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Als der braune Mob das Sagen hatte

In Deutschland gilt der heutige 27. Januar als Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. 2005 wurde dieser Tag von den Vereinten Nationen zum internationalen Holocaust-Gedenktag erklärt und erinnert an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee am 27. Januar 1945. Für den WochenSpiegel schildert der Historiker Harald Bongart die Tragödie der jüdischen Familie Isay, die in der Reichspogromnacht am 9. November 1938 in Münstereifel erstmals die Brutalität der Nazis am eigenen Leib erfahren musste. Während der Vater später im letzten Moment fliehen konnte, überlebten die Mutter und die beiden Kinder den Nazi-Terror nicht.

Unter den Tritten der schweren Stiefel splitterte das Türholz. Gewaltsam verschaffte sich die Menge, die eben noch im Haus des Viehhändlers Andreas Kaufmann am Entenmarkt gewütet hatte, auch hier den Zutritt zur Wohnung. Vom Entenmarkt bis zum Wohnhaus von Adolf Wolff in der Johannisstraße waren es nur ein paar Meter. Die Familie, die jetzt dem nationalsozialistischen Furor hilflos ausgeliefert war, wohnte noch nicht lange in Münstereifel. Sie umfasste insgesamt vier Personen: Den Vater Max, 44 Jahre alt, die Mutter Else, 39 Jahre alt, und die beiden Kinder Kurt (14) und Vera (10). Als der braune Mob in ihre Wohnung eindrang, lag das Mädchen krank im Bett. Mit Schlägen und Fußtritten wurde das Kind gemeinsam mit dem vier Jahre älteren Bruder und den Eltern in die Novembernacht hinaus getrieben.
Die Nachbarin Barbara Schmitz, geborene Kolvenbach, die schräg gegenüber in der Werther Straße wohnte, wurde Augenzeugin der Gewalttat. Sie bewies sehr viel Zivilcourage, indem sie sich der verstörten Kinder annahm und sie im Marienheim in der Langenhecke in Sicherheit brachte.

Die Familie Isay hat nur kurze Zeit in der Stadt an der oberen Erft gelebt und naturgemäß nur wenige Spuren hinterlassen. 1997 noch, als Elfi Pracht-Jörns ihre Dokumentation zum jüdischen Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen vorlegte, war der Name der Familie nicht bekannt. Mittlerweile konnte er durch Recherchen im Stadtarchiv von Bad Münstereifel ermittelt werden.

Heirat

Der Familienvater stammte aus Schweich an der Mosel, seine Frau aus Göttingen. Dort hatten Max Artur Isay und Ella Else Katz am 27. Juli 1923 geheiratet und dort waren auch die beiden gemeinsamen Kinder zur Welt gekommen. In Göttingen hatte die Familie ihren eigentlichen Lebensmittelpunkt. Erst am 26. Oktober 1938 waren sie nach Münstereifel gezogen. Es war wirtschaftliche Not, die die Isays dorthin führte. Hier nämlich lebte Max Isays Schwester Bella, die mit dem Viehhändler Max Wolff verheiratet war. Deren gemeinsamer Sohn Walter war gleichaltrig wie seine Cousine Vera Isay; beide waren 1928 geboren.

Wohnung

Max Isay hatte den Lebensunterhalt für sich und seine Familie in einem kaufmännischen Beruf verdient. Nun, im Jahr 1938, waren die wirtschaftlichen Voraussetzungen unter dem Druck des staatlich gelenkten Antisemitismus so schlecht geworden, dass Max Isay seine Familie in Göttingen nicht mehr ernähren konnte. Deshalb zog man an die Erft, in ein Gebäude, dass einem Onkel von Max Wolff gehörte. Max Isays Schwester Bella wohnte mit ihrer Familie gleich neben diesem Haus. Auch dem Viehhändler Max Wolff war die wirtschaftliche Basis unter den Füßen weg gezogen worden. Immerhin aber besaß seine Familie Wohneigentum, was die Not zu diesem Zeitpunkt noch linderte. Die beantragten Reisepässe wurden am 28. April 1939 ausgestellt. Man entschied, dass Max Isay zunächst alleine ausreisen sollte, um seine Frau und die Kinder später nachzuholen. Anfang Juni 1939 reiste er in die Niederlande ein.
Es lässt sich deshalb nachvollziehen, weil seine Judenkennkarte am 9. Juni 1939 von der Staatspolizeistelle Aachen an die Ortspolizeibehörde Münstereifel zurückgeschickt wurde.

Stigmatisierung

Die Kennkartenpflicht bestand seit dem 1. Oktober 1938. Die Kennkarten der deutschen Juden waren durch ein J besonders gekennzeichnet. Eine weitere Stigmatisierung erfolgte durch den Zwang, einen weiteren Vornamen führen zu müssen: Die Frauen mosaischen Glaubens mussten sich zusätzlich „Sara“, die Männer zusätzlich „Israel“ nennen lassen.

Was nun weiter mit der Familie Isay geschah, ist besonders tragisch. Max Isay reiste weiter nach Großbritannien. Er siedelte sich in Manchester-Withington an. Aber noch ehe er seine Familie in Sicherheit nachholen konnte, brach der Zweite Weltkrieg aus. Else Isay und die Kinder Vera und Kurt mussten in Deutschland bleiben.
Ihre Spur lässt sich 1941 in Köln wieder aufnehmen. Von dort wurden sie am 22. Oktober 1941 ins besetzte Polen, konkret ins Ghetto Lodz bzw. Litzmannstadt, wie es im NS-Sprachgebrauch genannt wurde, deportiert. Dort starb Kurt Isay am 28. Dezember 1942 im Alter von 18 Jahren. Seine Mutter und seine Schwester waren nach den Recherchen des NS-Dokumentationszentrums in Köln im Jahr 1944 noch am Leben. Dann aber verliert sich ihre Spur gänzlich. Sie haben nicht überlebt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden sie für tot erklärt. Das Schicksal der Familie Isay ist dem Buch »Kommen. Gehen. Bleiben - Zur Geschichte der Migration im Kreis Euskirchen« entnommen, das der Kreis-Geschichtsverein herausgegeben hat (örtlicher Buchhandel, 25 Euro). Die Ausstellung zur Thematik ist bis zum 26.2. im Kreuzgang des Klosters Steinfeld zu sehen.


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