Seitenlogo
Stephanie Baumann

Nahrungsmittel werden knapper - Bauern fordern Neuausrichtung der Agrarpolitik

Der Krieg in der Ukraine hat massive Folgen für Europa, die Verbraucher und die Agrarwirtschaft. Das betrifft nicht nur die explodierenden Energiekosten. Die Landwirte in der Region machen sich Sorgen um die Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln und fordern die Politik zum Handeln auf. Inzwischen hat der Bauern- und Winzerverband Rheinland-Nassau eine Resolution zur Neuausrichtung der Agrarpolitik verabschiedet.
Machen sich Sorgen: Manfred Zelder und Stefan Fiedler.

Machen sich Sorgen: Manfred Zelder und Stefan Fiedler.

Bild: S.Baumann

"Angesichts leerer Regale in den Supermärkten ist das Verständnis der Verbraucher für die Landwirte wieder gewachsen", sagt Manfred Zelder. Glücklich ist er darüber nicht. Denn der Hintergrund ist ernst: Horrende Energiekosten, Futtermittel- und Düngerknappheit sowie politische Auflagen provozieren offenbar, was sich niemand wirklich vorstellen möchte: Die Nahrungsmittel werden knapper. "Unsere Erträge sind sowieso nicht mehr so, wie wir das gewohnt waren. Wir haben große Sorge, dass wir die Bevölkerung nicht mehr ausreichend und qualitativ hochwertig versorgen können. Zudem ist die Situation für viele Betriebe existenzgefährdend", mahnt der Vorsitzende des Kreisbauern- und Winzerverbandes Bernkastel-Wittlich. (Hinweis: Der langjährige Vorsitzende Manfred Zelder hat sein Amt nach Redaktionsschluss geplant abgegeben. Die Delegiertentagung wählte vor kurzem die Landwirtin Vera Steinmetz aus Malborn-Thiergarten zu seiner Nachfolgerin, d. Red.).
 
"Der Hunger wird weltweit größer"
 
Die negative Entwicklung zeichnete sich bereits in den letzten neun Monaten ab, hängt nicht alleine am Ukraine-Krieg. "Die Nahrungsmittel werden weltweit knapper und der Hunger größer." Weniger leistungsfähige Tiere, stetig geringer werdende Ernten bei Getreide oder Gemüse: zusammen mit den immer neuen Auflagen, Stilllegungsabsichten und Verordnungen stranguliere das die Bauern regelrecht und erschwere ihnen die Arbeit, ergänzt Stefan Fiedler, Zelders Amtskollege im Eifelkreis. Seit Kriegsbeginn sind auch die Landwirte in den Kreisen Wittlich-Bernkastel und Bitburg-Prüm von wichtigen Märkten abgeschnitten. Denn aus der Ukraine und Russland kommen nicht nur rund 30 Prozent der weltweiten Weizen- und Gersteexporte, sondern auch fast 80 Prozent der globalen Menge an Sonnenblumen- und Rapsöl. Zusatzprobleme: Die Landwirte kommen nicht mehr an gentechnikfreie Eiweißträger, Raps- und Sojafuttermittel werden für längere Zeit nicht mehr zur Verfügung stehen. Die derzeitigen Versorgungsengpässe beim Dünger (dessen Kosten aktuell um 500 Prozent! gestiegen sind) wirken sich ebenfalls direkt auf den Ertrag aus.
 
"Wir brauchen praktikable Rahmenbedingungen"
 
"Kein Landwirt ist gegen Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Wir brauchen aber praktikable Rahmenbedingungen und keine ideologischen Ideen. Eigentlich sollte die Politik schützend die Hand über die Landwirte halten und ihnen die Kompetenz zusprechen, auf eigenem Grund und Boden mehr Nahrungsmittel zu produzieren", ergänzt Fiedler. Die EU-Kommission hat inzwischen ihre agrarpolitische Reaktion (begrenzt auf das Jahr 2022) auf die angespannte Situation auf den Agrar- und Energiemärkten vorgestellt, den "green deal" teilweise ausgesetzt und unter anderem den Anbau "beliebiger Kulturen für Nahrungs- und Futtermittelzwecke" auf Ökologischen Vorrangflächen erlaubt. Dabei dürfen auch Dünge- und Pflanzenschutzmittel zur Anwendung kommen. "Eine sehr gute Entscheidung," sagt Pascal Kersten, Geschäftsführer des Kreisbauern - und Winzerverbandes Bernkastel-Wittlich. "Der eigentliche Skandal ist aber, dass die Bundesregierung aktuell überhaupt nicht vorhat, die neuen Handlungsspielräume der EU zu nutzen." Deutsche Landwirte sollten, anders als ihre Kollegen in anderen EU-Mitgliedstaaten, auf brachliegendem Acker keine Ackerfrüchte für die Nahrungsmittelproduktion anbauen dürfen. Bundesagrarminister Cem Özdemir will Vorrangflächen nur zur Futternutzung freigeben.
 
