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Wieder ein Dach über dem Kopf

Wie mag es sein, kein Dach über dem Kopf zu haben, keine Familie, Freunde oder Bekannte, wo man Unterschlupf findet? Nacht für Nacht neu zu überlegen, wo könnte ich schlafen und am Ende draußen zu landen. Nur mit einem Schlafsack sich in irgendeine Hausecke zu legen, den Blicken der Vorbeigehenden ausgesetzt. Bettina Tarantino weiß, wovon sie spricht, denn sie hat es erlebt. Jahrelang hat sie auf der Straße gelebt, doch wenn man sie heute fragt, wie es ihr geht, antwortet sie strahlend »sehr gut«.

Die 46-Jährige hat sei Juni ein Dach über dem Kopf – ein eigenes. Sie lebt in einer Wohngemeinschaft und hat endlich wieder ein Zimmer, nur für sich alleine. Allein hätte sie es nicht geschafft, da ist sich die gebürtige Weilerswisterin sicher. Doch irgendwann hat sie den Schritt zur Caritas in Euskirchen gewagt, hat in der Notschlafstelle in der Kommerner Straße übernachtet, die Tagesstätte genutzt und die Hilfe der Sozialarbeiter vor Ort.
Am Anfang wollte sie die Hilfe nicht annehmen, ihr falscher Stolz habe ihr im Weg gestanden, meint Bettina Tarantino. Doch dann hat sie sich überwunden. Sie sei dankbar für die Hilfe. Auch wenn sie jetzt wieder eine Wohnung hat, die Erlebnisse der vergangenen Jahre sind nicht spurlos an der 46-Jährigen vorübergegangen.

Kritische Blicke

Es falle ihr schwer, Vertrauen zu fassen, meint sie. Kein Wunder, denn das Leben auf der Straße ist hart und Freundschaften gibt es dort eher selten. Und die Gesellschaft macht die Situation nicht leichter. Die kritischen Blicke und bösen Kommentare der Menschen hat Bettina Tarantino noch gut im Gedächtnis. »Man ist kein Mensch für die Leute, sondern werde als Penner beschimpft«, sagt sie. Auf die Frage, was sich in der Gesellschaft ändern sollte, meint sie: »Man sollte die Menschen nicht über einen Kamm scheren. Nur wegen Hartz IV oder Obdachlosigkeit ist man doch kein schlechter Mensch.«
Auch wenn Bettina Tarantino nun eine eigene Wohnung hat, kommt sie immer noch regelmäßig in die Tagesstätte, um ihre Bekannten zu  treffen und mit Sozialarbeitern wie Lydia Honecker oder Markus Niederstein zu sprechen. Dies sei ihre kleine Familie, hier habe jeder Verständnis und man kenne sich.
Nicht jeder nimmt die Hilfe an, manche haben nach Jahren auf der Straße Probleme, in geschlossenen Räumen zu leben, manche wollen sich nicht an die Regeln in der Notschlafstelle richten. „Abgewiesen wird aber keiner“, betont die Sozialarbeiterin - und freut sich mit Bettina Tarantino, die es geschafft hat, ihr Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen.

Immer mehr, immer jünger

Im Jahr 2014 waren es 92 Menschen, die mehrere Tage oder Wochen in der Notschlafstelle nächtigten – elf davon Frauen. Die Tagesstätte wurde von 344 Personen genutzt. Die Tendenz für 2015: steigend.
Ebenfalls alarmierend: Die Betroffenen werden immer jünger. Im vergangenen Jahr suchten allein 34 Menschen unter 30 Jahren die Notschlafstelle auf. 55 Prozent bleiben höchstens einen Monat, einige kommen über mehrere Monate jeden Abend wieder in die Kommerner Straße.


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