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Klaus Desinger

Willkommen in der Weltfabrik

„Pro 7 dreht gerade auf dem Gelände, für das Wissenschaftsmagazin Gallileo“, begrüßt Andreas Scholz den WochenSpiegel in einem der drei neuen Gebäude des International Commercial Center Neubrücke (ICCN), dessen CEO, Geschäftsführer, er ist. Das mediale Interesse für das neue Chinatown im Hunsrück ist groß. Angesiedelt im Oak Garden, dem Eichengarten, auf dem Gelände der ehemaligen Housings der US-Streitkräfte in unmittelbarer Nähe zum Umwelt-Campus.

„Headquarter der Weltfabrik“ prangt in großen Lettern selbstbewusst auf Deutsch und Chinesisch am Schild vor dem Eingang. Weltfabrik? Das erklärt Scholz (38) so: „China ist bekannt als die Werkbank der Welt. Vieles, was wir im alltäglichen Leben benutzen, wie Handys und Computer, wird dort produziert.  Und durch die „Weltfabrik China“ verkauft.
Scholz ist ein viel beschäftigter Mann und Macher. Vor fünf Jahren traf der Sales Manager zufällig die chinesische Geschäftsfrau Jane Hou am Frankfurter Airport. Die beiden kamen ins Gespräch und Hou berichtete von ihrer Vision, chinesische Geschäftsleute in Deutschland anzusiedeln. Scholz kündigte seinen damaligen Job, flog ins Reich der Mitte, wurde Büroleiter in Hoppstädten-Weiersbach und fungiert heute gemeinsam mit Hou als geschäftsführender Gesellschafter der ICCN. Im Oak Garden haben sich mittlerweile 160 chinesische GmbHs angesiedelt, ebenso viele Apartments gibt es. In den drei Neubauten weitere 50 Firmen. Einen Unternehmer mit nur einem Geschäftsfeld gibt es kaum
Die Geschäfte spalten sich auf in 75 Prozent Handel und 25 Prozent Dienstleistungen. Einen Unternehmer mit nur einem Geschäftsfeld gibt es in China kaum. In Personalunion werden da schon mal Maschinenbau, Beauty-Produkte, Wein und Reifen angeboten. Oder ein Krankenhausbetreiber handelt mit medizinischen Geräten, Reinigungsmitteln und Riesling von der Mosel.
Netzwerke sind sehr wichtig, Deals werden beim Abendessen am runden Tisch gemacht.
Im Oak Garden wird alles Mögliche vertrieben, Textilien, LED-Produkte, Taschen, Kochtöpfe, Bier. Auch deutsche Firmen, wie das Porzellanhaus Käfer aus Sohren, haben hier inzwischen eine Dependance gegründet. Käfers Produkte seien gefragt in China. Insgesamt 600 Mitarbeiter leben hier mitten im Grünen, während die Geschäftsführer oft pendeln. Großeltern ziehen mit nach Deutschland
Für sie werden in Kürze auch Einfamilienhäuser und Villen im Luxussegment gebaut, einige haben sich selbst schon nach Immobilien in der Gegend umgesehen beziehungsweise solche bezogen. In den Unternehmen arbeiten sehr viele Frauen. Oft ziehen die Großeltern mit nach Deutschland und kümmern sich um ihre Enkel. Die Region jedenfalls ist offen für die Neubürger, wahrscheinlich auch, weil sie seit Jahrzehnten eine Partnerschaft zu den US-Soldaten pflegten und Fremde eben keine Fremde sein müssen. Außerdem ist man durch die Historie der Edelsteinregion an Menschen aus aller Herren Länder gewöhnt. Ein weiterer Willkommensfaktor ist auch die Wirtschaftskraft durch den Zuzug der Asiaten. Integration ist nicht das geringste Problem

Integration jedenfalls stelle hier nicht das geringste Problem dar. Die Kinder besuchen Kitas und Schulen, viele Mitarbeiter lernen Deutsch und genießen die Ruhe und die schöne Landschaft, was ihnen in den Großstädten Chinas nicht vergönnt ist. Auch mit dem Bildungssystem kann Deutschland bei den Geschäftsleuten punkten, das hat für sie einen sehr hohen Stellenwert. Es werden Studienvorbereitungskurse für chinesische Abiturienten im Rahmen des Freshment-Programms angeboten. Drei Semester. 80 Studierende sind zurzeit am Umwelt-Campus. Außerdem plant Scholz ein Fußballcamp für chinesische Kids am 15. August. Auch wieder Integration. Im Reich der Mitte grassiert derzeit das Fußballfieber. 90 Prozent der Asiaten fühlen sich wohl im Hunsrück
90 Prozent der Zugereisten würden sich wohl fühlen im Hunsrück.
„Sie verhalten sich sehr ruhig, nehmen am Vereinsleben teil, spielen Tischtennis oder Badminton“, weiß Scholz.
Er schwärmt von der asiatischen Dynamik: „Wir sind hier immer in Bewegung. Planungen, Bildungsprojekte, Fußballcamps.
50 Mitarbeiter und vier Büros im fernen Osten hat das Investitionsprojekt. „Die Kulturen haben beide unfassbare Stärken, wenngleich Denkweisen und Kultur sehr unterschiedlich sind“, betont der gelernte Groß- und Außenhandelskaufmann. „Wer in China eine Idee hat, muss sie sofort umsetzen, er kann nicht zögern, sonst verwirklicht sie ein anderer“, weiß Scholz. Er sieht sich und sein Team auch als Mittler zwischen Behörden und Botschaften. 500 weitere Investoren sollen kommen
In fernerer Zukunft möchten die Geschäftsführer gerne zwölf weitere Gebäude mit 500 Investoren schaffen. Doch zunächst will man „gesund wachsen“. Ein weiterer Traum der Geschäftsführung ist die Ansiedlung von produzierenden Unternehmen. Scholz schwebt zum Beispiel Reisanbau mit Biosiegel vor, auch für den Export nach Fernost. In naher Zukunft schon könnte der Oak Garden Europas größtes Großhandelscenter sein. Schon jetzt sei es das größte Business-Center auf dem Kontinent. Die Chinesen würden langfristiger denken und vor allem an die Rendite.
Schlendert man vorbei an den neuen Gebäuden, erkennt man in den Schaufenstern diverse Showrooms, ausgestattet mit dem, was die Chinesen verkaufen. „Einzelhandel dürfen wir hier nicht betreiben“, ergänzt Scholz, so bleibt das chinesische Glück nur den Großhändlern vorbehalten. „Am Wochenende fahren hier oft Leute spazieren und schauen sich alles an“, verrät der CEO. Da fühle man sich wie im Zoo, aber die Neugierde sei ja auch verständlich. Text/ Fotos: Klaus D. Desinger
   


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