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»Die Zahlen steigen kontinuierlich«

»Weg vom Geist« oder »ohne Geist« lautet die wörtliche Übersetzung des Begriffs »Demenz«. Über die Krankheit, Symptome und Behandlungsmöglichkeiten haben wir mit Dr. Volker Pickan gesprochen.

Wochenspiegel:
Demenz – eine Diagnose, die man immer öfter hört und die sich durch alle gesellschaftlichen Schichten zieht. Sind immer mehr Menschen von der Krankheit betroffen?

Dr. Volker Pickan:  »Nach den jüngsten Schätzungen sind rund 1,6 Millionen Menschen in Deutschland von Demenz betroffen. Durch den demografischen Wandel nimmt die Zahl der Demenzerkrankten kontinuierlich zu. Man schätzt, dass bis zum Jahr 2050 zirka 2,4 Millionen oder mehr betroffen sein werden.« Bitte erläutern Sie kurz die unterschiedlichen  Demenzformen.
»Zu der häufigsten Demenzform zählt sicherlich die sogenannte Demenz vom Alzheimertyp, die etwa 70 Prozent aller Demenzformen ausmacht. Hier lagern sich Eiweißstoffe im Gehirn ab, die die Funktion der Nerven, ihre Verbindung stören. Dadurch kommt es zum Absterben der Nervenzellen. 
Die zweithäufigste Demenz ist die sog. Vaskuläre Demenz, welche durch Durchblutungsstörungen im Gehirn ausgelöst wird. Verschließen sich Blutgefäße, werden die Nervenzellen nicht mehr versorgt und sterben ab.
Sind größere Gefäße betroffen, nennt man dies Schlaganfall. Diese sind klinisch fast nicht zu übersehen. Auch viele kleine unbemerkte Schlaganfälle können zur Demenz führen, die Multi-Infarkt-Demenz.« Was sind »klassische« Frühsymptome einer Demenz?
»Die Demenz ist durch die nachlassende Gedächtnisleistung charakterisiert. Wenn Sie gelegentlich Ihre Schlüssel verlegen und finden diese beispielsweise in ihrer Jackentasche wieder, ist das nicht bedenklich. Würden Sie die Schlüssel etwa an ungewöhnlichen Orten wie Ihrem Kühlschrank oder der Mikrowelle wiederfinden, spräche das schon eher  für eine Demenz.  Kommen noch Orientierungsstörungen und das Nachlassen alltäglicher Aktivitäten hinzu,  die alltagsrelevant sind,  dann spricht man von Demenz. Tatsächlich fällt die Diagnose `Demenz‘  erst am Ende eines langen Prozesses; definitionsgemäß müssen die Einschränkungen mindestens sechs Monate bestehen.« Wie stellt man eine gesicherte Diagnose und welche  Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
»Zunächst sollte man zu seinem Hausarzt gehen und sich allgemeinärztlich untersuchen lassen.  Hierzu gehört auch beispielsweise die Kontrolle der Schilddrüsenwerte. Schilddrüsenerkrankungen können auch Gedächtnisstörungen verursachen. Auch Medikamente können Verwirrtheitszustände oder Ähnliches verursachen oder begünstigen.
Im nächsten Schritt sollte man die weitere Diagnostik durch den Neurologen, Psychiater oder auch Geriater durchführen lassen, der gegebenenfalls weitere Laboruntersuchungen oder bildgebende Verfahren wie eine Computertomographie oder Kernspinuntersuchung und eine Nervenwasseruntersuchung veranlasst.
Zur Behandlung der Alzheimer-Demenz sind vier Medikamente in Deutschland zugelassen. Diese bewirken, dass das Gedächtnis und Aktivitäten des täglichen Lebens – darunter verstehe ich Dinge wie sich selber Anziehen oder Ähnliches –  etwas besser werden können bzw. etwas langsamer schlechter werden können.« Welche Risikofaktoren begünstigen die Krankheit? Kann man vorbeugen?
»Zu den nicht medikamentösen aber auch vorbeugenden Maßnahmen zählen Sport, regelmäßige Bewegung: schon 20 bis 30 Minuten am Tag zeigen eine protektive, schützende Wirkung. Auch gesunde Ernährung hilt – hier fällt immer das Stichwort mediterrane Ernährung, die wenig Fleisch, mehr Fisch, Nüsse mit Salaten, viel Ölivenöl, Obst und Gemüse beinhaltet.  An der Mosel muss auch das Thema Alkohol angesprochen werden. Übermäßiger Alkoholkonsum kann zu Demenz führen. Zudem sollten alle typischen `Zivilisationserkrankungen‘ wie Bluthochdruck, erhöhte Blutfette, Übergewicht, aber auch eine eventuell vorhandene Zuckererkrankung optimal behandelt werden.« Oft leiden Familie und Umfeld mehr als der Patient selbst. Haben Sie einen Tipp für betroffene Familien? Was ist das Wichtigste beim Umgang mit einem demenzkranken Menschen?
»Schreitet die Demenzerkrankung fort, kommt es zu Persönlichkeitsveränderung, nächtlichem Umherwandern oder gar aggressivem Verhalten. Dann sind Angehörige bald überfordert.  Hier ist es wichtig,  auf die Betroffenen wohlwollend einzugehen, das für uns befremdliche Verhalten richtig einzuordnen und  sich auf die dementen Angehörigen einzustellen.
Der wichtigste Tipp meinerseits lautet: Holen Sie sich Hilfe! Wenden Sie sich an Ihren Hausarzt oder an die Beratungsstelle unseres Landkreises. Es gibt viele Angebote für Betroffene und ihre Familien. Ich verweise auch an unser »Demenz-Café«, wo Betroffenen und Angehörigen eine Plattform angeboten wird, sich untereinander auszutauschen und Fragen zu stellen. Es ist wichtig die Sorgen und Ängste zu formulieren. Nur so kann man dann zusammen Lösungen erarbeiten.  Ein weiterer Tipp für die pflegenden Angehörigen: Denken Sie auch an sich!« 

  • Info & Sprechstunde (privat) und Gedächtnisambulanz (privat) jeweils mittwochs;  Terminvereinbarung unter Telefon 06531 /58/11615
  • www.verbund-krankenhaus.de
Interview:
Stephanie Baumann


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