Thomas Förster

Ambulante Versorgung ist gefährdet  

Konzen. Die Praxis von Sven Teusen schließt heute schon um 10 Uhr - viele Ärzte beteiligen sich an der Aktion #PraxenKollaps. Auch Apotheken bleiben geschlossen
Unter dem Schlagwort »#PraxenKollaps« sind Arztpraxen und Apotheken am heutigen Mittwoch geschlossen. Durch die Budgetierung verdienen sie umgerechnet ab dem 15.11. kein Geld mehr...

Unter dem Schlagwort »#PraxenKollaps« sind Arztpraxen und Apotheken am heutigen Mittwoch geschlossen. Durch die Budgetierung verdienen sie umgerechnet ab dem 15.11. kein Geld mehr...

Wer heute seinen Hausarzt aufsucht oder zur Apotheke will, der trifft vielerorts auf verschlossene Türen. »Mit dieser Aktion wollen wir keine Patienten verärgern, sondern darauf hinweisen, dass die ambulante Versorgung vor dem Kollaps steht«. Sven Teusen ist niedergelassener Allgemeinmediziner in Konzen und hat sich mit seiner Hausarzt-Praxis an der bundesweiten Aktion beteiligt.

Nordeifel (Fö). »Ab dem 15. November verdienen wir kein Geld mehr«, erklärt Sven Teusen, warum dieser Tag für die Aktion ausgewählt wurde. »Dann ist das Budget aufgebraucht. Das muss sich schnell ändern, so wie es im Koalititonsvertrag auch schon verankert ist.« Umgerechnet zumindest, denn mit der Budgetierung kommen die meisten Hausärzte das ganze Jahr hinweg nicht hin. Selbst Privatleistungen rechnen sich nicht mehr: »Hier ist die Gebührenordnung in den letzten 27 Jahren nicht mehr angehoben worden«, kritisiert Teusen.

Nichts anderes als die flächendeckende, wohnortnahe und qualitativ hochwertige ambulante Versorugng in Deutschland stehe auf dem Spiel, erklärt die Kassenärztliche Bundesvereinigung, die unter dem Motto »#PraxenKollaps« zum Protest aufgerufen hat. Bei vielen Hausärzten, aber auch in Apotheken liegen Unterschriftenlisten für eine Petition aus. 50.000 Unterschriften braucht es, damit sich der zuständige Ausschuss des Bundestages mit den Forderungen befassen muss.

Ländlicher Raum besonders betroffen

Der ländliche Raum sei ganz besonders betroffen, weiß Sven Teusen. »Hausbesuche mit langen Wegen sind uns wichtig, aber wirtschaftlich darstellen lassen sie sich nicht«, weiß der Hausarzt, der regelmäßig immobile Patienten zu Hause oder in Seniorenheimen versorgt. Auch Notdienste müssen die niedergelassenen Ärzte in Monschau, Roetgen oder Simmmerath sechsmal häufiger verrichten als die Kollegen in der Stadt Aachen. Täglich von 19 bis 21 Uhr, mittwochs und freitags bereits ab 16 Uhr sowie samstags, sonntags und feiertags von 9 bis 13 und 16 bis 21 Uhr stehen die Allgemeinmediziner in St. Brigida bereit. »Und jedes Mal, wenn ich im Krankenhaus sitze, zahle ich 12 Euro für die Helferin drauf«, schüttelt Teusen mit dem Kopf. Zur Finanzierung der Notfallpraxis zahle jeder niedergelassene Arzt 460 Euro im Quartal, die Kollegen aus der Kaiserstadt müssen nur 110 Euro berappen.

Bereits in der letzten Woche hat Teusen Kekse an seine Patienten verteilt. Hintergrund ist der Slogan »Die Politik bekommt nix gebacken...« Man wolle die Patienten nicht vor den Kopf stoßen, sondern über die Situation informieren, um Verständnis werben und sie auf ihre Seite ziehen. »Wir machen unsere Arbeit sehr gerne«, versichert Teusen. »Gerade dass wir hier in der Eifel als Allrounder gefragt sind und nicht direkt an den Facharzt verweisen, stärkt unsere Motivation«, so Teusen, der in seiner Praxis in Konzen zwei Kollegen angestellt hat.

Die Ausstattung mit Hausärzten wird auch von Politik und Krankenkassen geregelt. »2,75 Praxissitze sind derzeit in der Nordeifel vakant«, weiß Teusen. Doch es sei schwierig, Nachfolger zu finden.

Zum 1. Januar wollen vier Eifeler Mediziner mit einem Netzwerk für Palliativmedizin starten. »Aktuell haben wir für unsere jeweiligen Patienten durchgehend Bereitschaft. Das wollen wir ändern und den Dienst unter uns aufteilen, sodass jeder mehr Freiraum bekommt, ohne die Versorgung der betroffenen Menschen zu beeinträchtigen«, erklärt der 54-Jährige.

Überalterung in Reihen der Ärzte, lästige Bürokratie und unausgereifte digitale Produkte, die die Digitalisierung ausbremsen, statt voranzutreiben, seien weitere Probleme in der medizinischen Versorgung. Dass immer mehr Untersuchungen und Operationen von Fachärzten in den Praxen vorgenommen werden, begrüßt der KBV zur Entlastung der Krankenhäuser. Doch dann müssten die zuständigen Praxen auch finanziell passend ausgestattet werden.

Übrigens: Die Praxis von Sven Teusen ist heute nicht einfach so geschlossen - die Zeit wird für längst überfällige Fortbildungen genutzt, für die im Arbeitsalltag oft die Zeit fehlt.

Was die Praxen brauchen:

Weniger Bürokratie – damit Praxen sich nicht um Papierkram, sondern um Sie und Ihre Gesundheit kümmern können
Tragfähige Finanzierung – damit Ärzte und Psychotherapeuten auch in Zeiten von steigenden Kosten und Rekordinflation wirtschaftlich arbeiten können
Sinnvolle Digitalisierung – damit nutzerfreundliche und funktionstüchtige Technik die Gesundheitsversorgung spürbar verbessert
Mehr Weiterbildung in Praxen – damit junge Ärzte und Psychotherapeuten dort ausgebildet werden, wo sie auch tatsächlich gebraucht werden

Was die Praxen leisten:

578 Millionen Behandlungsfälle und 1 Milliarde Arzt-Patienten-Kontakte pro Jahr
57 Millionen Gesundheits- und Früherkennungsuntersuchungen pro Jahr
Versorgung von 32 Millionen Chroniker-Patienten pro Jahr
Versorgung von 9,4 Millionen Tumorpatienten pro Jahr
5,9 Millionen ambulante Operationen pro Jahr
Versorgung von 83.000 dialysepflichtigen Patienten pro Jahr


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