

Hayatullah Atayi ist mit seiner Familie vor Krieg und Terror aus Afghanistan geflohen. In Züsch hat die zehnköpfige Familie nun eine neue Heimat gefunden. Zurück gehen möchte niemand mehr, dafür haben sie zu schlimme Dinge in Kabul erlebt.
Zahllose Narben als stummes und schmerzliches Zeugnis des Krieges
Als Hajatullah schüchtern und zaghaft seinen Pullover nach oben streift, werden die Gründe der Flucht in ihrem ganzen Ausmaß klar: Zahllose Narben auf Hayatullahs Körper zeichnen sich dort ab als stummes und schmerzliches Zeugnis einer schlimmen Zeit. Mit einer Machete seien die Taliban auf die Familie losgegangen, berichtet Hayatullah in gebrochenem Deutsch und mit wackeliger Stimme.
Talibanangriff: Der jüngere Bruder wurde geköpft
Am Ende habe man ihn steinigen wollen, aber der dicke schwere Stein habe seine Schläfe nur knapp verfehlt. Da der Angreifer dachte, Hajatullah sei tot, habe er von ihm abgelassen. Sein jüngerer Bruder habe weniger Glück gehabt. Ihm haben die Taliban einfach den Kopf abgeschlagen. Zwar vorbei, aber auf immer und ewig eingegraben in die Gedanken ist nun die schwere Zeit des Krieges in Afghanistan. Die lange Flucht von rund zwei Jahren über den Iran, die Türkei, Mazedonien, Ungarn und Österreich und schließlich nach Passau hat die Familie 20.000 US-Dollar gekostet. Dabei wurden sie zweimal völlig ausgeraubt und verloren alles, was die Frauen nicht in die Kleidung eingenäht hatten.
Jeder im Ort kennt Familie Atayi
Nun wohnen sie als eine der wenigen Familien im Kreis Trier-Saarburg alleine und mit Hilfe der Patenschaft von Ursula Stimmler mitten in dem kleinen Örtchen Züsch. Im Ort kennen alle die Familie. Die Männer und Kinder sind täglich mit dem Fahrrad unterwegs. Jeden, der ihnen begegnet, begrüßen sie mit einem freundlichen „Hallo“, oder „Guten Tag“ oder „Wie geht’s“.
Dass einfach mal ganz spontan Besuch hereinschneit, ist für Familie Atayi überhaupt kein Problem. Schnell hilft der 42-jährige Afghane seiner »deutschen Schwester«Ursula Stimmler und der Reporterin aus den Jacken. Währenddessen setzt seine Frau Sakina Tee auf, den Hayatullahs Neffe Hammad den Gästen auf einem Tablett serviert.
Ganz schön deutsch und Gleichberechtigung von Mann und Frau
Das Wohnzimmer ist sehr deutsch eingerichtet. Im Nussbaumholzschrank, schön ordentlich nebeneinandergereiht, steht ein Kaffee- und Essservice mit altdeutschem Blumenmuster. »Die Atayis tun wirklich alles, damit sie sich gut integrieren«, erzählt Ursula Stimmler, die die Patenschaft für die Familie übernommen hat. Deshalb hätten sie sich auch bei ihr abgeschaut, wie deutsche Schränke aussehen, verrät sie schmunzelnd. "Außerdem war es mir auch sehr wichtig, dass hier in Deutschland Mann und Frau gleichberechtigt sind", erzählt Ursula Stimmler. Doch das sei bei den Atayis kein Problem gewesen, der Umgang untereinander sei sehr liebevoll.
Der Behördenwahn hat viele Hürden
»Uschi«, wie die Atayis ihre »Schwester« liebevoll nennen, hat sich um alles gekümmert. Und sie hat bei den Behörden geholfen, denn darin kennt sie sich inzwischen aus: »Es war nicht immer einfach, aber ich habe viel dazugelernt.« Sie habe immer schon alles auf den Weg gebracht, bevor eine Aufforderung dazu von Seiten der Behörden kam. Der Behördenwahnsinn mit den vielen Hürden, die zu überwinden sind, bringt die resolute Wahl-Hochwälderin regelmäßig in Rage: „Das gibt es doch alles gar nicht! Da heißt es zum Beispiel in einem Brief an Hajatullah: Lieber Herr Atayi, Sie können nun zum Sprachkurs. Wenn Sie gar kein Deutsch sprechen, melden Sie sich da und da… Also, ohne Hilfe kommen die Menschen dann gar nicht weiter.“ Sie würde sich wünschen, die Behörden wären besser vernetzt miteinander. Denn wenn ein Stempel fehlt, müsse man wieder von vorne anfangen. Dabei betont sie ausdrücklich, dass sie sich nicht beschweren will über die Behörden: „Die haben einfach zu viel Arbeit.“
Die beiden Männer machen ein Praktikum
Doch all ihre Arbeit scheint Früchte zu tragen: Hayatulla macht Ende des Monats ein Praktikum in einer KFZ-Werkstatt, sein Schwager Hamid arbeitet inzwischen im Praktikum bei einem Fensterbauer. Darüber hinaus bringt Ursula Stimmler ihren Schützlingen täglich Deutsch bei während sie im Gegenzug fleißig Farsi, die Heimatsprache der Atayis, lernt. Sie alle verstehen sich gut und die Flüchtlinge fragen sich oftmals, was die anderen machen, die keine „Uschi“ haben, die ihnen zur Seite steht?
Auszeichnung für großes soziales Engagement für Ursula Stimmler
Ursula Stimmler lebt seit über 32 Jahren in ihrer Wahlheimat Züsch. Ihre beiden Töchter sind längst erwachsen und haben eigene Familien. Da ist jetzt auch wieder Zeit für mehr. »Menschen zu helfen, die wirklich Hilfe brauchen, ist mir sehr wichtig und es macht mir einfach Freude«, so die ausgebildete Bildhauerin und Malerin.
Soziales Engagement ist für Ursula Stimmler keine leere Worthülse. Bereits 2000 wurde sie für ihr ehrenamtliches Engagement mit dem Europapreis »Hilfe für das Kosovo« ausgezeichnet. Damals betreute sie die junge Familie Beqiraj, die aus dem Kosovo nach Züsch kam, um hier Zuflucht zu finden. Darüber hinaus engagiert sie sich in der Sozialdemokratischen Partei (SPD), in ihrer Heimatgemeinde Züsch, im Verbandsgemeinderat der Verbandsgemeinde Hermeskeil und ist Gründungsmitglied der Aktion "Helfen mit Herz".
FIS