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Frederik Scholl

Der Bedarf an Fachkräften ist weiterhin hoch

Kreis Euskirchen.Trotz großer Herausforderungen im vergangenen Jahr ist die Zahl der Arbeitslosen im Kreis Euskirchen nach zwei Jahren Pandemie deutlich gesunke

Astrid Hahn (li., Geschäftsführerin des Jobcenters Eu-aktiv) und Anja Daub (re., Geschäftsführerin operativ der Agentur für Arbeit Brühl) stellten die Arbeitsmarktstatistik für das vergangene Jahr vor.

Astrid Hahn (li., Geschäftsführerin des Jobcenters Eu-aktiv) und Anja Daub (re., Geschäftsführerin operativ der Agentur für Arbeit Brühl) stellten die Arbeitsmarktstatistik für das vergangene Jahr vor.

Bild: Scholl

»Die Nachwirkungen der Corona-Pandemie, der Krieg in der Ukraine, stark steigende Energie- und Rohstoffpreise, Materialengpässe und die Inflation haben die Wirtschaft in Atem gehalten – und tun es noch. Trotz dieser großen Herausforderungen beziehungsweise der schwierigen konjunkturellen Einflüsse entwickelte sich der Arbeitsmarkt 2022 stabil«, bilanzierte Anja Daub, operative Geschäftsführerin Agentur für Arbeit Brühl gemeinsam mit Astrid Hahn, Geschäftsführerin des Jobcenters EU-aktiv, den Arbeitsmarkt 2022. Auch für das laufende Jahr rechnen die beiden Expertinnen mit dieser Entwicklung. »Der Arbeitsmarkt ist in vielen Branchen durch Personalengpässe geprägt. Qualifizierte Arbeitskräfte werden zunehmend knapp, daher halten viele Arbeitgeber auch in konjunkturell schwierigen Zeiten an ihrer Belegschaft fest«, betont Anja Daub.

58.765 Menschen waren nach den aktuellsten verfügbaren Zahlen im Kreis Euskirchen sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Innerhalb eines Jahres verzeichnete der Kreis Euskirchen somit ein Plus von 889 zusätzlichen Beschäftigten (+1,5 Prozent). Besonders hervorzuheben ist der Anstieg bei den ausländischen Arbeitskräften (+15,5 Prozent). Positiv entwickelte sich zudem die Beschäftigung bei den unter 25-Jährigen. Innerhalb eines Jahres stieg in dieser Alterskohorte die Beschäftigung um +2,1 Prozent an. Mit Blick auf die Anforderungsprofile der Beschäftigten im Kreis Euskirchen war der höchste Anstieg bei den Spezialisten (+7,9 Prozent) zu verzeichnen. Bei den Experten gab es nur einen leichten Zuwachs (+0,8 Prozent). Die Gruppe der Beschäftigten, die einer Helfertätigkeit nachgingen, wuchs im Vergleich zum Vorjahr ebenfalls an (+3,6 Prozent). Mit einem leichten Plus von 0,1 Prozent bildeten jedoch die Fachkräfte im Jahresvergleich das Schlusslicht.Erholung von den Pandemie-Jahren

»Insgesamt konnten wir eine kräftige Erholung von den Folgen der beiden Covid-Jahre beobachten. Die Arbeitslosigkeit im Kreis Euskirchen ist wieder deutlich gesunken, aber noch nicht auf dem Niveau von Dezember 2019. Doch durch den Krieg hat diese Erholung einen Dämpfer bekommen«, so Anja Daub. Die Arbeitslosenquote hatte im August und Oktober 2022 mit 5,5 Prozent den höchsten Stand und sank bis Dezember 2022 auf 5,3 Prozent. "Ein Grund ist, dass ukrainische Geflüchtete seit Juni Arbeitslosengeld II erhalten haben", ergänzte Hahn. Zur Jahresmitte 2022 sind ungefähr 1.200 Ukrainerinnen und Ukrainer vor dem russischen Überfall auf ihr Land in den Kreis Euskirchen geflohen und wurden durch das Jobcenter betreut. Davon waren im letzten Jahr bis zu 463 Frauen und Männer arbeitslos gemeldet. "Im Dezember hatten wir noch 426 arbeitslose ukrainischen Frauen und Männer im Bestand", so Hahn weiter. Bis November konnten ungefähr 50 Arbeitsaufnahmen von ukrainischen Geflüchteten erzielt werden. Zum Jahreswechsel bezogen rund 1.400 Ukrainerinnen und Ukrainer Leistungen des Jobcenters.Im Jahresdurchschnitt lag die Arbeitslosenquote bei 5,3 Prozent (2021: 5,9 Prozent). Vor der Pandemie (Jahresdurchschnitt 2019) lag die durchschnittliche Arbeitslosenquote bei 4,9 Prozent.

