Robert Syska

Der Anfang vom Ende: Rückblick auf einen Schicksalstag

Pferdsfeld / Eckweiler. Für die Gemeinden Pferdsfeld und Eckweiler markiert der 24. September 1975 einen Wendepunkt - und er jährte sich jetzt zum 50. Mal.

Der Stein des Anstoßes: Eine Phantom vor der Kirche in Pferdsfeld.

Der Stein des Anstoßes: Eine Phantom vor der Kirche in Pferdsfeld.

Bild: Archiv / Werner Bohn

Essay von Werner Bohn

Pferdsfeld und Eckweiler, zwei Dörfer am Rand des Soonwalds mit über 1000jähriger Geschichte, gibt es heute nicht mehr. In Eckweiler steht noch die denkmalgeschützte Kirche, in Pferdsfeld erinnert neben dem alten Dorfbrunnen eine Stele an den berühmtesten Sohn des Dorfes, Pfarrer Paul Schneider, der von den Nazis im KZ Buchenwald ermordet wurde. Die Friedhöfe der beiden Dörfer sind erhalten, in Pferdsfeld steht noch die Dorflinde, 1897 zum 100.Geburtstag von Kaiser Wilhelm I gepflanzt. Vor 50 Jahren, am 24. September 1975 kam hoher Besuch nach Pferdsfeld. Es ging um das Schicksal der beiden Dörfer. Was war geschehen?

1938 wurde auf den Wiesen südlich der Dörfer eine provisorische Landebahn angelegt, von der zu Beginn des 2.Weltkrieges Aufklärungsflugzeuge Richtung Frankreich starteten. Nach dem Krieg beschlagnahmte die französische Militärverwaltung das Flugplatzgelände von den Bauern. Ein Flugplatz wurde gebaut, der 1958 von der Bundesluftwaffe übernommen wurde. Es wurde mit Flugzeugen vom Typ F86, danach G91 geflogen. Viele Einwohner der Dörfer bekamen zivile Arbeitsplätze auf dem Flugplatz, Soldatenfamilien siedelten sich an.

Zu Beginn des Jahres 1973 gab es erste Gerüchte im Dorf, dass eine Umrüstung des Geschwaders auf den Flugzeugtyp „Phantom“ anstehe. Dieses Flugzeug sei extrem laut. Unruhe machte sich in den Dörfern rund um den Flugplatz breit, besonders unter den jungen Familien, die um ihre Zukunft bangten. Sie brachten ihre Befürchtungen in die Gemeinderäte ein. Daraufhin wurde offizielle Anfragen an das Verteidigungsministerium gestellt und um Auskunft über die Umrüstung gebeten. Doch die Antworten waren unbefriedigend und hinhaltend. Unsicherheit und Ängste wuchsen. Eine Resolution wurde ausgearbeitet und in einer großen Bürgerversammlung am 30. Oktober 1974 in der Pferdsfelder Turnhalle einmütig beschlossen. Diese Resolution wurde, unterschrieben von über 300 Bürgerinnen und Bürgern an Bundes- und Landesregierung, an die Wahlkreisabgeordneten und die zuständigen Verwaltungen geschickt. Pferdsfeld und Eckweiler kamen in die Schlagzeilen auch überregionaler Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen berichteten: „Flugplatz-Randgemeinden wollen um die Rechte ihrer Bürger kämpfen.“

In der Resolution wurde gefordert: Festlegung von Lärmschutzzonen, Einrichtungen zum Lärmschutz auf dem Flugplatz, Lärmschutz für Wohngebäude, Untersuchungen auf Gesundheitsschäden und Luftverschmutzung, Steuer-Entlastungen,  Einrichten einer Lärmschutzkommission, Hilfen für die betroffenen Gemeinden. Erstmals wurde auch die Umsiedlung von besonders stark Betroffenen genannt. Wohin sich danach alles entwickeln sollte, war noch völlig unklar.

Auch gab es in den Dörfern erheblichen Widerstand. Zum einen waren es die vielen Zivilbeschäftigten auf dem Flugplatz bei Feuerwehr, Wache, Küche und anderen Stellen. Sie wollten aus verständlichen Gründen nicht gegen ihren Arbeitgeber protestieren. Zum anderen waren es einige ältere Menschen, denen die Unruhe im Dorf suspekt war. Auch die wenigen verbliebenen Bauern, zumeist im Nebenerwerb, konnten sich eine Umsiedlung nicht vorstellen. Es kam zum Streit, teilweise auch innerhalb von Familien zwischen Jung und Alt. Doch die Umrüstung kam immer näher. Die alternative Umrüstung auf Alpha-Jet wurde vom Verteidigungsministerium kategorisch abgelehnt.

