Freiheit und Rollen-Spiele
(edi) Mit zwölf wusste Cristin König schon so ziemlich genau, was sie wollte: Schauspielerin werden. Ihre großen Vorbilder: Onkel und Cousin, bei denen sie regelmäßig die Ferien verbrachte. Für das scheue Mädchen aus Trier ein großer Wunsch mit Hürden, denn Cristin musste einen Weg finden, um ihre ausgeprägte Schüchternheit zu überwinden. Das hat sie nach anfänglichen Hindernissen gut geschafft.
Mittlerweile gehört Cristin König (57) zu den Schauspielerinnen mit dem größtmöglichen Repertoire. Die Wahlberlinerin hat auf allen großen deutschen Bühnen gespielt und ist nun im TV sesshaft geworden. Man kennt sie als Frau Dammrau aus dem ZDF-Mehrteiler »Charité«, der vor zwei Jahren ein Millionenpublikum eroberte, als Anne Kielsperg im »Tatort: Böser Boden«, als Oberschwester Beatrice Ludwig in »Soko Leipzig« und als Alice Helm in der sechsteiligen arte-Serie »Die Neue Zeit«. Nun wird sie bald auf Sky in der Serie »Helgoland 513« zu sehen sein. Gedreht hat sie auch mit Aver du Vernay für einen amerikanischen Kinofilm, spielte zudem am Deutschen Theater.
Und dann steht noch ein neues Serien-Projekt mit eigenem Drehbuch an. Denn auch diese Leidenschaft hat sie für sich entdeckt: durch Schreiben auf eine ganz andere Weise kreativ zu werden. Aufgewachsen ist die gebürtige Triererin zwischen »Kaiserthermen und Landesmuseum«. »Ich bin in die tiefsten Katakomben hinabgestiegen. Das war damals noch alles möglich«, beschreibt sie ihre Erinnerungen. »Es war eine schöne, unbeschwerte Kindheit.« Zu dieser unbeschwerten Kindheit gehörten auch die Ferien bei ihrem geliebten Onkel. Gemeinsam mit ihr lernt er seine Texte, während ihr Cousin am Klavier wundervolle Melodien spielt. »Es war eine Wohlfühloase«, schwärmt sie noch heute. »Wie sehr habe ich das alles geliebt!«
Ihr Abi macht Cristin am Auguste-Viktoria-Gymnasium. Dort gehört sie zu den Jüngsten. Sie gilt als Überflieger, darf die letzte Klasse überspringen. Obwohl sie schon früh den Entschluss gefasst hat, als Schauspielerin in die Fußstapfen ihres Onkels zu treten, schreibt sie sich zunächst für den Studiengang Literatur und Philosophie an der Universität in Münster ein. Dort wird es ihr schnell langweilig. In einer der Vorlesungen steckt ihr ein Kommilitone einen Zettel zu. Darin das Angebot, in einem Film mitzuspielen. "Da war ich plötzlich hellwach", erzählt Cristin lachend. "Und damit fing auch alles an."
Die eroberte Freiheit
Das "Theater im Pumpenhaus" in Münster ist eines der ersten freien Theater in Deutschland; es wird ihre Anlaufstelle für Kurzfilme und kleine Fernsehspiele. Fasziniert von der Welt des Schauspiels, fasst sie einen Herzensentschluss, den sie bis heute nicht bereut hat, auch wenn die Zeit für Künstler nicht immer rosig waren und sind:
Das Studium in Münster bricht sie ab und bewirbt sich an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover. Vier Jahre später hat sie ihr Examen in der Tasche. Schnell folgen Engagements u.a. in Tübingen und Frankfurt/Oder. 1996 wird sie Teil des Berliner Ensembles, anschließend spielt sie sieben Jahre an der Schaubühne bei Thomas Ostermeier und ist danach freischaffend an den Münchner Kammerspielen tätig. In den Jahren 1994 und 2000 wird sie von "theater heute" als beste Nachwuchsschauspielerin nominiert.
Dann kommt es im Jahr 2000 im wahrsten Sinne des Wortes zum Bruch: Cristin stürzt vom Pferd und verletzt sich an der Wirbelsäule schwer. Auf die mehrstündige OP folgt ein langer Krankenhausaufenthalt und eine noch längere Reha. Ausgang ungewiss. Cristin muss wieder laufen lernen. Mit der Zähigkeit, die ihren Charakter ausmacht, schafft sie eine ihrer größten Herausforderungen im Leben. "Es hat alles geklappt", sagt sie zufrieden. In dieser Zeit habe sie auch zum Schreiben gefunden. Eine Alternative zum Spielen, "auch wenn es das noch lange nicht ersetzt."
Es folgen mehrere erfolgreiche Film- und Fernsehproduktionen. Im Kurzfilm von Nicolas Wackerbarth spielt Cristin 2007 die Hauptrolle und wird mit ihrem Team zu den Filmfestpielen nach Cannes eingeladen. 2020 wird der Kurzfilm "In den Binsen" (Regie Clara von Arnim), in dem sie eine der beiden Rollen spielt, in der Kategorie "10 Minuten Laufzeit" für den Deutschen Kurzfilmpreis nominiert.
Dem Ensemble am Maxim-Gorki-Theater in Berlin bleibt sie lange treu. 2011 gibt sie dort ihr Regiedebüt mit ihrem eigenen Stück "Wohngemeinschaft".
Rollentausch
Als ihre Tochter 2008 zur Welt kommt, muss Cristin neue Prioritäten setzen. Den schwierigen Spagat zwischen Beruf und Mutter schafft sie zwar mit der tatkräftigen Unterstützung ihres Mannes, aber sie spürt, dass es Zeit für einen Wechsel ist.
Aus Liebe zur Tochter entscheidet sie sich bewusst gegen das Theater und für die familienfreundlicheren TV-Produktionszeiten. "Es war ein tiefer innerer Wunsch", bekräftigt sie nochmals ihre Entscheidung.
Aber es gibt noch einen weiteren Grund: Cristin hat sich weiterentwickelt und ihr Talent als Autorin und Regisseurin entdeckt. Sie taucht ein in die Welt der Hörspiele und trifft damit den Nerv der Zeit. "Lila und Fred", frei nach Schillers "Kabale und Liebe", wird Hörspiel des Monats August 2016, "Meine Erinnerungen reißen mich in Stücke" Hörspiel des Monats Juni 2018. Dieses schafft es auch in die Nominierung als Hörspiel des Jahres.
Träume
Und wovon träumt eine Frau, die auf der Bühne und vor der Kamera schon so viel erreicht hat? Cristin hat die Antwort parat: "Ich wünsche mir, dass Frauen in unserem Alter authentischer vorkommen, so wie es beispielsweise Maria Schrader bereits umsetzt", sagt sie spontan und meint damit die Abkehr vom längst überholten Rollenklischee, das noch immer deutlich männerlastig beeinflusst ist.
"Frauen ab 50 werden häufig als Witzfiguren abgestempelt oder treten in unbedeutenden Nebenrollen auf - oder werden unnatürlich als nicht alternde femme fatale dargestellt. Das sind aber nicht alle Frauen, nur ein Teil." Ob sie daran etwas ändern kann? "Mal seh'n", zwinkert sie vielsagend.