Im Jahr 2022 waren im Kreis Euskirchen durchschnittlich 5.646 Menschen gleichzeitig arbeitslos gemeldet. Das waren 631 oder 10,1 Prozent weniger als im Jahresdurchschnitt 2021. Die Anzahl der arbeitslosen Menschen, die Leistungen durch das Jobcenter EU-aktiv erhielten, sank im Jahresdurchschnitt um 145 Personen (-3,9 Prozent) auf im Schnitt 3.600 Arbeitslose. In der Arbeitslosenversicherung reduzierte sich die Anzahl der Arbeitslosen um 487 Personen (-19,2 Prozent) auf durchschnittlich 2.046 Arbeitslose. Auch die Inanspruchnahme von Kurzarbeit sei deutlich gesunken. Von Januar 2022 bis Juli 2022 wurden durchschnittlich von 184 Unternehmen Kurzarbeitergeld für insgesamt 819 Beschäftigte in Anspruch genommen.

Arbeitskräftenachfrage

Im Jahr 2022 wurden insgesamt 4.466 freie (davon 4.282 sozialversicherungspflichtig) Arbeitsstellen bei der Agentur für Arbeit Brühl und dem Jobcenter EU-aktiv zur Besetzung gemeldet. Dies waren 116 Stellen (+2,7 Prozent) mehr als im Vorjahr, entsprach aber etwa dem Niveau vom Jahr 2019 mit 4.369 gemeldeten Stellen. "Ein wichtiger Grund für die verhaltenen Stellenmeldungen bei gleichzeitig weiter hohem Stand an offenen Stellen sind die konjunkturellen Unsicherheiten, die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber dazu motivieren, nur zurückhaltend neue offene Stellen zu melden beziehungsweise offene Stellen nicht sofort zu besetzen, sondern erst einmal noch etwas abzuwarten. Hinzu kommt aber maßgeblich auch, dass viele Stellen nicht sofort besetzt werden können, da die von der Qualifikation her passenden Bewerberinnen und Bewerber nicht gefunden werden. Unternehmen im Kreis Euskirchen fällt es offenbar zunehmend schwer, diese Stellen mit qualifizierten Mitarbeitenden zu besetzen", so Anja Daub.

Gesucht werden vor allem Fachkräfte. 2.299 oder 51,5 Prozent der neu gemeldeten 4.466 Stellen richteten sich in 2022 an Fachkräfte. Insgesamt waren zum Jahresende 1.199 oder 57,7 Prozent aller 2.078 offener Stellen im Bestand für Fachkräfte gemeldet. Diesen standen durchschnittlich 1.769 arbeitslose Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit passender Fachkraft-Qualifikation gegenüber. Deutlich geringer ist das Angebot für Menschen ohne aktuelle Ausbildung: 486 Stellen oder 23,4 Prozent aller Arbeitsangebote im Bestand waren als Helfertätigkeiten, also für an- und ungelernte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausgeschrieben. Arbeitslos gemeldet waren 3.246 Menschen ohne eine aktuelle Ausbildung.