Die Kernforderungen der Landwirte
 
Die Bauern in der Region fordern die Politik zum Umdenken auf und haben einen sechs-Punkteplan vorgelegt. Damit der Ertrag gesteigert werden kann, verlangen sie die Aussetzung der Pflicht zur Stilllegung von mindestens vier Prozent der Ackerflächen, wie es die GAP-Reform ab 2023 vorsieht. "Wir brauchen diese Anbauflächen jetzt." Auch ein verpflichtender, starrer Fruchtwechsel greife in die Anbauplanung der landwirtschaftlichen Betriebe ein und gefährde vor allem die Bereitstellung von ausreichend Futter und agrarischen Rohstoffen zur Energieerzeugung. Dritter Punkt: Eine vollständige Befreiung des "Agrardiesels" von der Steuerbelastung. Auch die Düngeverordnung soll auf den Prüfstand. Weitere Kernforderungen: den Umbruch von Grünland in Ackerfläche zu ermöglichen und die Erhöhung der Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete in Rheinland-Pfalz. Rund 80 Prozent der Vollerwerbs-Betriebe in der Region gehören dazu. "Wir in Deutschland werden zwar keinen Hunger leiden", glaubt Andreas Lenz, Geschäftsführer des Kreisbauernverbandes Bitburg-Prüm. "In ärmeren Ländern in Afrika oder Asien sieht das aber gravierend anders aus. Es gibt auch eine soziale Verpflichtung hier zu helfen."
 
Verbandsrat verabschiedet Resolution
 
Der Verbandsrat des Bauern- und Winzerverbandes Rheinland-Nassau hat deshalb nach intensiver Diskussion eine Resolution verabschiedet und eine Anpassung der Agrarpolitik an die neuen Herausforderungen gefordert. "Die Landwirte sehen sich zu allererst in der Verantwortung, die Versorgung mit Lebensmitteln sicherzustellen", betont BWV-Präsident Michael Horper. Aber auch hinsichtlich der dringend notwendigen Selbstversorgung bei der Energieversorgung sei die Landwirtschaft ein wichtiger Partner. Die Stellschrauben, die kurzfristig angepasst werden müssen, werden in der Resolution aufgezählt. Nun liegt es an der Politik, die Zeichen der Zeit zu erkennen und das Potential der heimischen Landwirtschaft zu nutzen, um Hungersnöte in Entwicklungsländern und Unruhen wegen Preisexplosionen bei Grundnahrungsmitteln in Schwellenländern zu verhindern. "Was heute nicht gesät wird, kann morgen nicht geerntet werden", kritisiert Präsident Horper.
 
Im Detail listet die Resolution des Bauern- und Winzerverbandes Rheinland-Nassau zur aktuellen Agrarpolitik anlässlich des Ukraine-Krieges folgende Maßnahmen:
"• Neben dem Klima- und Umweltschutz muss die Ernährungssicherheit bei der Umsetzung der Gemeinsamen Agrarpolitik gleichwertig berücksichtigt werden.
• Anbaurestriktionen müssen auf den Prüfstand gestellt werden. Eine verpflichtende Flächenstilllegung passt nicht in die Zeit.
• Der Fruchtwechsel auf Ackerflächen muss praxistauglich gestaltet werden, starre Regelungen gefährden die Versorgungslage.
 • Die europäische Farm-to-Fork-Strategie gibt eine pauschale und damit nicht situationsangepasste Reduzierung beim Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln vor. Wir fordern stattdessen betriebsangepasste Strategien zum Schutz und zur Ernährung unserer Pflanzen.
• Wir fordern ein Aussetzen der pauschalen Einschränkung der Düngung in Roten Gebieten unter Bedarf. Stattdessen benötigen wir zur optimalen Pflanzenernährung und Sicherung der Ernten eine einzelbetriebliche Düngebilanzierung. Wir müssen weiterhin in der Lage sein, Brotweizen zu produzieren.
 • Die Energiesteuer bei Treibstoffen, insbesondere beim „Agrardiesel“, muss vorübergehend ausgesetzt werden.
 • Wir unterstützen neue Züchtungstechniken, um nachhaltig effizient und klimaresilient zu wirtschaften.
• Wir mahnen eine schrittweise Erhöhung des Mindestlohnes auf zwölf Euro sowie die erneute Verlängerung der Zeitgrenzen für die sozialversicherungsfreie kurzfristige Beschäftigung an. Nur so können bei den regionalen Erzeugern die Obst- und Gemüseernten zur Versorgung der heimischen Bevölkerung mit ausreichend frischer Ware gesichert werden. Außerdem trägt diese Vorgehensweise zur Stabilisierung der Weinwirtschaft und dem Erhalt des Steillagenweinbaus bei.
 • Im Rahmen der anstehenden Überlegungen zur Novellierung des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes muss die besondere Situation der bäuerlichen Biogasanlagen im Blick behalten werden. Gerade die kleineren Anlagen bis zu einer Leistung von 500 kW tragen erheblich zur Stabilität der Energieversorgung (Grundlast und Spitzenlast) bei und müssen in eine gesicherte Zukunft überführt werden. Der weitere Ausbau von Güllekleinanlagen ist klima- und energiepolitisch geboten.
 • Das Grundgesetz muss um das Staatsziel Ernährungssicherung ergänzt werden."


Meistgelesen