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»Das empfinde ich als Privileg«

Seit vier Monaten ist Julia Gieseking Landrätin des Landkreises Vulkaneifel. Mit Corona und der Hochwasserkatastrophe fielen gleich zwei schwierige Situationen in den Beginn ihrer Amtszeit. Der WochenSpiegel sprach mit ihr über erste Eindrücke, Corona, Hochwasser und ihre Familie.
Landrätin Julia Gieseking sprach mit WochenSpiegel Redakteur Johannes Mager über die Themen, die ihren Arbeits- und Familienalltag in den ersten vier Monaten ihrer Amtszeit bestimmet haben. Foto: Meike Welling/KV Vulkaneifel

Landrätin Julia Gieseking sprach mit WochenSpiegel Redakteur Johannes Mager über die Themen, die ihren Arbeits- und Familienalltag in den ersten vier Monaten ihrer Amtszeit bestimmet haben. Foto: Meike Welling/KV Vulkaneifel

Seit rund vier Monaten sind Sie Landrätin des Landkrieses Vulkaneifel. Wie war der Start für Sie? Der Start war schnell und unkompliziert. Ich bin in der Kreisverwaltung super aufgenommen worden. Am Anfang gab es viele Videokonferenzen, was schwierig ist für erste Kontakte. In der Zwischenzeit war ich aber viel draußen. Das ist bereichernd, weil man auf Menschen und Themen trifft, denen man Nicht-Politiker nicht unbedingt begegnet. Das empfinde ich als Privileg. Was hat Sie in den ersten Monaten besonders beeindruckt? Am meisten haben mich die Menschen in der Hochwasserkatastrophe beeindruckt. Der Kreis ist auch für den Katastrophenschutz zuständig. Ich bin froh, dort diese Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu haben. In Hillesheim wurde schnell die Technische Einsatzleitung besetzt, der Kreis hat die Leitung an sich gezogen und es wurde zügig den Katastrophenfall ausgerufen. Die ganzen Menschen, die geholfen haben, sind unbezahlbar. Die Solidarität, die ich unter den Menschen in der Vulkaneifel erlebt habe, hat mich beeindruckt. Gab es auch Dinge, die Sie massiv geärgert haben? Wenn mich etwas ärgert, ist es die Haltung von Menschen, die der Politik und dem Staat alles in die Schuhe schieben. Es ärgert mich, dass es dann heißt, dass die Leute, die entscheiden, Pfeifen sind. Ich weiß, dass es nicht so ist. Nur sind Entscheidungen nicht immer so einfach, weil es Zwänge wie Gesetze und Vorgaben gibt. Das sieht man von außen nicht immer. Gab es denn Situationen, in der Sie diese Bürokratie hinderlich fanden? Bei der Flutkatastrophe hatte ich den Eindruck nicht. Die Soforthilfen laufen ja jetzt auch sehr unkompliziert. Wenn man an die Corona-Bekämpfung denkt, denke ich schon, dass der Datenschutz uns manchmal im Weg gestanden hat – wer wem wann welche Liste geben durfte, zum Beispiel. Sie sprachen eben den Katastrophenfall an. Im Ahrtal wird die rechtzeitige Alarmierung der Bevölkerung vor der Flut aktuell diskutiert. Denken Sie, die Alarmierung der Bevölkerung muss überarbeitet werden? Für uns war es Glück, dass wir mit der Alarmierung so früh waren. Ich finde, dass man es der Katastrophe lernen kann und muss. Wir müssen davon ausgehen, dass es weiterhin zu Fällen kommen wird. Nächste Wochen werden wir mit der Technischen Einsatzleitung des Kreises, der bislang noch in Kreis Ahrweiler unterstützt hat, eine Rückschau halten und überlegen, was wir noch besser machen können. Wir brauchen auf jeden Fall redundante Ebenen. Zum Beispiel braucht der Digitalfunk eine analoge Rückfallebene. Wir konnten dessen Ausfall mit analogem Funk auffangen – aber eben nur, weil im Keller noch irgendwo analoge Funkgeräte rum lagen. Es treten immer mehr Lockerungen hinsichtlich der Corona-Bekämpfung ein, gleichzeitig bereitet die »Delta-Variante« Sorge. Glauben Sie, dass eine vierte Welle kommt und es wieder Einschränkungen gibt? Wenn alle ein Impfangebot erhalten haben, denke ich, dass man auf die Krankenhausbelegungen achten muss und nicht mehr auf die Inzidenzzahlen. Und es darf aus meiner Sicht keine Schulschließungen mehr geben.Es gibt so viele Dinge, auf die Kinder und Jugendliche verzichten mussten – und das in einem Alter, das so wichtig ist und nicht wiederkehrt. In der Vulkaneifel liegen wir bei einer Impfquote von rund 80 Prozent bei über 18-jährigen. Ich wünsche mir, dass sich die letzten 20 Prozent zur Impfung entscheiden, damit wir einen Herdenschutz erreichen und die Menschen schützen, die sich nicht impfen lassen können. Mit Corona und der Flutkatastrophe haben Sie gleich zwei große Aufgaben zu Beginn zu bewältigen. Haben Sie sich mal gewünscht, in einem anderen Jahr Landrätin geworden zu sein? Nein! Ich finde es toll – trotz allem. Welche Akte liegt bei Ihnen momentan ganz oben auf dem Schreibtisch? (lacht) Hochwasser! Das ist aber nicht nur eine Akte. Das Amt der Landrätin lässt sich nicht mit einem Acht-Stunden-Tag wie als Architektin vergleichen. Wie klappt das Zusammenspiel von Amt und Familie? Das Zusammenspiel klappt gut. Meine Familie hat mich von Anfang an unterstützt. Die Unterstützung von seinen Liebsten braucht man in allen Dingen. Mein Mann und die Kinder waren jetzt drei Wochen in Urlaub, ich musste aufgrund der Situation kurzfristig hierbleiben. Ich war ja auch vorher schon in politischen Gremien aktiv und deshalb abends nicht immer zuhause. Ich sehe meine Kinder schon weniger jetzt, aber bislang gab es noch keine Klagen. Die finden das eher spannend. Ich möchte mich auch gar nicht beschweren. Ich ziehe den Hut vor den Familien, die in der Pandemie über alle Maßen betroffen waren. Ich habe von vielen Leuten gehört, dass sie am Rande der Belastbarkeit standen. Wenn ich an Alleinerziehende denke: Ich kann mir kaum vorstellen, wie sie das geschafft haben. Finden ihre Kinder es denn eher cool oder peinlich, dass ihre Mutter jetzt in der Öffentlichkeit steht? Ich glaube, sie nehmen das nicht so wahr wie ich – auch weil ich sie ja schon im Wahlkampf nicht zu Fototerminen mitgenommen habe. Sie sollen unbeschwert sein – und das sind sie auch. Die Fragen stellten Johannes Mager und Mario Zender


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