Strukturentwicklung

Pandemie, Fachkräftebedarf, Krieg und Energiekrise - neben diesen außergewöhnlichen Herausforderungen, die sich auch nachhaltig auf den Arbeitsmarkt ausgewirkt haben und weiter auswirken werden, haben wir im Rheinischen Revier zusätzlich Europas größten Transformationsprozess zu bewältigen. Auch im vergangenen Jahr hat uns daher der geplante Ausstieg aus der Kohleverstromung besonders bewegt. Mit zahlreichen Aktivitäten und Maßnahmen konnten wir dazu beitragen, dass die Schaffung und der Erhalt von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen als besondere Aufgabe im Strukturwandel angenommen und angegangen werden.

Der Kohleausstieg im Rheinischen Revier wird auf das Jahr 2030 vorgezogen. Dieses ambitionierte, aber erreichbare, Ziel fordert alle Beteiligten zusätzlich. Woran es nicht scheitern sollte, sind Ideen für das Rheinische Revier von morgen und Geld. Für den gelingenden Strukturwandel sind finanzielle Zusagen in beträchtlichem Maße gemacht worden. Nun geht es aber darum, die Mittel zügig und zielgerichtet einzusetzen, um einen nachhaltigen Beitrag zur Wertschöpfung und damit zum Erhalt und zur Schaffung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen zu leisten. Wir sind guter Dinge, dass diese Herausforderungen und damit auch Lösungsansätze 2023 noch stärker in den Mittelpunkt rücken werden. Als BA haben wir den Prozess des Kohleausstiegs von Beginn an aktiv begleitet und unsere Expertise eingebracht. Auf Grundlage unserer Erfahrungen in den Braunkohlerevieren, aber auch in anderen, von Veränderungsprozessen geprägten Regionen, haben wir die Begleitung und Mitgestaltung von Transformationsprozessen deutschlandweit als Aufgabe für die BA angenommen. Die Bedarfe, die für Menschen wie Unternehmen aus den immer schneller werdenden Veränderungen ergeben, werden wir künftig noch stärker im Rahmen unserer Beratungsdienstleistungen berücksichtigen.

Wir sind davon überzeugt, dass wir die großen Herausforderungen nur gemeinsam angehen können. Die Kooperation mit den Akteuren am Arbeits- und Ausbildungsmarkt ist wichtiger denn je. Die sinnvolle Vernetzung bestehender und geplanter Vorhaben, Initiativen und Projekte wird entscheidend dazu beitragen, Synergieeffekte zu nutzen statt Parallelstrukturen entstehen zu lassen. Gemeinsam mit unseren Partnerinnen und Partnern wollen wir innovative und zukunftsgerichtete Bildungs- und Beratungsangebote anhand der konkreten Bedarfe unserer Region schaffen und den Arbeitsuchenden, Beschäftigten und Unternehmen neue Perspektiven eröffnen. Daher werden wir unsere Aktivitäten hier noch weiter verstärken. Vieles von dem, was uns im Rheinischen Revier erwartet, geschieht auch in anderen Regionen Deutschlands. Die Dekarbonisierung und Schaffung nachhaltiger Wertschöpfungsketten in ganzen Branchen, die nahezu alles durchdringende Digitalisierung und der zunehmende Fachkräftebedarf. Dies alles geschieht andernorts auch - allerdings werden diese Veränderungsprozesse bei uns - einer zukünftigen Innovationsregion Deutschlands - noch stärker ausgeprägt sein und schneller wirksam werden als in anderen Regionen. Wir müssen daher achtsam sein und dafür Sorge tragen, dass niemand auf dieser Reise abgehängt wird. Jede Person die wir zurücklassen, könnte eine potentielle Fachkraft sein.

