzes und, und. In Erinnerung bleiben natürlich die Großveranstaltungen Deutscher Wandertag und Rheinland-Pfalz-Tag, die Prümer Sommerveranstaltungen und die Radfahrsonntage. Immer getragen von einem großen ehrenamtlichen Engagement der Bürgerinnen und Bürger, für das ich sehr dankbar bin.

In den 34 Jahren hat sich sicher vieles verändert. Was hat sich für Sie am meisten gewandelt?

Söhngen: Am meisten die Geschwindigkeit. Früher schrieb man einen Brief mit der Schreibmaschine. Tippfehler, Tippex, neu einspannen – und bis er beim Empfänger war, vergingen fünf Tage. Bis eine Antwort zurückkam, oft ein Monat. Heute schreibst du etwas, und binnen Sekunden erwarten alle eine Reaktion. Politik braucht aber Zeit und Nachdenken. Was mir fehlt, ist dieses Innehalten. Heute soll eine Idee morgens formuliert, mittags ins Programm geschrieben und übermorgen finanziert sein. Das kann nicht funktionieren. Wir brauchen mehr Zeit für Prozesse und weniger die schnelle, vermeintlich einfache Lösung. Und wir sollten Meinungsverschiedenheiten nicht sofort als Streit darstellen. Das ist kein Streit, das ist Dialog. Unterschiedliche Positionen sind wichtig, weil daraus – im Sinne hegel’scher Dialektik – eine Synthese entstehen kann, die besser ist als beides zuvor. Stattdessen wird Politik heute oft auf ihren Unterhaltungswert reduziert, irgendwo zwischen Schlagershow und Krimi. Aber Politik ist keine Unterhaltung. Politik muss Probleme lösen. Und wer Politik macht, muss den Willen haben, Probleme zu lösen – und nicht nur sich selbst darzustellen.

Hat sich auch die Beteiligung der Menschen verändert?

Söhngen: Die war in unserer Region schon immer hoch. Die Leute identifizieren sich mit ihrem Dorf, ihrer Stadt. Was abnimmt, sind feste Beteiligungsstrukturen. Aber die Feuerwehr ist ein gutes Beispiel: 1991 über 1000 Mitglieder, heute auch noch über 1000. Das zeigt, dass Gemeinschaft lebt.

Sie gelten als jemand, der immer ein offenes Ohr für die Bürgerinnen und Bürger hatte. Wie haben Sie diesen Dialog gepflegt?

Söhngen: Vor allem durchs Zuhören. Die meisten Probleme lösen sich, wenn man signalisiert: Ich komme nicht, um euch etwas überzustülpen, sondern um mit euch zu reden. Manche Wünsche sind erfüllbar, andere nicht – sei es aus rechtlichen oder finanziellen Gründen.

Wie geht man damit um, wenn die Erwartungshaltung und das Machbare auseinandergehen?

Söhngen: Indem man von vornherein klarstellt, was geht und was nicht – nachvollziehbar und transparent. Wenn man das offen sagt, akzeptieren die Menschen das. Die Menschen hier sind sehr realistisch. Es ist besser, ehrlich zu sein, als erst Hoffnung zu wecken und dann zu enttäuschen.

Was würden Sie jungen Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern gerade in der heutigen Zeit mit auf den Weg geben?

Söhngen: Es ist erfüllend, etwas für die Gemeinschaft zu tun. Aber man braucht einen langen Atem. Ein Problem löst sich nicht mit einer schönen Nachricht auf Facebook oder Instagram. Dahinter steckt Arbeit und oft lange Prozesse. Und man sollte immer im Kopf behalten: Der andere könnte auch recht haben.

Was haben Sie Ihrem Nachfolger mitgegeben?

Söhngen: Dass er seinen eigenen Stil finden muss. Er ist jünger, wird andere Kommunikationswege nutzen. Aber entscheidend bleibt: den Menschen zuhören.

Sie beschreiben Ihre Werte als christlich-traditionell. Was bedeutet das für Sie – und wie hat es Ihr Handeln geprägt?

Söhngen: Für mich heißt das: nicht für sich selbst da sein, nicht für die eigene Karriere, sondern für andere. Besonders für die, die schwach sind und Unterstützung brauchen. Es geht dabei nicht immer um Geld oder materielle Dinge. Viel wichtiger ist die Haltung: jeden Menschen ernst nehmen und ihm mit Respekt begegnen. Auch wenn man nicht jedem helfen kann, muss dieser Grundgedanke bleiben – das hat mein Handeln immer geprägt.

Sie waren auch 16 Jahre lang Vorsitzender des Städte- und Gemeindebundes Rheinland-Pfalz. Hat es Sie nie gereizt, in die Landespolitik zu wechseln?
Söhngen: Nein. Mich hat die Kommunalpolitik immer gereizt: das unmittelbare Gestalten, der direkte Kontakt mit den Menschen. Das gibt es woanders so nicht. Deshalb habe ich meine Arbeit von Anfang an gerne gemacht – bis heute.

Gehen Sie jetzt wirklich in den Ruhestand? Und was wünschen Sie sich für die Kommunen in der Zukunft?

Söhngen: Politisch ja – außer im Kreistag, dort bin ich bis 2029 gewählt. Außerdem bleibe ich in Vereinen aktiv, etwa bei der Lebenshilfe, im Förderkreis Krankenhaus oder bei den Basilika-Freunden. Privat freue ich mich auf mehr Zeit für meine Frau, Kinder und Enkel. Wir haben auch Pferde und einen Hund – Langeweile wird es nicht geben.
Für die Kommunen wünsche ich mir weniger Überlastung. Es ist leicht, einen Rechtsanspruch auf Kita-Plätze ins Gesetz zu schreiben. Aber gebaut ist damit kein Platz und eingestellt keine einzige Erzieherin. Wir brauchen mehr Realismus.


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