Im Laufe des Jahres 1975 steigerte sich die Aufregung. In einer Fragebogen-Aktion forderte die Mehrzahl der Einwohner Lärmschutz oder Umsiedlung. Vertreter des Verteidigungsministeriums und anderer Behörden kamen zu Gesprächen mit den Gemeinderäten. Nach einer hitzigen Bürgerversammlung in der Pferdsfelder Turnhalle am 25. August 1975, vom SWF aufgezeichnet, wurde die „Notgemeinschaft der Flugplatzrandgemeinden um den Flugplatz Pferdsfeld gegründet“, deren Lenkungsausschuss fortan die Interessen der Gemeinden vertrat. Es wurde ultimativ vom Verteidigungsministerium gefordert, vor dem Beginn des Flugbetriebs mit Phantom am 1. Oktober eine Zusage zum Lärmschutz zu erhalten. Ansonsten wurde mit Protest-Aktionen gedroht. Die Gemeinden befänden sich in einer Notwehr-Situation. Daraufhin sagte das Ministerium einen Besuch vor Ort zu.

Am 24. September 1975 kamen die beiden Staatssekretäre Schmidt und Fingerhut vom Verteidigungsministerium ins Pferdsfelder Gemeindehaus und trafen sich dort mit dem Lenkungsausschuss der Notgemeinschaft, dem Bundestagsabgeordneten Conny Ahlers, dem Kommodore des Geschwaders,  Verbandsgemeindebürgermeister Dr. Werner Dümmler und Behördenvertretern. Da Protest-Aktionen befürchtet waren, hatte der Landrat vorsorglich schon  Polizei-Einsatz angekündigt. Auch weitere Sicherheitsbeamte waren anwesend. Das Gespräch verlief konstruktiv. Die Staatssekretäre sagten die Einsetzung einer Lärmschutzkommission zu, der Kommodore einen vorläufig eingeschränkten Flugbetrieb.

Am 1.Oktober landete die erste Phantom auf dem Flugplatz Pferdsfeld. Der Flugbetrieb begann. Wer es vorher noch nicht glauben wollte, der merkte es nun: Der Lärm war infernalisch. Pferdsfeld und Eckweiler wurden nun in vielen Zeitungen zu den „lautesten Dörfern Deutschlands.“ Wie von Bonn zugesagt wurde eine Lärmschutzkommission einberufen, die nach umfangreichen Lärmmessungen feststellte, dass das Leben und Wohnen in den beiden Dörfern unzumutbar sei und schließlich die freiwillige Umsiedlung von Pferdsfeld und Eckweiler empfahl, am 10.9.1976 vom Bund dann zugesagt. Danach verließen nach und nach alle Einwohner die Dörfer, zuletzt auch die Bauern, bis schließlich nur noch ein einziges Haus in Pferdsfeld von einem alten Ehepaar bewohnt war. Alle anderen Häuser wurden Anfang der 1980er Jahre abgerissen und eingeebnet. Die Gemarkungen von Pferdsfeld und Eckweiler wurden 1979 zur Stadt Sobernheim eingemeindet. Dort hatte die Mehrzahl der Dorfbewohner im Leinenborn neu gebaut.

50 Jahre nach dem denkwürdigen Besuch der Staatssekretäre sind viele der Umsiedler gestorben. Die Jungen sind alt geworden, die Kinder von damals erinnern sich nur flüchtig an die Dörfer, in denen sie einst gespielt haben. Doch immer wieder trifft man dort, wo früher Pferdsfeld und Eckweiler waren, Menschen, bekannt oder unbekannt, die nachfragen: Warum gibt es die beiden Dörfer nicht mehr? Die Bundeswehr hat den Flugplatz längst verlassen, dort sind nun Industriepark, Auto-Teststrecke und Solarfeld. Auf der Anhöhe stehen riesige Windräder. Doch aus dem Dorfbrunnen plätschert weiter das Wasser …

 

 


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