Blick nach vorne

Unser Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung hat die Entwicklung des Arbeitsmarktes beziehungsweise der Beschäftigung in ihrer Regionalprognose 2023 für das neue Jahr sehr punktiert beschrieben: "Wir sehen schon länger eine Entkopplung von Konjunktur und Beschäftigung. Weil es für viele Betriebe immer schwieriger wird, neue Arbeitskräfte zu finden, halten sie ihre Beschäftigten auch in Krisenzeiten stärker als in der Vergangenheit. Zudem herrscht ein noch immer starker Arbeits- und Fachkräftemangel. Obwohl wir für 2023 einen Konjunktureinbruch erwarten, wird die Beschäftigung deshalb weiterwachsen". "Unternehmen halten an ihren Beschäftigten fest, weil neue qualifizierte Arbeitskräfte immer schwieriger zu bekommen sind. Wir werden auch im kommenden Jahr intensiv mit Unternehmen, Beschäftigten und arbeitslosen Menschen das große Chancenfeld der beruflichen Qualifizierung weiter voranbringen. Wir müssen Fachkräfte aus dem Potenzial gewinnen, was auf dem Arbeitsmarkt verfügbar ist. So viele Menschen verfügen aktuell noch über keine formalen Qualifikationen, sind aber motiviert und praktisch versiert. Man muss Ihnen nur eine Chance eröffnen und auf Kompetenzen statt auf Formalien setzen." so Anja Daub.

Bürgergeld

Zum Jahreswechsel löste das Bürgergeld das Arbeitslosengeld II und das Sozialgeld ab - Das Bürgergeld bleibt eine wichtige Reform, in die die Erfahrungen der Jobcenter und der BA aus den letzten 17 Jahren eingeflossen sind. "Dass bei den Fördermöglichkeiten unser Instrumentenkasten nun größer ist, eröffnet uns für unsere leistungsberechtigten Kundinnen und Kunden die Chance, für einen nachhaltigen Übergang in den Arbeitsmarkt. Mehr Fördermöglichkeiten bei Weiterbildungen, mehr Motivation durch das neue Weiterbildungsgeld und der Wegfall des Vermittlungsvorrangs stehen für einen klaren Fokus auf Bildung und Nachhaltigkeit der Vermittlung. Darauf bereiten wir uns nun vor und schulen unsere Kolleginnen und Kollegen", so Hahn.

Die erste Stufe des Bürgergeldes mit den meisten leistungsrechtlichen Elementen ist zum 1. Januar 2023 in Kraft getreten. Dies betrifft etwa die neuen Regelungen zu Vermögen und Wohnen, Sanktionen und die Bagatellgrenze. Außerdem gelten die erhöhten Regelsätze, die automatisch an die Leistungsbezieher ausgezahlt werden, und der Vermittlungsvorrang wird abgeschafft. Für Alleinstehende erhöht er sich zum 1. Januar 2023 auf 502 Euro, für Paare je Partner auf 451 Euro. Für Nicht-erwerbstätige Erwachsene unter 25 Jahren im Haushalt der Eltern erhöht sich der Betrag auf 402 Euro, für Jugendliche von 14 bis 17 Jahren auf 420 Euro, für Kinder von 6 bis 13 Jahren auf 348 Euro und für Kinder unter 6 Jahren auf 318 Euro. Es ist für das Bürgergeld kein neuer Antrag notwendig. Wer über den Jahreswechsel hinaus Leistungen des Jobcenters bezieht, bekommt automatisch den höheren Regelsatz ausgezahlt. Anträge, Bescheide und Schreiben werden nach und nach angepasst und auf Bürgergeld umgestellt. Die Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner in den Jobcenter bleiben weiterhin zuständig.

Das Bürgergeld kann auch online beantragt werden. "Die Elemente, die die Unterstützung der Menschen auf ihrem Weg in den Arbeitsmarkt betreffen, treten in einer zweiten Stufe ab Juli 2023 in Kraft. Dann greifen auch die neuen Förderinstrumente (Bürgergeldbonus und Weiterbildungsgeld) und der Kooperationsplan", erklärt Hahn. Außerdem sind ab dem 1. Juli 2023 beim Einkommen neue Freibeträge zu berücksichtigen. Diese sollen zusätzliche Erwerbsanreize schaffen. Durch höhere Freibeträge dürfen bei einer Beschäftigung mit einem Einkommen zwischen 520 und 1000 Euro 30 Prozent davon behalten werden. Junge Menschen behalten das Einkommen aus Schüler- und Studentenjobs, das Einkommen aus einer beruflichen Ausbildung und das Taschengeld aus einem Bundesfreiwilligendienst bis zur Minijob-Grenze (derzeit 520 Euro). Einkommen aus Schülerjobs in den Ferien bleibt gänzlich unberücksichtigt.  

 

 


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