Frederik Scholl

»Überlebenschancen für Rehwild sind rar gesät«

Euskirchen.»Bitte nehmen Sie ihre Hunde an die Leine«, appelliert die Euskirchener Tierärztin S. Elif Istemi an Hundehalter. Ihre Sorge gilt vor allem Rehkitzen
»Rund sechs Monate lang wird ein junges Rehkitz durch das Muttertier, die sogenannte Geiß, gesäugt. Milch bekommt das Jungtier aber nur, wenn Bedarf besteht. Dann sind beide Tiere gemeinsam anzutreffen. Die meiste Zeit hält sich das Muttertier jedoch in sicherer Entfernung zu ihrem Nachwuchs auf um so eventuelle Feinde abzulenken«, erklärt Tierärztin und Tierschützerin Elif Istemi. Das beschriebene Szenario spielt sich meist in Wald- und Wiesenrandgebieten ab.

Manchmal sind es nur Sekunden

Neben Mähmaschinen, die vor allen in den ersten Lebenswochen zur tödlichen Gefahr für die Tiere werden können (wir berichteten), lauern noch weitere Gefahren. »In diesen Randgebieten sind natürlich immer Hundehalter mit ihren Hunden unterwegs und oft sind letztere nicht angeleint und laufen frei herum«, sagt die Tierärztin. Und genau das ist in ihren Augen das Problem. »Ein Hund kann in wenigen Sekunden ein Rehkitz durch Bisse verletzten. Das kann so schnell gehen, dass es der Halter gar nicht mitbekommt«, sagt Istemi. Sie hingegen bekommt es mit. Zwei durch Hundebisse verletze Rehkitze habe sie in diesem Jahr schon einschläfern müssen. »Meistens beißen die Hunde in Kopf oder Gliedmaßen der Kitze. Wenn die Zähne den zarten Schädelknochen durchbohren, kann das Rehkitz danach weder saugen noch atmen und stirbt«, erklärt die Tierärztin. Deshalb richtet sie ihren Appell an Hundehalter: »Bitte leinen Sie ihren Hund an Wald- und Wiesenrändern an«.

»Außerdem scheinen wir immer wieder zu vergessen, dass die Wälder den Wildtieren gehören und nicht den Hobbyjägern oder der Holzindustrie«, sagt Istemi. Auch wenn ein Muttertier bei einen Wildunfall ums Leben kommt, ist das ein Todesurteil für das Rehkitz. Das dieses Schicksal der Rehkitze keine Seltenheit ist, beweisen fünf junge, scheue Rehkitz-Waisen, die bei Elif Istemi abgegeben wurden und die sie in ihrer »Auffangstation« aufzieht. Ihr Wunsch ist es diese aufzuziehen, mit Ohrmarken zu versehen. »Und ich habe die Hoffnung ein Revier mit einem gnädigen Jagdpächter zu finden, der den Tieren eine Chance gibt«, erklärt Istemi. Denn ihrer Ansicht nach sind die Überlebenschancen für Rehwild ohnehin nur sehr rar gesät.

Neben den genannten Gefahren durch landwirtschaftliche Maschinen und freilaufende Hunde werde der verstärkte Einsatz von Pestiziden, Insektiziden und das engmaschige Straßennetz zunehmend zum gesundheitlichen Risiko, nicht nur für Rehkitze. »Für die Rehe wird auch die Jagd zum Problem. Wenn in vielen benachbarten Jagdbezirken gleichzeitig zur Treibjagd geblasen wird, habe die Tiere nahezu keine Chance in ein anderes Gebiet zu flüchten«, sagt die Tierschützerin. Dass zuvor keine genauen Zählungen des Rehwilds durchgeführt würden, sei aus ihrer Sicht nicht zu verantworten. »Nicht zuletzt haben die Rehe auch bei vielen Forstarbeitern und der Holzindustrie keinen guten Stand, zumal Rehe wählerische ‚Gourmetfresser‘ sind«, weiß die Tierärztin.

Bei ihr persönlich hingegen haben die Tiere offenbar einen sehr guten Stand. Bester Beweis dafür ist ihr Mitbewohner »As¸kim«. Den heute zwölfjährigen Rehbock rettete sie einst als Neugeborenen nach einem Wildunfall, den die Mutter nicht überlebt hatte.


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