Anja Breuer

»Wende kann nur mit Handwerk gelingen«

Städteregion Aachen. Bei der Frühjahrs-Vollversammlung der Handwerkskammer Aachen ging es vor allem um das Thema Energie.

 

ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer (l.) und Marco Herwartz (r.), Präsident der Aachener HWK, verliehen Tiefbauer Hubert Schilles (Mitte) das Ehrenzeichen.

ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer (l.) und Marco Herwartz (r.), Präsident der Aachener HWK, verliehen Tiefbauer Hubert Schilles (Mitte) das Ehrenzeichen.

Bild: Doris Kinkel-Schlachter/HWK Aachen

Energievoll zeigten sich auch die Redner, unter ihnen Aachens Oberbürgermeisterin Sybille Keupen und Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH). Keupen zeigte sich angetan von den schlagkräftigen Sprüchen der bundesweiten Imagekampagne des Handwerks. "Die Zukunft ist unsere Baustelle", lautet einer dieser Slogans, der auf der Bühne zu sehen war. "Lassen Sie uns die Baustellen angehen", betonte die Oberbürgermeisterin, die natürlich weiß, dass beispielsweise der Renovierungsstau in der Stadt nur im Schulterschluss mit dem Handwerk gelöst werden kann. "Energiewende, Klimaschutz, Mobilität, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Gesundheit und Versorgung der älteren Bevölkerung: All das kann und wird nur mit dem Handwerk gelingen. Und wir - das heißt unsere Betriebe und Beschäftigten - sind bereit das anzupacken. Wenn man uns lässt", sagte Hans Peter Wollseifer in seiner Ansprache. Wenn die Transformation von Land und Wirtschaft gelingen solle, dann brauche es eine echte Mittelstandspolitik und eine echte Standortpolitik. Entscheidend dabei: Bei der Umsetzung brauche es Menschen, die das machen, die im Handwerk arbeiten. Qualifizierte Fachkräfte fehlen allerdings an vielen Stellen. Über 250.000 allein im Handwerk. "Der Fachkräftemangel ist nicht nur das größte Wachstumsrisiko der deutschen Wirtschaft, wie es zuletzt im Handelsblatt hieß. Er ist die Tranformationsbremse für unser Land", betonte Wollseifer. Und da dieser Bedarf nicht allein über Fachkräfteeinwanderung gedeckt werden könne, müsse in Deutschland stärker ausgebildet werden. "Wir brauchen nicht nur eine Klimawende. Wir brauchen nicht nur eine Energiewende. Nein, wir brauchen auch ganz dringend und schnell eine Bildungswende!" Diese Bildungswende müsse Realität werden. Der ZDH-Präsident forderte eine gesetzliche Festschreibung der Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung. Auf Aachen gemünzt, fragte Wollseifer, wie es wohl wäre, wenn Aachen nicht nur Hochschulstadt, sondern ebenso Ausbildungsstadt würde. Und er fragte auch, warum die Poltik die Mobilität von Azubis nicht stärker unterstütze, etwa mit mehr Azubi-Wohnangeboten. Warum Studierende in der Regel bis zu ihrem Abschluss kostenlos studieren, während Meister einen erheblichen Teil ihrer Meisterausbildung selbst zahlen müssen.

Ehrenzeichen für Hubert Schilles

Energie als Schlagwort des Parlaments des Handwerks in der Region Aachen: So standen auch die Menschen, die zum Teil übermenschliche Energie aufgewendet haben in Krisenzeiten, im Fokus der Vollversammlung. Besondere Anerkennung für einen besonderen Menschen: Hubert Schilles wurde mit dem Ehrenzeichen der Handwerkskammer Aachen ausgezeichnet. Als die Steinbachtalsperre bei Euskirchen zu brechen drohte, nahm sich der Inhaber eines Tiefbauunternehmens kurzerhand einen Bagger, um den Abfluss von Geröll zu befreien - eine lebensgefährliche Aufgabe, für die er bundesweit als Held gefeiert wurde. "Da Sie nicht gerne im Vordergrund stehen, möchte ich Sie bitten, das Ehrenzeichen der Handwerkskammer Aachen, mit dem wir Sie auszeichnen möchten, als Symbol zu sehen für ein starkes Handwerk, hinter dem viele Macherinnen und Macher stehen, die mit ihrem unermüdlichen Einsatz den Betroffenen in den Flutgebieten geholfen haben und damit auch Hoffnung und Nächstenliebe geschenkt haben. Vielen Dank für Ihren Mut - für mich sind Sie auf jeden Fall ein Held, ein echter Handwerker eben", sagte Handwerkskammer-Präsident Marco Herwartz und zeichnete gemeinsam mit ZDH-Präsident Wollseifer den 68-Jährigen aus.

