Mario Zender

»Vor Beurlaubung Gefährdungsprognose erstellt«

Das Pfalzklinikum Klingenmünster ist eine Fachklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie sowie für über Abhängigkeitserkrankungen. Insgesamt umfasst die Klinik 247 Betten.

Das Pfalzklinikum Klingenmünster ist eine Fachklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie sowie für über Abhängigkeitserkrankungen. Insgesamt umfasst die Klinik 247 Betten.

Bild: Pfalzklinikum

Bad Breisig/Klingenmünster.   Einer der Tatverdächtigen im Doppelmord von Bad Breisig saß in einer Maßregelvollzugseinrichtung in Klingenmünster (wir berichteten). Dort soll er unter einem Vorwand, dass er ein Praktikum absolvieren möchte, sich Ausgang erschlichen haben. Wir haben die Verantwortlichen des Pfalzklinikums Klingenmünster mit Fragen konfrontiert. 

Können Sie uns den Entscheidungsprozess erläutern, der zur Beurlaubung des Patienten für das Berufspraktikum geführt hat?
Der Vorfall in Bad Breisig hat großes öffentliches Interesse erregt. Wir möchten an allererster Stelle unser Mitgefühl gegenüber den Angehörigen ausdrücken. 
Maßregelvollzugseinrichtungen bewegen sich in einem Spannungsfeld zwischen Besserung, Sicherung und Rehabilitation. Einerseits tragen sie zum Schutz der Gesellschaft bei, andererseits ist das langfristige Ziel einer Behandlung im Maßregelvollzug die Wiedereingliederung in die Gesellschaft. In unserer Klinik für Forensische Psychiatrie erstellen unsere behandelnden Psychiater/innen (Fachärzt/innen) und Psychologischen Psychotherapeut/innen regelmäßig Stellungnahmen zum Therapiestand, das heißt zum Beispiel Therapiemotivation, Absprachefähigkeit, Medikamenteneinnahme, Suchtverhalten. Sofern diese Abwägung positiv ausfällt, wird bei unbegleiteten Lockerungsstufen die zuständige Staatsanwaltschaft angefragt, ob diese eingesetzt werden kann.
Gestufte Lockerungen sind nur dann möglich, wenn Therapieerfolge erreicht werden konnten und Patient/innen absprachefähig sind. Dabei stellen Beurlaubungen die höchste Lockerungsstufe dar, die dann gewährt werden können, nachdem andere Lockerungsstufen erfolgreich durchlaufen sind.

Welche Kriterien müssen erfüllt sein, damit ein Patient gemäß §?64 StGB beurlaubt werden kann? Wurden diese im vorliegenden Fall vollständig erfüllt? 
Bevor Resozialisierungsmaßnahmen umgesetzt werden, bedürfen sie der Vorbereitung, Planung und Besprechung mit dem/der Patient/in, im multiprofessionellen Behandlungsteam und mit der ärztlichen Leitung. Geprüft werden:
•    Bisheriges Verhalten im Therapieverlauf sowie bei absolvierten Erprobungen im Rahmen von Vollzugslockerungen 
•    Sozialer Empfangsraum der Vollzugslockerungsstufe; gegebenenfalls Einbindung von Angehörigen und wichtigen Bezugspersonen 
•    Psychische Stabilität der/des Patient/in
•    Zuverlässigkeit und Kooperationsbereitschaft 
•    Erprobung weiterer beruflicher und sozialer Kompetenzen
•    Sorgfältige Prüfung des Rückfallrisikos anhand empirisch abgeleiteter standardisierter Prognoseinstrumenten (zum Beispiel HCR-20; Basler Liste; VRAG) 
•    Einbindung der zuständigen Behörden 
Lockerungen erhalten die Patient/innen stufenweise und sie werden engmaschig therapeutisch begleitet.  
Auch während der Beurlaubung und Dauererprobung ist das zuständige Behandlungsteam regelmäßig in Kontakt mit Patient/innen. Bei Regelverstößen, psychischen Krisen oder neu zu Tage getretenen Rückfallrisiken werden Vollzugslockerungen zurückgenommen oder nicht genehmigt.

Wer ist an der Entscheidung zur Beurlaubung beteiligt – ausschließlich Ihre Einrichtung oder auch externe Stellen (zum Beispiel das Vollstreckungsgericht)?
Beteiligt sind das multiprofessionelle Behandlungsteam und die Staatsanwaltschaft: Regelmäßig erstellen die behandelnden Psychiater/innen (Fachärzte) und Psychologischen Psychotherapeut/innen Stellungnahmen zum Verlauf der psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung und zur Prognose anhand anerkannter Leitlinien und Therapieverfahren und prüfen Therapiemotivation, Absprachefähigkeit, Medikamenteneinnahme oder Suchtverhalten. Sofern diese Abwägung positiv ausfällt, wird bei unbegleiteten Lockerungsstufen die zuständige Staatsanwaltschaft angefragt, ob diese eingesetzt werden kann.
Wurde vor der Beurlaubung eine aktuelle Gefährdungsprognose erstellt? Falls ja, wie lautete diese?
Grundsätzlich wird vor jeder Beurlaubung eine Gefährdungsprognose erstellt. In unserer Einrichtung führen wir strukturierte Gefährdungsbeurteilungen durch, nutzen dabei standardisierte und evidenzbasierte Assessments wie zum Beispiel Historical Clinical Risk Management (HCR-20V3), die Basler Liste und weitere. 

Gab es in der Vergangenheit Auffälligkeiten oder Rückfälle, die Zweifel an der Stabilität des Patienten hätten aufkommen lassen können?
Informationen, die Angeklagte im Prozess betreffen, erfragen Sie bitte bei der zuständigen Staatsanwaltschaft bzw. dem zuständigen Gericht.
Wie wird in Ihrer Einrichtung generell die Rückfallgefahr eingeschätzt und dokumentiert?  
 
Zur Überprüfung des Therapiefortschritts dienen in unserer Klinik Selbst- und Fremdbewertung im Rahmen von Stationsvisiten, Oberarztvisiten, Teambesprechungen und Fallvorstellungen. Kriteriengeleitete Prognosebeurteilungen über Therapiefortschritte und verbleibende Risiken finden in regelmäßigen Abständen statt. Im Rahmen regelmäßig durchgeführter Prognoseeinschätzungen werden standardisierte und empirisch anerkannte Prognoseverfahren angewandt. Hierbei werden stets statistische Risikofaktoren (zum Beispiel Anwendung des VRAG – »Violent Risk Appraisal Guide Revised«) sowie ein klinisches Prognoseverfahren (zum Beispiel: HCR-20 oder Basler Liste) miteinander kombiniert. Die Kombination dieser Verfahren wird empfohlen, um die prognostische Qualität zu erhöhen. Externe Gutachten werden vom Gericht aufgrund entsprechender gesetzlicher Regelungen veranlasst. 
Wurde oder wird im aktuellen Fall eine interne Untersuchung eingeleitet oder wurden bereits Konsequenzen gezogen?
Zum aktuellen Fall und dem aktuell veröffentlichten Informationsstand wenden Sie sich bitte an das zuständige Gericht.
Welche Änderungen an bestehenden Verfahren oder Beurteilungskriterien könnten Sie sich künftig vorstellen, um vergleichbare Vorfälle zu verhindern?
In der Arbeit mit schwer psychisch kranken Patient/innen ist ein verbleibendes Risiko leider unvermeidbar. Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit. Die Therapie von Patient/innen in unserem Maßregelvollzug erfolgt anhand von Leitlinien, evidenzbasiert und auf Basis von erprobten Standards.
(Die Fragen stellte Mario Zender)   

Den Beitrag zum Doppelmord in Bad Breisig lesen sie hier!

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