Berufliche Bildung stärken

"Mut und Entschlossenheit brauchen wir aber auch selbst angesichts der gegenwärtigen Krisen und Unsicherheiten. Gerade in solchen Zeiten gibt es immer wieder Menschen, die Unglaubliches leisten, geradezu über sich hinauswachsen und deshalb ein leuchtendes Beispiel für andere abgeben", sagte Marco Herwartz. Er sprach Betriebsinhaber im fortgeschrittenen Alter, die sich eigentlich zur Ruhe setzen könnten, ihren zerstörten Betrieb aber wieder aufbauen, weil sie sich in der Verantwortung gegenüber ihren Mitarbeitern und Auszubildenden sehen. Denen möchten sie den Arbeitsplatz erhalten beziehungsweise den Abschluss der Ausbildung sicherstellen. Hier zeige sich eine Verantwortungskultur, auf die man im Handwerk stolz sei. Herwartz erinnerte an den Kfz-Meister, der mit seinem Kleinbus behinderte Kinder aus der Ukraine geholt und erhebliche Geldspenden gesammelt hat. Oder an einen Straßenbaubetrieb aus Heinsberg, der auf eigene Kosten in ganzen Kolonnen an die Ahr gefahren ist, um beim Wiederaufbau mit anzupacken. Anpacken sei das Stichwort, wenn es um die Herausforderungen der Zukunft geht. Das Handwerk werde dabei eine bedeutende Rolle spielen. "Wir sind die Wirtschaftsmacht von nebenan und diese Macht ist schon beeindruckend." Das lasse sich anhand weniger Zahlen verdeutlichen: In den nordrhein-westfälischen Handwerksbetrieben arbeiten über 1,1 Million Beschäftigte. Sie erwirtschaften einen Jahresumsatz von über 137 Milliarden Euro. Es komme in den nächsten Jahren auf wirtschaftliche Stärke, unternehmerische Innovationskultur für mehr Nachhaltigkeit und auf erstklassige Bildung an. Deshalb brauche das Handwerk weiter einen Kurs für Bürokratieabbau, beste Standortbedingungen für die Betriebe und eine echte Stärkung der beruflichen Bildung. ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer betonte es bereits in seiner Ansprache, und Kammer-Präsident Marco Herwartz schloss sich seinen Worten an: Neben der Energie- und Mobilitätswende ist aus Sicht des Handwerks eine Bildungswende dringend nötig. Den Hochschul-Pakt findet Herwartz sinnvoll, fragt jedoch, ob es nicht mindestens genauso sinnvoll sei, einen ähnlichen Pakt, also eine gemeinsame Kraftanstrengung von Bund und Ländern, zur Förderung der beruflichen Bildung ins Leben zu rufen. Seiner Meinung nach gehört das Thema auf die politische Agenda und dafür werde sich die Handwerksorganisation einsetzen. Berufliche und akademische Bildung auf Augenhöhe und wirklich gleichgestellt - die NRW-Handwerksorganisationen trauen einer sich anbahnenden Schwarz-Grünen Koalition in Nordrhein-Westfalen zu, diese Themen voranzubringen.

Was die Handwerkskammer leistet

Wie sieht es mit den Leistungen seitens der Handwerkskammer aus? Präsident Herwartz gab Einblicke. Die Kammer schickt zum Beispiel Ausbildungsbotschafter - das sind Lehrlinge aus dem Handwerk, die sich ehrenamtlich dafür engagieren und dankenswerter Weise von ihren Betrieben dafür freigestellt werden - in Schulen, um für die vielfältigen Berufe des Handwerks zu werben. Auf Augenhöhe und voller Energie sowie Leidenschaft berichten sie von ihren Berufen. Die Kammer beschäftigt Bildungscoaches, die das Handwerk auf Messen und in Schulen präsentieren und die jungen Menschen individuell zu ihren Ausbildungswünschen beraten. Die Kammer lobt alle zwei Jahre einen Ausbildungspreis aus, mit dem sie die hervorragenden Leistungen der Betriebe in puncto Ausbildung auszeichnet. Der Preis wird in drei Kategorien vergeben und ist in jeder mit einem Preisgeld von 2.500 Euro dotiert. Bewerbungen sind noch bis zum 31. Juli möglich. Mit ihren Bildungszentren und der Akademie für Handwerksdesign muss die Handwerkskammer auf dem aktuellen Stand der Technik sein. Dozenten und Ausbildungsmeister qualifizieren in Lehrgängen und Seminaren, die sich an Lehrlinge, Mitarbeiter und Inhaber der Betriebe richten. In ihren Bildungszentren stehen dafür rund 2.400 Plätze für die berufliche Aus-, Fort- und Weiterbildung in Theorie und Praxis zur Verfügung. Damit ist die Handwerkskammer der größte Anbieter gewerblich-technischer Aus- und Weiterbildung in der Aachener Region. In dieser Rolle leistet sie gemeinsam mit Innungen, Kreishandwerkerschaften und Berufsschulen einen wesentlichen Beitrag zur Fachkräftesicherung. "Wollen Sie sich selbst ein Bild davon machen, wie wir Aus- und Weiterbildung betreiben? Dann kommen Sie doch am 17. September, am bundesweiten Tag des Handwerks, nach Simmerath", lud Herwartz die Gäste ein. Es werde viele Aktionen geben und an zahlreichen Berufsstationen könnten Interessierte ihre Talente und Neigungen ausprobieren. Darüber hinaus seien Gesellen, Unternehmer, Ausbildungsmeister und Berater der Kammer vor Ort. Sie informieren über Praktikumsmöglichkeiten, Aus- und Weiterbildungsangebote sowie berufliche Perspektiven.

Lage des Handwerks in der Region

Der Präsident der Handwerkskammer Aachen ging in seiner Ansprache auch kurz auf die aktuelle Lages des Handwerks in der Region ein. Nach den Ergebnissen der Frühjahrsumfrage verzeichne die Kammer in ihrem Bezirk in fast allen Branchen eine flotte Konjunktur nach den pandemiebedingten Rückgängen 2020 und 2021. Allerdings trübten die Liefer-, Material- und die enormen Fachkräfteengpässe immer stärker die wirtschaftlichen Perspektiven der Betriebe. Die noch unabsehbaren Folgen des Krieges in der Ukraine verschärften noch einmal das gesamte Szenario. Sonnenstrahl am Horizont: 2021 wurden trotz der Pandemie 2.161 neue Lehrverträge im Kammerbezirk unterzeichnet. Das sind über sechs Prozent mehr als zum Vorjahres-Zeitpunkt.


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